Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat am türkisen Bundesparteitag am Samstag dem "politischen Islam" einmal mehr "den Kampf" angesagt.

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Die ÖVP will ein "Scharia-Verbot schaffen". So steht es im türkisen Leitantrag vom Bundesparteitag am Samstag. Das Ansinnen ist nicht ganz neu, dennoch stellen sich mehrere Fragen: Wo findet die Scharia denn aktuell überhaupt Einzug in Österreich? Ist das tatsächlich ein Problem? Und sollte das so sein, was könnte man dagegen tun? Oder viel mehr: Was will die Volkspartei konkret machen?

Zuerst einmal: Die Scharia ist kein einheitliches Gesetzbuch, auf dem "Scharia" steht. Es handelt sich dabei viel mehr um Rechtsvorschriften, die aus Koran und Sunna abgleitet werden. Weit über eine gewöhnliche Rechtsordnung hinaus geht es somit auch um die religiösen Regeln der Glaubenspraxis wie etwa Speisevorschriften, die Reihenfolge von Ritualen oder auch die Fußstellung beim Gebet.

Islamismusexperte Heiko Heinisch erklärt, dass das Scharia-Strafrecht in den meisten islamisch geprägten Staaten nicht praktiziert werde – ausgenommen in Staaten wie dem Iran, zum Teil in den Golfstaaten und in Saudi-Arabien. In Ländern wie Jordanien werde das Zivilrecht der Scharia von weltlichen Richtern angewendet. Bei einer Scheidung werden die Kinder etwa Scharia-gemäß automatisch dem Mann zugesprochen.

Scharia teils auch geschützt

Es gibt Teile der Scharia, die im völligen Einklang mit dem österreichischen und europäischen Recht stehen, die im Sinne der Glaubenspraxis als Menschenrecht sogar geschützt sind. Darunter fallen etwa das Beten oder Fasten. Auch wer zum Beispiel kein Schweinefleisch essen möchte, muss das logischerweise nicht tun, das gilt für Vegetarier genauso wie für religiöse Menschen. Kurz: Wo die Scharia mit der österreichischen Verfassung und mit den Gesetzen vereinbar ist, ist sie erlaubt. Grausame Körperstrafen mit der Scharia zu rechtfertigen war und ist in Österreich hingegen noch nie möglich gewesen.

Der ehemalige Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Graz, Willibald Posch, hatte aber schon vor Jahren einmal in einem STANDARD-Interview auf die Problematik der Scharia im heimischen Rechtssystem aufmerksam gemacht: Denn anders als etwa im Strafrecht bestehe im Zivilrecht der Grundsatz des internationalen Entscheidungsgleichklangs. Das bedeutet, dass Gerichte nicht unbedingt eigenes, heimisches Recht anwenden müssen. Die Grundlage dafür sei das Internationale Privatrecht, das darlege, welches Gesetz auf einen Sachverhalt mit Auslandsberührung anzuwenden sei.

Strittige Scheidungsfälle

Posch nannte ein Beispiel: Wenn etwa ein Ehepaar, das aus einem islamischen Land wie Pakistan stammt und keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, zu einem österreichischen Richter kommt und sich scheiden lassen will. Dann müsse der feststellen, welches Recht anzuwenden ist. "Es ist dies das pakistanische Recht. Sofern das Ergebnis der Anwendung dieses Rechtes nicht mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsprechung in Widerspruch steht", erklärte Posch.

In Großbritannien gibt es mittlerweile eigene Scharia-Councils, die zivilrechtliche Causen wie Scheidungen oder Erbschaftsstreitigkeiten abhandeln. Sollte eine Frau mit einer Scheidung nicht einverstanden sein, kann sie ein staatliches Zivilgericht anrufen. In der Praxis, sagt Islamexperte Heiko Heinisch, passiere das aber nie, "weil sich Frauen nicht trauen, zu einem Zivilgericht zu gehen, da sie dann in der Community geächtet werden". Die Entscheidungen der Scharia-Gerichte werden jedenfalls in der zivilen Gesellschaft anerkannt.

Keine Parallelsysteme

Aber geht es der ÖVP überhaupt um solcherlei Fälle oder das Internationale Privatrecht? Auf Nachfrage des STANDARD heißt es aus der ÖVP-Parteizentrale nur: "Wir wollen mithilfe eines Scharia-Verbots gegen eine religiöse Gesellschafts- und Staatsordnung vorgehen. Wir stehen für eine Demokratie, in der die Regeln für alle Menschen gleich sind, und wollen keine Parallelsysteme." In der ÖVP wird aber auch auf Probleme wie jene der Scharia-Gerichte in Großbritannien verwiesen. Die konkrete Ausgestaltung eines Scharia-Verbots müsse man sich im Zuge der Umsetzung ansehen. Mit dem grünen Koalitionspartner wurden diesbezüglich allerdings noch keine Gespräche geführt. Heinisch kann der Debatte um die Scharia durchaus etwas abgewinnen, wiewohl noch geklärt werden müsse, inwieweit es sich bei diesem ÖVP-Vorstoß nicht nur um "politische Schlagwörter" handle. Österreich habe jedenfalls die Möglichkeit, bei der Anwendung des internationalen Privatrechtes autonom zu entscheiden.

Islamexperte Ednan Aslan empfiehlt, bevor eine Debatte über ein Islamverbot beginnt, solle der Begriff "Scharia" geklärt werden. Die ÖVP müsse definieren, was sie darunter verstehe. Zumal es ja mehrere Ebenen gebe, die in der Scharia behandelt werden – gesetzliche, religiöse. "Wenn man allgemein von einem Scharia-Verbot spricht, kann das auch heißen, dass das Gebet oder die Pilgerfahrt, die in der Scharia stehen, verboten werden." (Katharina Mittelstaedt, Walter Müller, 30.8.2021)