Die türkisen Delegierten bekamen am Samstagmittag einen lautstarken Empfang. Hupende Bauern fuhren mit ihren Traktoren die Straße vor dem Veranstaltungszentrum in St. Pölten auf und ab, um ihren Unmut über die geplante Traisentalschnellstraße S34 kundzutun. "Feldhamster und Biene schützen, Fahrrad und Schiene nützen" war etwa auf Plakaten zu lesen. Die rund 50 Aktivistinnen und Aktivisten empören sich darüber, dass mehr als hundert Hektar Wald und Felder für den Bau der Straße versiegelt werden sollen. Da werde ein Transitstraße gebaut ohne Rücksicht auf die gerne vollmundig verkündeten Klimaziele, sagt eine Demonstrierende von der Berg- und Naturwacht. Besonders unehrlich sei hier die St. Pöltner ÖVP, die trotz gegenteilige Versprechen im Gemeinderat für die S34 gestimmt habe.

Bauernprotest in St. Pölten.
DER STANDARD

Daneben hat sich der Verein gegen Tierfabriken (VGT) positioniert, um die lasche Tierschutzpolitik anzuprangern: "ÖVP, wann kommt endlich das Vollspaltenbodenverbot?"

Stimmung vor Inhalt

Die rund 1300 türkisen Sympathisanten – davon mehr als 500 Delegierte – trudelten derweil im großen Parteitags-Zelt ein, um sich auf die Rede und Wahl von Parteichef Sebastian Kurz einzustimmen. Die Mehrheit männlich und in Anzug gehüllt, als beliebteste Speise am Buffet entpuppten sich Frankfurter mit Senf. Auch Schnitzel gingen rasch weg, die vegetarischen Wraps wollten in ihrem Korb hingegen nicht so recht weniger werden.

Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Erkundigte man sich bei den Funktionären nach ihrer Erwartungshaltung an den Parteitag, so war einhellig von einer "guten Stimmung" die Rede. Von programmatisch wichtigen Anträgen oder gar inhaltlichen Debatten sprach niemand. Ex-ÖVP-Präsidentschaftskandidat Andreas Khol sagt etwa: "Die Anträge habe ich mir nicht angeschaut, ich hoffe auf eine spannende Rede von Sebastian Kurz". Der Tiroler ÖVP-Abgeordnete und Seilbahnsprecher Franz Hörl rechnet mit einem "überwältigenden Ergebnis" bei der Obmann-Wiederwahl von Kurz. An der jetzigen innenpolitischen Debatte stört Hörl, dass – anstatt etwa über Wirtschaft und Tourismus – zu viel über Themen geredet werde, die "die Menschen nicht bewegen". Die Situation in Afghanistan sei tragisch, Finanzhilfen auch sinnvoll, aber "was will man tun wenn die stärkste westliche Militärmacht gescheitert ist?" Es gebe dort "jetzt sicher viele arme Menschen, aber die gibt's in Afrika auch."

Euphorischer Eppinger

Viele Funktionäre freuten sich merklich, sich nach anderthalb Jahren Pandemie wieder bei einem großen Event zu sehen. Die 3G-Regel wurde streng kontrolliert, Abstands- oder Maskenpflicht gab es nicht. Gespräche zu führen gestaltete sich dennoch schwierig, das lag vorwiegend an Peter L. Eppingers ostentativ euphorischer Dauerbeschallung des Publikums. "Ich freu mich narrisch" tönte der Ex-Radiomoderator durchaus glaubwürdig ins Mikrofon.

Der Bundesparteitag der Volkspartei im Livestream.

Um 13 Uhr begann dann das offizielle Programm des Parteitags mit dem Abspielen der Bundeshymne. Als erster Redner trat der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter auf die Bühne. Er pries die Machtübernahme von Sebastian Kurz beim Parteitag vor vier Jahren, 2017. Damals habe die Volkspartei die Zeichen der Zeit erkannt und im Gefolge Wahl um Wahl gewonnen. Vom Wesen her sei Kurz "ein zacher Bursch", das habe sich bei einer gemeinsamen Wandertour herauskristallisiert, berichtete Platter. Der Tiroler Landeschef klagte – wie auch zahlreiche Ex-Granden von Wolfgang Schüssel bis Michael Spindelegger in einem zugespielten Video – dass die "Vereinigte Opposition" den Kanzler mit allen Mitteln aus dem Amt jagen wolle.

