Heinz-Christian Strache ist nach seiner Verurteilung zu 15 Monaten bedingt wegen Bestechlichkeit "schockiert".

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"Ich weiß sehr genau, niemals etwas Gesetzwidriges angeboten oder gemacht zu haben", meinte Heinz-Christian Strache bei seinem Rücktritt am 18. Mai 2019. Jetzt kann man sagen: vielleicht nicht im Ibiza-Video, das tags zuvor erschienen war. Als FPÖ-Chef und Vizekanzler hingegen schon, urteilte am Freitag Richterin Claudia Moravec-Loidolt: Sie sprach Strache in erster Instanz, also nicht rechtskräftig, der Bestechlichkeit schuldig.

Sie hat ein differenziertes Urteil gefällt: Der Privatklinikbetreiber Walter Grubmüller habe die Spenden an die FPÖ – 2.000 Euro im Oktober 2016 und 10.000 Euro im Juli 2017 – getätigt, damit Strache in seiner politischen Funktion aktiv werde, ist die Richterin überzeugt. Der Plan sei es gewesen, eine Gesetzesänderung durchzusetzen, die Grubmüllers Klinik die Aufnahme in den Privatkrankenanstalten-Finanzierungsfonds (Prikraf) zu ermöglichen, wodurch er leichter an Gelder für Behandlungshonorare gekommen wäre.

Moravec-Loidolt folgt der Argumentationslinie, die der Vertreter der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in seinem Schlussplädoyer dargelegt hat: Die Chronologie sei ein Beweis für die Korrumpierbarkeit Straches. Nachdem im Oktober 2016 die 2000 Euro Grubmüllers auf dem FPÖ-Konto eingegangen seien, habe Strache seinen FPÖ-Parteikollegen Johannes Hübner, der auch Anwalt war, beauftragt, Grubmüllers Unterlagen zu prüfen.

Auffällige Spenden

Im Februar 2017 gab es dann eine Pressekonferenz mit Strache, Grubmüller, Hübner und FPÖ-Gesundheitssprecherin Daniela Belakowitsch, bei der es um "Korruption im Gesundheitsbereich" ging. Der primäre Inhalt der Veranstaltung: der Prikraf und die Privatklinik Währing.

Im Juni 2017 brachte die FPÖ im bereits aufgelösten Nationalrat einen Initiativantrag für die Öffnung des Prikrafs für alle Privatkliniken ein. Als einziges Unternehmen namentlich erwähnt: die Privatklinik Währung. Im Juli 2017 folgte dann die nächste Spende Grubmüllers über 10.000 Euro. "Es hat vorher keine Spenden gegeben, und es hat nachher keine Spenden gegeben", fasst die Richterin die Auffälligkeit in ihrer Urteilsbegründung zusammen.

Dass der Initiativantrag einer Oppositionspartei nur bescheidene Aussichten auf eine erfolgreiche Umsetzung hat, spiele dabei rechtlich gesehen keine Rolle. Es sei schon ein "Teilerfolg" der Angeklagten gewesen, dass der Prikraf überhaupt behandelt worden sei. "Ohne Strache, ohne Grubmüller hätte es vielleicht bis heute keine Prikraf-Diskussion im Nationalrat gegeben", meint Moravec-Loidolt.

Außerdem sei die Reform des Prikraf-Gesetzes ja noch bis zu Straches Rücktritt nach dem Ibiza-Video Inhalt der Chats der befreundeten Männer gewesen. Mit 1. Jänner 2019 wurde die Privatklinik Währing in den Anhang des Prikraf-Gesetzes aufgenommen – Geld hat sie aus ihm bis heute nicht erhalten, da eine Zusatzvereinbarung fehlt.

Der Ärger Grubmüllers, der sich seit 2012 um eine Aufnahme der Klinik bemühte, ist für die Richterin zwar "menschlich nachvollziehbar" – aber er habe zu den gleichen Methoden gegriffen, die er seinen Mitbewerbern in der Wirtschaftskammer und der ÖVP vorwirft – Korruption.

Empörung und Widersprüche

Moravec-Loidolt schließt auch aus anderen Seltsamkeiten auf unsaubere Praktiken. So habe Strache im Prozess zwar stets betont, er sei nur tätig geworden, da er über die Ungerechtigkeit gegenüber Grubmüller empört gewesen sei. Gleichzeitig fehlt seine Unterschrift aber auf dem Initiativantrag – der von ihm initiiert worden ist, wie sich die Richterin sicher ist.

Dass es nie um die Prikraf-Öffnung für alle Privatkliniken gegangen sei, schließt Moravec-Loidolt daraus, dass weder Strache noch Grubmüller je zu anderen Betreibern Kontakt aufgenommen haben. Sie verurteilte Grubmüller zu einem Jahr bedingt, Strache zu fünfzehn Monaten. Beide kündigten an, gegen das Urteil berufen zu wollen.

