Bis Fertőrákos führt die M85 schon. Das Teilstück retour nach Harka ist baustellenbedingt noch zu. Die Verlängerung nach Bécs/Wien ab der Grenze wohl immer.

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Soprons weit auskragender Autobahn-Außenring.

Im heurigen Dezember wird es auch schon wieder 100 Jahre her sein, dass Ödenburg nicht die Hauptstadt des Burgenlandes geworden ist. Und mehr als 30 Jahre ist es her, dass dieses Sopron begonnen hat, es auf die vertrackte Weise des europäischen Zusammenwachsens doch zu werden. Das war wie die Erfüllung des jahrzehntelangen Traums von einem grenzfreien Hin und Her in der Region.

Daraus haben sich, abseits der sonntägigen Reden, freilich so mancherlei Turbulenzen und Fisimatenten ergeben. Nicht zuletzt – wie zuletzt – solche in Personen- und Warenverkehrsangelegenheiten.

Grünes Blut

Das kann dann auch das gerade in Grenzangelegenheiten so liberale grüne Blut in Wallung bringen. Umwelt- und Infrastrukturministerin Leonore Gewessler hat bekanntlich aus Klimaschutzgründen den Lückenschluss zwischen der ungarischen Schnellstraße M85 und der österreichischen A3 gestoppt. Zehn Kilometer von der Grenze in Klingenbach bis zum Knoten Eisenstadt hätten noch gefehlt. Zieht man die lange Auffahrt zum Knoten ab, wären es grad einmal sechs.

Auf ungarischer Seite fehlt nicht mehr viel. Es wird gerade der Tunnel durch den Bécsi domb gegraben, den Soproner Wienerberg. Spätestens 2024 will man vor der Grenze sein. Burgenlands Grünen-Chefin Regina Petrik zeichnet in der "Burgenländischen Volkszeitung" die Zukunft auf ihre Weise dennoch rosig: "Wenn Orbán nicht mit sich reden lässt, wird es halt Blockabfertigungen brauchen. Die Ungarn müssen im Stau stehen, bis es sich für Transportunternehmen auszahlt, auf die Schiene zu gehen."

Stadtschwestern

Ödenburg war stets eine Schwester von Bécsújhely, also Wiener Neustadt, mit der die Stadt auch den Beinamen teilt. Die Niederösterreicherin darf sich "Allzeit Getreue" nennen, weil sie dem Habsburger Friedrich III. im 15. Jahrhundert Schutz geboten hat vorm großen Ungarnkönig Matthias Corvinus. Sopron trägt stolz das Attribut "Civitas fidelissima", allertreueste Stadt, weil sie vor 100 Jahren gegen Österreich – und damit gegen sich als Hauptstadt des Burgenlands – votiert hatte.

Wiener Neustadt und Sopron sind seit jeher auch – oder vor allem – Verkehrsknotenpunkte. Wiener Neustadt hat schon eine weit ausgreifenden Autobahn-Umfahrung. Sopron bekommt gerade ein. Jene eben, die das grüne Blut zum Kochen bringt.

Ring übers Burgenland

Die S4, die Wiener Neustadt mit Mattersburg und über die S31 und die B62 mit Sopron verbindet, steht auch unter Gewesslers Evaluierungdrohung. Dort will – oder wollte – die Asfinag eine Mitteltrennung errichten. Auf der S31 wird diesbezüglich schon fleißig gebaut. Jedenfalls bis Weppersdorf, wo es hinübergeht nach Deutschkreutz und Kopháza. Hier schließt sich der Ring mit der M85 im Süden.

Die Abfahrt Sopron Ost führt in den Vorort Harka. Von dort geht es hinüber nach Neckenmarkt. Und dort mitten durch, weshalb ÖVP-Bürgermeister Johannes Igler zum Wortführer jener mittelburgenländischer Bürgermeister wurde, die auf einen Lückenschluss der A3 drängen.

Güterverladung

Johannes Igler kann übrigens dem Hohen Lied auf die Schiene, das nicht nur Burgenlands Grünen-Chefin Petrik singt, was abgewinnen. Sein Lied beginnt freilich mit einem deutlichen Apropos. Auch das mittlere Burgenland hatte ja eine eigene Eisenbahn, die von Deutschkreutz bis Oberloisdorf geführt hat. Jetzt ist in Deutschkreutz Schluss.

