Einer der Attentäter bei seiner Verhaftung.

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Vor 40 Jahren, am 29. August 1981, war Wien Schauplatz eines antisemitischen Terroranschlags. Ein palästinensisches Kommando griff an jenem Samstag die Besucher und Besucherinnen des jüdischen Stadttempels in der Wiener Seitenstettengasse an. Dabei starben zwei Menschen, 21 wurden verletzt.

Am Sonntag, dem diesjährigen Jahrestag des Attentats, gedachte die Israelitische Kultusgemeinde mit einer Veranstaltung den Opfern. In Reden wurde von Zeitzeugen und Zeitzeuginnen erzählt, wie sie den Angriff erlebten – besser gesagt, wie sie ihn überlebten. So legte sich Juwal Grauss in einen Hauseingang und stellte sich tot, nachdem er bereits verwundet worden war. Die damalige Security-Mitarbeiterin Elvira Glück berichtete, dass sie das Eingangstor der Synagoge gerade noch verriegeln und so verhindern konnte, dass die Terroristen in das Bethaus eindringen konnten. Markus Kohn erzählte, wie sein Leben von Ulrike Sarah Kohut gerettet wurde, die ihr Leben opferte, um ihn, den damals Dreijährigen, zu retten. Die Tochter des zweiten Opfers des Anschlags, Nathan Fried, konnte nicht nach Wien kommen, schickte aber einen Brief, den IKG-Präsident Oskar Deutsch vorlas. Darin schrieb sie, dass ihr Vater und die anderen zum Ziel der Terroristen wurden, "weil sie Juden waren".

An der Gedenkveranstaltung am Sonntag nahmen auch Ministerin Karoline Edtstadler, die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler sowie der israelische Botschafter Mordechai Rodgold teil.
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Mit Kurt Hager war auch jener Polizist bei der Gedenkveranstaltung anwesend, der einen der Attentäter verhaften konnte. Rudolf V. kam ebenfalls zu der Gedenkveranstaltung, er war damals als Leibwächter vor Ort und fügte einem Angreifer einen Bauchschuss zu.

Der Angriff

In der Synagoge wurde am Sabbat Bar-Mizwah gefeiert, als zwei Terroristen wild schießend versuchten, in das Gebäude einzudringen. Sie scheiterten jedoch, da die Eingangstore verriegelt werden konnten.

Weil die Angreifer aber trotz der gescheiterten Erstürmung in der Seitenstettengasse weiter um sich schossen, griff der anwesende Leibwächter Rudolf V. ein. Der Mann hatte sich gegenüber dem Synagogeneingang aufgehalten und konnte einen der Angreifer durch einen Bauchschuss außer Gefecht setzen. Der zweite Terrorist konnte zunächst fliehen, feuerte bei einer wilden Verfolgungsjagd durch die Wiener Innenstadt wahllos auf Passanten und schleuderte Handgranaten auf einen Funkstreifenwagen. Durch die Schießerei wurden Ulrike Sarah Kohut sowie der Shoa-Überlebende Nathan Fried getötet. Beide kamen von einem anderen jüdischen Bethaus im ersten Bezirk.

Die beiden Angreifer wurden festgenommen, im Oktober 1981 wurde ihr Kommandant verhaftet. Das Trio wurde zu langen Haftstrafen verurteilt und befindet sich nicht mehr in Österreich. Sie alle waren Mitglieder der palästinensischen Abu-Nidal-Organisation, die in jenen Jahren gleichbedeutend mit blutigem Terror war. Das US-Außenministerium bezeichnete sie als die "gefährlichste Terrororganisation der Welt", die hauptsächlich in Europa und dem Nahen Osten Attentate durchführte. Die Gruppierung trat auch unter dem Namen Fatah-Revolutionsrat auf.

Die SPÖ gedachte am 1. Mai dieses Jahres ihres Stadtrats Heinz Nittel.
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In Österreich erschoss die Gruppe im Mai 1981 den Wiener Stadtrat und damaligen Präsidenten der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft, Heinz Nittel (SPÖ). Und nach dem Anschlag auf die Synagoge griffen Abu-Nidal im Dezember 1985 den Check-in-Schalter der israelischen Fluglinie El Al am Wiener Flughafen in Schwechat an. Zwei Passagiere – ein Wiener und ein Israeli – wurden bei der Schießerei getötet. Mehr als 40 Personen erlitten teils schwere Verletzungen, als fast 200 Schüsse fielen und vier Handgranaten explodierten. Eine weitere Passagierin aus Österreich erlag nach Wochen ihren schweren Verletzungen.

