Wenn es einen Wettbewerb unter Medizinern gäbe, wie man subtil Angst vor der Impfung gegen Covid-19 schürt und Zweifel sät, hätte Raphael Bonelli gute Chancen auf einen Stockerlplatz. Zum Beispiel dank eines harmlos daherkommenden Videos, das vor einem Monat online ging und die Impfentscheidung erleichtern soll.

Ausgangspunkt ist eine "klinische Beobachtung" des doppelten Medizindoktors: Er kenne niemanden, der mit oder an Corona gestorben sei. Doch zwei Bekannte hätten nach der Impfung ihr Leben verloren. Bemerkenswert daran sei, dass die behandelnden Ärzte in beiden Fällen einen Zusammenhang mit der Impfung kategorisch ausgeschlossen haben: "Das sind also zwei Fälle, die sozusagen illegal sind, schwarze Fälle." Konkrete Namen werden nicht genannt.

Er wolle "da jetzt überhaupt nicht provozieren", sagt der katholisch konservative Gründer des Instituts für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie (RPP-Institut), und wie zum Beweis hält er ein Baby im linken Arm. Er behaupte weder, "die Impfung ist lebensgefährlich", noch leugne er, "dass viele Leute mit dem Virus gestorben sind oder möglicherweise an dem Virus".

Ohne hilfreiche Zahlen und Daten

Harte epidemiologische Daten zu den Corona-Toten oder den Risiken von Covid-19-Erkrankungen spart er aus, er nennt weder evidenzbasierte Zahlen zu den bestens dokumentierten Schutzwirkungen der Impfungen oder überprüfbare Zahlen zu den Impfnebenwirkungen, was selbstredend die beste Entscheidungsgrundlage wäre. Diese soll nämlich Bonellis "Sozialexperiment" liefern.

Foto: Youtube

Er bittet die Zuseher nämlich, in den Kommentaren über eigene Wahrnehmungen von Sterbefällen mit oder nach Corona und vor allem: an und mit der Impfung zu berichten. Der Titel des Videos heißt entsprechend: "Kennen Sie jemanden, der MIT der Imp#### verstorben ist?" (Die seltsame Schreibung von "Impfung" rührt vermutlich daher, dass dieses Experiment fast schiefgegangen wäre, denn Youtube hat das Video mehrere Tage lang gesperrt, ehe der Psychiater über seinen Anwalt eine Freigabe erwirken konnte.)

Was Bonelli als "ganz großen Sieg der Meinungsfreiheit" vermeldet, wurde zum kleinen Triumph der Impfangstmache: Mittlerweile haben mehr als 300.000 Menschen den Clip gesehen und knapp 8.000 Kommentare hinterlassen – allerdings mit vergleichsweise wenigen Berichten über angebliche Impftodesfälle.

Macht nichts: Diese Woche hat das rechte Medium "Wochenblick", das in Sachen Corona und Impfung gegen Covid-19 eine besonders rabiate Desinformationspolitik betreibt, einen Artikel über das Video gebracht und fünf der "beängstigenden Schilderungen von äußerster Brisanz" (Zitat "Wochenblick") einfach ungeprüft übernommen.

Gut vernetzt in sozialen Medien

Raphael Bonelli bildet mit seinem RPP-Institut eine der wichtigeren Plattformen der gut vernetzten, in sozialen Medien und besonders auf Telegram hochaktiven Impfskeptikerszene in Österreich. Mit FPÖ-Chef Herbert Kickl hat sie mittlerweile auch ein prominentes politisches Sprachrohr gefunden. Und in den traditionellen Medien hat den Impfskeptikern vor allem Servus TV viel Raum gegeben. Dazu kommen, um nur ein paar weitere Akteure und Netzwerke zu nennen, der "Außerparlamentarische Corona Ausschuss" (ACU) mit seinen Mitgliedern oder der "Wissenschaftsjournalist" Peter F. Mayer, auf dessen Blog die ACU-Homepage mit dem Hinweis "seriöse Informationsquelle" verlinkt wird.

Der promovierte Physiker, der vor Jahren als Journalist für seriöse Medien gearbeitet hat, betreibt besonders aktiv Impfangstmache und Desinformation – immer mit Verweis auf wissenschaftliche Studien, die meist grob missverständlich interpretiert werden. Beim "Wochenblick", der vom Presserat bereits mehrfach Rügen erhielt, wird Mayer immer wieder als "Experte" zurate gezogen. Und auch die FPÖ – konkret: Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch – bediente sich schon eines Blogeintrags von Mayer für eine parlamentarische Anfrage an die Regierung.

Gemeinsam ist allen Genannten und vielen anderen impfkritischen Aktivisten, dass sie erfolgreich zur heimischen Impfskepsis beitragen. Diese ist so hoch, dass die Covid-Impfquote in Österreich hinter alle west- und nordeuropäischen Länder zurückgefallen ist.

Die Kritiker der Impfung gegen Corona tragen zu Österreichs im EU-Vergleich unterdurchschnittlichen Impfquote bei.
imago images/Gottfried Czepluch

Mittlerweile liegen wir auch unter dem EU-Schnitt – was leider nichts Gutes für den Herbst und die vierte Infektionswelle verheißt. Fachleute wie die Virologin Dorothee von Laer befürchten deshalb, dass ohne eine Erhöhung der Impfquote ein weiterer Lockdown drohen könnte.

