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Kanye West hält seine Listening-Partys in Stadien ab. Die Bilder der Veranstaltungen gehen um die Welt. Außerdem möchte er seinen Vornamen gerade offiziell zu "Ye" ändern lassen.

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Während diese Zeilen geschrieben werden, befinden sich auf Kanye Wests Instagram-Account genau zwei Bilder. Eines zeigt Kim Kardashian in einem Brautkleid (dazu später), das andere besteht aus einem kurzen Text. Dort ist zu lesen, dass Universal Music Kanye Wests zehntes Studioalbum Donda, das den Namen seiner 2007 verstorbenen Mutter trägt, ohne sein Einverständnis veröffentlicht habe. Das mag stimmen, oder auch nicht. Vielleicht behauptet West das auch nur, weil die ersten Reaktionen auf Donda nicht nur positiv ausfielen, vielleicht gehört die Behauptung auch zu einer ausgefeilten Marketingstrategie, die auf Kontroverse setzt (auch dazu später), vielleicht ist tatsächlich jemandem bei Universal der vertraglich abgesicherte Geduldsfaden gerissen, nachdem Donda bereits 2020 hätte erscheinen sollen und West seine Veröffentlichung mehrfach kurzfristig zurückzog.

Vielleicht wird der Text von Wests Instagram-Profil gelöscht, das Album wieder von den Streamingplattformen verschwunden oder West in den Himmel aufgefahren sein, wenn dieser Artikel zu Ende geschrieben ist – man hält in West-Belangen nichts mehr für unmöglich.

Geschmacklos berechnend

Ginge es tatsächlich um ein Album, würde hier der Teil des Artikels folgen, in dem man die 27 (!) Nummern des fast zweistündigen Werks analysiert. Man würde das Mutterthema und die wie auch auf dem Vorgängerwerk dominierende Gottespräsenz, wiewohl auf dem düsteren Donda der Teufel wieder mehr zu melden hat, ausmachen.

Kanye West

Man würde erwähnen müssen, wie viele hochkarätige Gäste West – von Jay-Z über Young Thug bis zu Playboi Carti – auf Donda versammelt hat und wie geschmacklos berechnend seine Entscheidung war, auf dem Track Jail 2 sowohl den wegen homophober Aussagen jüngst ins Kreuzfeuer geratenen Rapper DaBaby als auch den von mehreren Frauen des Missbrauchs bezichtigten Marilyn Manson zu featuren.

Man würde ein, zwei Nummern, zum Beispiel die Zusammenarbeit mit The Weeknd, Hurricane, oder das dringliche Heaven and Hell lobend erwähnen, um dann doch zu dem Schluss zu kommen, dass es vom Westchen nichts Neues gibt. Weder das Album als Einheit noch der Einzeltrack überrascht mit zündenden Ideen.

Kanye West

Aber es geht ja nicht um ein Album, also nochmal Glück gehabt. Auch in der Berichterstattung spricht kaum noch jemand von einem Albumrelease, sondern – man hört direkt das Augenrollen – von der "Donda-Saga". Die darf man als Unterkapitel der Kanye-West-Saga lesen, die wohl 2009 begann. Da stürmte der Musiker die Bühne bei den Grammys, weil er Taylor Swift ihren Preis nicht gönnte. Davor war der 1977 in Atlanta geborene West ein völlig zu Recht gefragter, weil origineller, mit allen Samples gewaschener Produzent und ein Rapper mit bereits vier guten Alben (The College Dropout, Late Registration, Gradutation und dem soundtechnisch eine neue Richtung einschlagenden 808s & Heartbreak) auf dem Weg zum Superstardom. Danach war er ein Meme, ein Phänomen.

Mehr als Musikmachen

2010 war mit dem fantastischen Album My Beautiful Dark Twisted Fantasy wohl der letzte Zeitpunkt, an dem Wests Musik sich mit dem "Drumherum" gesund die Waage hielt. Der große Erfolg des Albums lag auch daran, dass West zusätzlich einen Kurzfilm namens Runaway veröffentlichte, der die danach totgerittene Idee des Visual Albums (siehe später Beyoncé) vorwegnahm. Das Albumcover wurde vom Maler George Condo gestaltet, bei den Grammys verzierten im Hip-Hop doch nicht ganz so präsente Ballerinas die Bühne.

Kanye West

Es war ersichtlich, dass West an einer Vision arbeitete, die weit über das Musikmachen hinausging und sich mehr an der Vorstellung des Universalkünstlers orientierte. Und der darf auch im Sinne des Aneckens mit Anlauf für Donald Trump wahlkämpfen oder Sklaverei als Wahl hinstellen – zumindest hielt West das für eine "interessante" Idee. Irgendwie machte ihn das alles zum relevantesten Künstler des postfaktischen Zeitalters, und das ist mehr Feststellung als Kompliment. Die Musik war da folgerichtigerweise längst nicht mehr das bestimmende Element, nicht einmal mehr die Hälfte der "west"lichen Welt.

Wohnhaft Umkleidekabine

Mit Donda hat das "Drumherum" nun völlig überhandgenommen. Die 27 Nummern vergisst man ziemlich schnell, aber die Bilder der Streaming-Events haben sich bereits ins popkulturelle Gedächtnis eingebrannt: West hielt vor Veröffentlichung des Albums zwei Listening-Partys im Mercedes-Benz-Stadion in Atlanta ab und zog temporär in eine Umkleidekabine, um das Album fertigzustellen. Am 26. August gab es dann noch eine Listening-Party im Soldier-Field-Stadion in Chicago, in dessen Mitte West sein Elternhaus nachbauen ließ und mittels strahlenden Kreuzes auf dem Dach zur Kirche adelte. Seine Nochehefrau Kim Kardashian erschien in einem Hochzeitskleid von Balenciaga. Schaut alles nach einer Festwochen-Produktion mit ordentlichem Budget aus. Und darum geht es auch: Donda ist nicht der Endpunkt einer ewig dauernden Promophase, sondern ein Baustein einer riesigen Performance. (Amira Ben Saoud, 30.8.2021)