Die Terrorgruppe Abu-Nidal wurde 1974 von Sabri al-Banna alias Abu Nidal ("Vater des Kampfes") gegründet, als dieser selbst aus Yassir Arafats Palästinensischer Befreiungsorganisation (PLO) ausgeschlossen wurde. Er hatte Arafat zu große Kompromissbereitschaft vorgeworfen und nach der Anerkennung des Existenzrechts Israels durch die PLO sogar zur Ermordung Arafats aufgerufen, dem er "Hochverrat" am palästinensischen Volk und an der arabischen Nation vorwarf. Unterstützt wurde die Abu-Nidal-Gruppe von arabischen Despoten wie Libyens Muammar al-Gaddafi oder dem irakischen Präsidenten Saddam Hussein. Das erklärte Ziel der Gruppe war die Vernichtung Israels, dafür wurden auch jüdische Schulen, Restaurants und Synagogen angegriffen. In antisemitischer Manier wurden alle Juden und Jüdinnen mit Israel gleichgesetzt und als legitime Ziele betrachtet.

Ein haarsträubender Deal mit der Terrororganisation

Nach dem Anschlag auf den Wiener Flughafen hielt sich die Abu-Nidal-Organisation in Österreich zurück. Grund war der haarsträubende Deal mit den Terroristen, auf den sich die Regierung in Wien eingelassen hatte. Für den Verzicht auf Terror konnten sich Terroristen in Österreich frei bewegen. Abu Nidals Stellvertreter Jamal El Din Gritli war ab 1988 immer wieder zu Verhandlungen im Innenministerium in Wien, um die vorzeitige Freilassung seiner in Österreich inhaftierten Leute zu erreichen. Die Gruppe bezog auch eine Wohnung im dritten Wiener Gemeindebezirk, die ihren Mitgliedern als sicherer Hafen diente, obwohl sie von der Staatspolizei, dem Vorläufer des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), überwacht wurde. Der Deal flog schließlich 1992 auf, und die Abu-Nidal-Leute verschwanden aus Wien. Erst 2019 wurde bekannt, dass Frankreich ebenfalls einen Nichtangriffspakt mit Abu Nidal geschlossen hatte.

Die Gedenktafel am Friedmann-Platz erinnert an die Opfer des Anschlags vom 29. August 1981.
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Die Aktivitäten der Abu-Nidal-Gruppe hatten jedoch ein weiteres Nachspiel. Im Jänner 2000 verhaftete die österreichische Polizei eine Frau, weil sie ein vermutlich der Terrorgruppe gehörendes Bankkonto räumen wollte, auf dem sich acht Millionen US-Dollar (5,56 Millionen Euro) befanden. Der Frau wurde vorgeworfen, die Geldbotin der Abu-Nidal-Gruppe zu sein. Dafür sprach vor allem ihre Verbindung zu Samir Hassan Najmeddin, dem Finanzchef der Terrororganisation. Die Frau war in den Bankunterlagen als dessen Gattin eingetragen. Sie bekannte sich nicht schuldig und behauptete, das Geld verdanke sie einer Erbschaft. Gegen Hinterlegung einer Kaution wurde die Frau enthaftet, worauf sie nach Libyen ausreiste und damit außer Reichweite der österreichischen Justiz war. Nach einem jahrelangen Rechtsstreit wurden das Geld 2014 wieder freigegeben, obwohl es für Peter Gridling, den ehemaligen Chef des BVT, klar war, dass das Geld Abu-Nidal gehört hatte. Auch Juwal Grauss, der als Kind den Anschlag auf die Synagoge überlebt hatte, versuchte über den Rechtsweg zu verhindern, dass das Geld freigegeben wurde.

Einschusslöcher wurden vergangene Woche entfernt

Der Fall gilt als eine der größten Niederlagen des BVT. Eine größere Niederlage ereignete sich am 2. November des vergangenen Jahres in Wien. Bei einem islamistischen Terroranschlag kamen vier Menschen ums Leben, 23 Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Kurz nach der Tat war klar, dass der Verfassungsschutz bereits Wochen vor der Tat eindeutige Hinweise auf den Attentäter bekommen, aber nicht rechtzeitig reagiert hatte. Der Anschlag im vergangenen Jahr nahm seinen Ausgangspunkt in unmittelbarer Nähe der Synagoge in der Seitenstettengasse. Es ist davon auszugehen, dass die Besucher und Besucherinnen ein Ziel des Attentäters waren. Es gelang ihm nicht, da die Synagoge zum Zeitpunkt des Angriffs geschlossen war. Die Einschusslöcher am Gebäude wurden vergangene Woche entfernt. (Markus Sulzbacher, 30.8.2021)