Probleme (mit) der Wissenschaft

Wie kommt man gegen die organisierte Impfangstmacherei an? Die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) teilt auf STANDARD-Anfrage mit, dass man "die Situation auch in den sozialen Medien sehr genau beobachtet, vor allem, wenn es um Äußerungen von Ärztinnen und Ärzten geht". Darüber hinaus würden die ÖÄK-Impfexperten "stets offen kommunizieren, was internationaler Konsens der Wissenschaft ist – nämlich dass die in Österreich zugelassenen Impfstoffe allesamt sicher und wirksam sind."

Die Österreichische Ärztekammer appelliere daher an die Menschen, sich impfen zu lassen und bei Fragen oder Zweifeln ihre Vertrauensärzte zu kontaktieren, die hier sicher weiterhelfen können." Und ÖÄK-Präsident Thomas Szekeres ergänzt noch, "dass es Disziplinaranzeigen gegen Ärzte gibt, die Unwissenschaftliches verbreiten".

Die Wissenschaft tue sich eher schwer damit, der mehr oder weniger raffiniert geschürten Impfskepsis etwas entgegenzuhalten, bekennt hingegen der Infektiologe Herwig Kollaritsch zerknirscht ein: "Die Impfgegnerszene ist perfekt über Social Media vernetzt. Wir als naive Wissenschafter haben dem schlicht nichts entgegenzusetzen." Doch es gibt unser seinen jüngeren Kolleginnen und Kollegen auch löbliche Ausnahmen wie Sylvia Kerschbaum-Gruber: Die Forscherin an der Med-Uni Wien entlarvt auf ihrem sehenswerten Instagram-Kanal vorbildlich Impf-Falschinformation.

Kollaritsch, der auch Mitglied des Nationalen Impfgremiums ist, berichtet aber noch von einem anderen Phänomen: "Öffentlich bekennende Impfbefürworter wie auch ich werden mit Gewalt bedroht. Das ist eine Qualität in der Auseinandersetzung, die mir bislang unbekannt war." Man scheint also nicht nur vor der Impfung Angst zu machen, sondern ängstigt mittlerweile auch die exponierteren Impfexperten.

Geschäfte mit der Verunsicherung

Der Genetiker Ulrich Elling, der am IMBA der ÖAW mit seinem Team Corona-Virenproben sequenziert (und auch immer wieder twittert), weist auf ein anderes Faktum hin, das oftmals übersehen wird: Widerspruch gegen den wissenschaftlichen Konsens – also konkret gegen die überwiegenden Vorteile der Impfungen – verhilft in den sozialen Medien zu Aufmerksamkeit, was sich in bare Münze umwandeln lässt: "Es ist im wirtschaftlichen Interesse dieser Leute, die Wahrheit zu verbiegen."

TKP, der Titel des Blogs von Peter F. Mayer, bringt diesen strukturellen Konflikt zwischen seriöser Berichterstattung und kommerziell lukrativerer Impf-Fake-News-Produktion selbstentlarvend auf den Punkt: TKP steht nicht nur für "Telekom Presse", sondern ist auch die Abkürzung für "Tausenderkontaktpreis". Dieser gibt an, wie viel ein Werbekunde für tausend Sichtkontakte eines Werbemittels zahlen muss.

Auf etwas andere Weise profitiert das RPP-Institut von den impfkritischen Videos. Es verkauft auf seiner auch optisch (Corona-)angstmachenden Homepage (Überschrift: "Die kollektive Zwangsneurose", darunter: "Jetzt Zugang sichern!") Onlinekurse und Monatsabos, wenn auch meist zu Corona-fremden Themen.

Der Profi der Impfverunsicherer

Ein auf der RPP-Homepage vertretener Protagonist unter den Impfverunsicherern, der damit auch ordentlich Profit macht, ist der Sachbuchautor Clemens Arvay. Der an der Boku in Wien diplomierte Pflanzenwissenschafter ist seit März auch als Doktorand an der Uni Graz (geplantes Thema: Der Einfluss von Zirbenwäldern auf das Immunsystem) inskribiert und gilt im deutschsprachigen Raum seit fast einem Jahr als einer der erfolgreichsten Corona-Impfkritiker. Sein erstes diesbezügliches Video, das ebenfalls über den Kanal des RPP-Instituts abrufbar ist, hat stolze 1,8 Millionen Klicks generiert. Die seitdem aufgenommenen Clips haben durchwegs sechsstellige Zugriffszahlen.

Auch im Fall von Arvay wurde Youtube, das laut eigenen Angaben bereits eine Million Corona-Falschinformationsvideos gelöscht hat, bereits zensierend vorstellig. Doch er schafft es meist gekonnt, seine Behauptungen zu den möglichen Risiken der Impfungen mit einseitig ausgewählten und oftmals verzerrt wiedergegebenen Studien zu begründen – und so an der schwer zu ziehenden roten Desinformationsgrenzlinie hart vorbeizuschrammen.

