Einzig "Kalben" scheint der Abstraktion in Scheibls Werk zu entkommen.
Foto: Hubert Scheibl Albertina / Pixelstorm

Jeweils mindestens ein paradoxes Element muss es in Hubert Scheibls Werken geben. So saugt ein endloser Kosmos aus zarten Farbschleiern Betrachtende verführerisch in sich hinein. Um abrupt mit dieser infiniten Zeitebene und ihrer räumlichen Tiefe zu brechen, hält ein präsenter, direkt an der Oberfläche flirrender Streifen die Zeit kurz an. Fast weht er wie ein Seidenschal durch den Raum. Der Künstler bezeichnet den "Strich" als das "absolute Jetzt".

Das meterhohe Gemälde Ones gehört zu den spannendsten neuen Arbeiten des 1952 in Gmunden geborenen Malers, die ab Dienstag in der Pfeilerhalle der Wiener Albertina zu sehen sind. Der Titel weist bereits auf die Einmaligkeit hin, die dem Bild inhärent ist. Mit einer großzügigen Bewegung und einem breiten Pinsel streift Scheibl, der bei Arnulf Rainer studiert hat und Mitglied der Neuen Wilden war, einmal über die präparierte Oberfläche. (Ähnlich tut er dies mit einer Spachtel, weswegen seine Technik auch mit jener Gerhard Richters verglichen wird.)

In "My private B." zitiert Scheibl eine verdrehte Figur von Francis Bacon aus der Sammlung Batliner.
Foto: Hubert Scheibl Albertina / Pixelstorm

B wie Bacon

Dabei steht er vor der senkrechten Leinwand auf einem Stockerl, jede Bewegung zählt. Denn die Crux dabei ist: Nur ein einziges Mal kann dieser Vorgang vollbracht werden, ein nachträgliches Korrigieren oder Verschönern gibt es für Scheibl nicht. Über sein Mantra "Was liegt, das pickt" kann er sich dann durchaus ärgern, sagt er, zieht es aber stringent durch. Wenn ein Bild nicht gelingt, muss er es zerstören. Auch mit einer Übermalung wäre der Fehler für ihn nicht vergessen.

In der Schau Seeds of Time werden Werke aus früheren Jahren mit ganz neuen Serien gemeinsam ausgestellt. Einige stammen aus der Kollektion der Albertina, öfter sind sie auch in Sammlungspräsentationen des Museums vertreten, aktuell zum Beispiel in Wonderland in der Albertina Modern. Der Künstler selbst zitiert auch andere Werke, beispielsweise aus der Sammlung Batliner: So lehnt sich My private B. an eine verdrehte Figur von Francis Bacon an, wobei B. für Bacon steht. Allerdings bleibt der Bezug nur sehr vage in den verrenkten Farbschlieren erkennbar.

Ironische Ergänzung: Skulpturen aus gefundenen Materialien.
Foto: Hubert Scheibl Albertina / Pixelstorm

Papiermaché mit Glasauge

Die Kuratorin Antonia Hoerschelmann bezeichnet diese Kombination aus Zufall und Planung als zentral für Scheibls abstraktes Werk. In seiner Arbeit Euglena brandet vor einer intensiven Farbpalette eine fast liquid wirkende Welle aus Silber. Die Farbe ließ der Künstler nach ihren eigenen Regeln und mithilfe von Windstößen verrinnen.

Seine letzte Einzelausstellung in Österreich fand 2017 im Belvedere statt, bei seiner jüngsten in China ließ er sich zu neuen Skulpturen inspirieren. Diese aus gefundenen Materialien errichteten Objekte treten nun in Dialog mit den Leinwänden: Äste, Pinsel oder Zeitungspapier werden zu Totems und Figuren aus Papiermaché mit Glasaugen und fügen sich als ironische Ergänzung in Scheibls paradoxen Kosmos.

Lediglich das Bild Kalben suggeriert eine Gegenständlichkeit und spricht somit eine Debatte des Jetzt an: ein in alle Blautöne gehüllter dahinsiechender Eisberg. (Katharina Rustler, 31.8.2021)