"Alle gegen uns"

Klubobmann August Wöginger legte in seiner gewohnt scharfen, aber auch launigen Rede nach: "Seit vier Jahren ist es dasselbe. Alle gegen uns, alle gegen die Volkspartei." Mit den Grünen sei es in der Koalition nicht immer leicht, er sei auch "nächtelang mit der Maurer zusammengesessen." Doch man habe immer Lösungen gefunden. Beim Klimaschutz will Wöginger auf den "Hausverstand" setzten. Aus seiner kleinen oberösterreichischen Heimatgemeinde wisse er: "Der Pendler braucht das Auto, der Bauer den Traktor und der Unternehmer den Lastwagen, sonst funktioniert's nicht."

Danach hob Kurz zu einer rund halbstündigen Rede an, im Hintergrund wurde eine rot-weiß-rote Flagge auf die Leinwand projiziert. Der Kanzler zog positive Bilanz zur Pandemiebekämpfung in Österreich. "Wir können froh sein, dass wir so gut durch die Krise gekommen sind", meinte er. An die Parteifreunde appellierte er, Bekannte im persönlichen Gespräch von der Impfung zu überzeugen und deren Ängste ernstzunehmen: "Leisten wir unseren Beitrag und klären diese Menschen auf."

Das Auto ist nicht der Feind

Auf seine Person bezogen, inszenierte sich Kurz in bekannter Manier als Opfer allseitiger Verfolgung. Es werde ständig "mit persönlichen Angriffen, Unterstellungen und Anzeigen" gegen ihn gearbeitet. Gegipfelt sei das in der Einleitung des Strafverfahrens gegen ihn wegen Falschaussage im U-Ausschuss: "Das hat auch bei mir alles bisher Erlebte in den Schatten gestellt." Da habe es Tage gegeben, an denen er sich gefragt habe, ob "ich da wirklich richtig bin, ob es das ist, was man im Leben möchte und wie lange man so etwas aushält." Letztlich sei er aber durch den Zuspruch seiner Getreuen und Anhänger in Reaktion auf den Gegenwind stärker worden: "Sie haben mich entschlossener gemacht, mit mir könnt Ihr rechnen!"

Beim Thema Umwelt griff Kurz zu christlichem Vokabular und ortet eine Verpflichtung zu einem "respektvollen Umgang mit der Schöpfung." Dafür brauche es "Fortschritt und Innovation, nicht Rückschritt und Verbote." Der öffentliche Verkehr solle ausgebaut werden, am Land bleibe man aber auf das Auto angewiesen: "Nicht die Straße oder das Auto sind unser Feind, sondern die Emissionen, die wir durch bessere Motoren, Elektromobilität und Wasserstoff reduzieren werden."

99,4 Prozent* für Kurz, 100 Prozent für Stelzer

Nach der Rede wurde von den Delegierten über die ÖVP-Führungsposten abgestimmt. Sebastian Kurz erhielt als Bundesparteiobmann 533 von 536 abgegeben Stimmen, das sind 99,4 Prozent.* Er übertraf damit sein Ergebnis vom letzten Parteitag 2017, als er nach der Demontage von Reinhold Mitterlehner auf 98,7 Prozent gekommen war.

Noch bessere Resultate erzielten dieses Mal zwei Parteichef-Stellvertreter. Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer wurde mit 100 Prozent (539 von 539 abgegeben Stimmen) als Vize wiedergewählt. Auch die steirische Landesrätin Barbara Eibinger-Miedl konnte als Vize-Parteichefin 100 Prozent von ihrer neuerlichen Kür überzeugen. Die dritte im Bunde der Stellvertreter, die Bregenzer Stadträtin Veronika Marte, bekam 99,4 Prozent. Finanzreferent Andreas Ottenschläger konnte für die Fortsetzung seiner Tätigkeit 100 Prozent mobilisieren. Für keine der Positionen gab es Gegenkandidaten.

Kurz war der vierte Parteichef, der sich heuer einer parteiinternen Wahl stellte. Nun kann er mit seinen 99,44 Prozent auf den stärksten Rückhalt verweisen: Neos-Chefin Beate Meinl-Resinger bekam 93 Prozent, Herbert Kickl wurde mit 88 Prozent zum neuen FPÖ-Obmann bestellt. SPÖ-Chefin Pamela-Rendi-Wagner bekam im Juni nur 75 Prozent, was für rote Krisenstimmung sorgte. Werner Kogler wurde 2018, damals noch in außerparlamentarischer Opposition, mit 99 Prozent zum grünen Bundessprecher gewählt. (Theo Anders, 28.8. 2021)