Simulierte Seriosität ...

Am Beispiel seines aktuellsten Videos über infektionsverstärkende Antikörper (ADE) – eines der ersten und nun wieder aktuellen Schreckgespenster der Impfgegner – lässt sich pars pro toto zeigen, wie Arvay arbeitet.

RPP Institut

Er bezieht sich in seinem neuen Clip (auf Arvays eigenem Kanal hat er auch schon wieder weit über 200.000 Klicks) auf eine neue "brisante" Studie im "Journal of Infection", das wiederum "im renommierten Elsevier-Verlag erscheint", wie Arvay triumphierend ergänzt. (Dass er nicht weiß, wie man den Namen des mächtigsten Wissenschaftsverlags der Welt richtig ausspricht, ist etwas irritierend.)

Wie Arvay richtig ausführt, versteht man unter ADE (antibody-dependent enhancement) vereinfacht formuliert Antikörper, die im Gegensatz zu den "neutralisierenden" Antikörpern die Infektion verstärken und also bei Impfungen unerwünscht sind und nicht gebildet werden sollen. Bei der Einschätzung der Studie, die nur ein "Letter to the Editor" ist (was das ist, scheint Arvay nicht zu wissen, vgl. seine Video-Fußnote 1), hapert es aber trotz oder wegen aller Originalzitate ein bisschen.

In aller Kürze zusammengefasst suggeriert Arvay in seinen sehr wissenschaftlich klingenden Ausführungen, dass laut dem molekularbiologischen Modell der französischen Autoren ADE bei geimpften Personen mit Delta-Infektionen "verstärkt zum Zug kommen würde", da die Impfstoffe auf dem Wuhan-Spike-Protein und nicht auf dem von Delta beruhen. Das wäre natürlich sehr schlecht, denn das würde viele schwere Krankheitsverläufe bei Geimpften mit Delta-Infektion bedeuten.

... statt guter Einordnung

Was Arvay natürlich verschweigt: Dass es längst fundierte Kritik an der Studie von ausgewiesenen Experten gibt (etwa hier, hier und hier): Die Studie ist rein theoretisch, beruht allein auf Computersimulationen und ist ohne jede experimentelle Evidenz. Es gibt also weder Daten aus dem Labor, noch aus dem Tierversuch, geschweige denn aus der echten Welt. Wie gesagt: In der müsste es, wenn die theoretischen Modellierungen denn stimmen würden, bei Geimpften nach Delta-Infektionen längst zu einem deutlichen Anstieg der schweren Verläufe durch ADE gekommen sein. Nur gibt es den nicht, obwohl sich weltweit relativ viele Geimpfte mit Delta infiziert haben, aber in aller Regel nur harmlose Verläufe hatten.

Die Autoren selbst und ihre Methode scheinen zudem etwas unverlässlich: So haben sie mit ähnlichen Modellierungen in einer früheren Studie beispielsweise erklärt, warum Behandlungen mit einer Mischung aus Azithromycin und Hydroxychloroquin gegen Covid-19 helfen würden – was sich als Irrtum herausstellte. Zudem gibt der Biochemiker Edward Nirenberg zu bedenken, dass die Forschenden bei ihren Modellierungen die Delta- mit der Kappa-Variante verwechselt haben könnten.

Impfstoffkritik als Bestseller

Diese typische Mischung aus Seriosität durch Fußnoten und verzerrender Studieninterpretation gilt mit entsprechenden Abänderungen auch für Arvays Ende Februar erschienenes Buch "Corona Impfstoffe – Rettung oder Risiko?", auf das er in seinen Videos stets hinweist. Dieses Werk kommt sowohl im Titel wie auch in der Einleitung neutral daher: Eine Empfehlung "für oder gegen einen Impfstoff" möchte Arvay ausdrücklich nicht geben, heißt es da etwa.

Doch nachdem er in seinem Büchlein zunächst durchaus brauchbare Informationen über die Funktionsweise der Impfstoffe liefert, dominieren danach – wie auch in den Videos – alle möglichen und unmöglichen Risikoaspekte. Zudem bedient er einige der bekannten Vorurteile über Bill Gates. Die deutlich überwiegenden Vorteile und ausführlich belegten Schutzwirkungen der Impfungen dagegen bleiben unterbelichtet. Denn über die ist eben auch in allen halbwegs seriösen Medien ständig zu lesen, was Bücher über die Impfvorteile eher zu Ladenhütern machen würde.

Von "Corona Impfstoffe – Rettung oder Risiko?" hingegen wurden in einem halben Jahr über 150.000 Exemplare verkauft. Da kommt bei einem Autorenhonorar von zehn bis 15 Prozent selbst beim billigen Ladenpreis von zehn Euro einiges zusammen. Arvays Geschäftsmodell, ganz auf die Thematisierung etwaiger Impfrisiken zu setzen und wissenschaftliche Studien für seine Zwecke zurechtzubiegen, hat sich also ausgezahlt: Mit verantwortungsloser Impfangstmache lässt sich eben auch ganz schön gut Profit machen. (Klaus Taschwer, 28.8.2021)