Bis in die Nullerjahre wurde das Holz aus den großen Esterházy-Wäldern der Gegend im jeweils nächstgelegenen Bahnhof verladen. Die Waggons hat man dann nach Deutschkreutz gezogen und dort zu Zügen zusammengestellt, die über die Raaberbahn und Sopron geführt wurden. Auch das Lagerhaus in Mitterpullendorf hatte ein eigenes Anschlussgleis, über das die gesamte Ernte verladen wurde. "Jetzt", klagt Igler, "fahren im Jahr rund 1.500 Lkws zur Verladestelle in Deutschkreutz. Eigene. Vermeidbare. Da sind noch keine Ungarn dabei."

Anschlussgleise

Ein spiegelgleiches Bild auf der Strecke von Sopron nach Wiener Neustadt. 2011 wurde hier die Güterverladung eingestellt. Das Anschlussgleis der Firma Felix in Mattersburg und das kurz zuvor erst in Schuss gebrachte Gleis zum Betonwerk Koch wurden mit einem Mal obsolet. Den ÖBB schien das alles betriebswirtschaftlich geboten.

Der Aufschrei der Grünen war damals sehr überhörbar. Die nächste Verladestation ist jetzt in Neudörfl. Bis dahin: Lkw.

Rollende Landstraße

In Sopron selbst gab es nicht nur eine Verladestation für die Rollende Landstraße bis Wels, sondern auch ein Containerterminal für den Cargoverkehr von und nach dem Hamburger Hafen, der ja bei der Raaberbahn beteiligt war. Der Györ-Sopron-Ebenfurti vasút, der Raab-Ödenburg-Ebenfurter Eisenbahn schien das ein Schritt in eine schöne Zukunft.

Mit dem EU-Beitritt Ungarns 2004 ließ das Interesse an Bahntransporten rasch nach. Nun galt ja die europäische Warenverkehrsfreiheit. Und das Just-in-Time, das die Lagerhaltungskosten auf die Straße überschrieb.

Wirtschaftswarner

Es gäbe also – meint nicht nur der Neckenmarkter Bürgermeister – eh einiges zu tun für den Eifer der Infrastrukturministerin. Dazu bräuchte man nicht nur auf Grenzschikanen zu setzen, die nach dem recht kruden Motto "Wer nicht hören will, muss fühlen!" funktionieren sollen.

Fühlen werde es, fürchtet Manfred Gerger, der Chef der burgenländischen Industrie, unmittelbar die heimische Wirtschaft. "Arbeitsplätze werden verloren gehen." Er fürchtet im Gleichklang mit der Wirtschaftskammer. Das Bau- und Baunebengewerbe sei, so wie die Gastronomie und der Tourismus, ohne ungarische Mitarbeiter nicht denkbar, sagt man dort.

Arbeitspendler

So manche der Pendler aus dem Großraum Sopron teilen die Furcht. Und auch den Grant über die offenbar zunehmende österreichische Animosität. Ildikó Horváth – sie heißt nicht so, sie wollte bloß so heißen in der Öffentlichkeit – ist eine von mehr als 25.000 Tagespendlern aus dem Großraum Sopron. Die in Österreich rasch erhobene Forderung, doch auf Öffis umzusteigen, kostet sie ein müdes Lächeln. "Ich würde ja gerne mit dem Zug oder dem Bus pendeln. Aber wie soll das gehen?"

Ildikó Horváth ist Reinigungskraft in einem niederösterreichischen Pflegeheim. Auch ihre Schwester, eine diplomierte Pflegerin, arbeitet dort, aber nach einem anderen Dienstplan. Der Mann und der Sohn sind bei einem burgenländischen Baumeister unterwegs auf den ostösterreichischen Baustellen. Und die Tochter in einem burgenländischen Hotel. "Ohne Auto könnten wir das einfach nicht machen."

Nicht wenige Soproner pendeln, no na, eh öffentlich: nach Wiener Neustadt oder nach Wien. Dort gibt es dann auch den städtischen Verkehr. Das ginge. "Aber auch nur, wenn man nicht bis in die Nacht arbeiten muss." (Wolfgang Weisgram, 30.8.2021)