Etappensieg

Für die Korruptionsstaatsanwaltschaft ist der Schuldspruch ein wichtiger Etappensieg: Es war der erste Prozess, der zumindest indirekt auf das Ibiza-Video zurückzuführen ist – aber er wird wohl nicht der letzte bleiben. In den 27 Monaten seit dem Erscheinen des berüchtigten Videoclips hat die WKStA zahlreiche andere Verfahren gestartet.

Am prominentesten ist die Causa Postenschacher/Casinos, aus der sich wiederum Verfahrensstränge mit Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) als Beschuldigtem ergaben. Kurz wird Falschaussage, Blümel Bestechung vorgeworfen – für beide gilt die Unschuldsvermutung.

Wegen dieser Verfahren reitet die ÖVP seit Monaten heftige Attacken gegen die WKStA, ein Freispruch für Strache hätte die Anklagebehörde politisch unter Druck gebracht.

Der Schuldspruch gegen Strache hat hingegen eine große Symbolwirkung: Es ist nun erstinstanzlich festgestellt worden, dass man unter der türkis-blauen Regierung Gesetze kaufen konnte.

Zahlreiche andere Verfahren

Das könnte man auch als schlechte Nachrichten für Ex-Finanzminister Hartwig Löger und drei Manager des Klinikbetreibers Premiqamed sehen: Denn die Premiqamed, deren Aufsichtsratsvorsitzender Löger einst war, profitierte von der Prikraf-Reform ebenfalls – und spendete der ÖVP zweimal je 25.000 Euro.

Diesbezüglich liegt derzeit ein Vorhabensbericht der WKStA im Justizministerium. Ob angeklagt oder eingestellt wird, ist öffentlich nicht bekannt, es gilt die Unschuldsvermutung.

Strache selbst ist noch in zahlreiche andere Verfahren verwickelt. Die WKStA ermittelt wegen des Umbaus des Casinos-Vorstands gegen ihn, außerdem steht Bestechung durch den Poker-Casinobetreiber Peter Zanoni im Raum. Bei der Staatsanwaltschaft Wien wird hingegen Straches Finanzgebaren bei der FPÖ untersucht, hier werden ihm falsche Spesenabrechnungen vorgeworfen.

Einen Freispruch hätte der langjährige blaue Parteichef dazu nutzen können, eine Erzählung von der "kriminellen Verschwörung" gegen ihn aufzubauen; nun wird ein Polit-Comeback noch schwieriger. Nach anfänglichem Wehmut sind die Rufe nach "HC" in der FPÖ zuletzt aber sehr still geworden.

Vom Vizekanzler zum Berater

Der 51-jährige Wiener hatte die Innenpolitik jahrzehntelang geprägt und den öffentlichen Diskurs, wie zuvor Jörg Haider, nach rechts verschoben. Strache, der sich als Jugendlicher im Neonazi-Milieu bewegt hatte, ließ Sprüche wie "Wien darf nicht Istanbul werden!" plakatieren und vernetzte sich Richtung Moskau und Serbien.

Im Dezember 2017 wurde Strache zum Vizekanzler; die politische Zusammenarbeit mit Regierungschef Sebastian Kurz (ÖVP) verlief öffentlich harmonisch, hinter den Kulissen krachte es allerdings immer wieder.

In dieser Zeit machte bereits das Ibiza-Video die Runde, das im Sommer 2017 vom deutschen Consulter Julian H. mithilfe einer falschen Oligarchennichte aufgenommen worden war. Bis zur endgültigen Veröffentlichung verging viel Zeit, erst am 17. Mai 2019 wurden Videoausschnitte von Spiegel und SZ publiziert. Es folgte der Rücktritt Straches, im Herbst 2019 dann sein Ausschluss aus der FPÖ.

Bei der Wien-Wahl 2020 trat er mit einer eigenen Partei, dem Team HC, an; scheiterte jedoch an der Fünfprozenthürde. Beruflich arbeitet Strache als Berater, während Kurz am Samstag erneut zum ÖVP-Chef gewählt wird.

Getrübte Erinnerung

Allerdings trübt die erstinstanzliche Verurteilung Straches auch die Erinnerung auf Kurz’ erste Kanzlerschaft. Mit den weiteren Ermittlungen gegen Strache, Kurz selbst, Blümel, Löger und Ex-Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) laufen derzeit Verfahren gegen insgesamt fünf ehemalige Mitglieder der türkis-blauen Bundesregierung.

Fraglich ist auch, ob der Prikraf in der derzeitigen Form Bestand haben wird. U-Ausschuss-Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl plädierte dazu, einen Anspruch auf Aufnahme in den Fonds zu schaffen, sollten Privatkliniken bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Auch die Oppositionsparteien sprachen sich dafür aus, den Prikraf schleunigst zu reformieren. Dementsprechende Diskussionen sollen im Herbst im Nationalrat folgen.

Für Strache kommt das zu spät. Er sei "zutiefst überrascht, aber auch schockiert", sagte der einstige Vizekanzler nach seiner Verurteilung am Freitag. (Fabian Schmid, Michael Möseneder, 27.8.2021)