Der politische Umgang mit der Corona-Pandemie in Österreich entwickelt sich zunehmend zu einer Geschichte der Déjà-vus – man könnte auch von Wiederholungszwängen sprechen. Wie 2020 feierten Kanzler Kurz und Co im heurigen Frühsommer die Lockerungen wählerstreichelnd als Befreiung, während das Schuljahr endete und das Virus saisonbedingt harmloser wurde.

Es folgten – auch das ein Remake – lange Wochen des Wegschauens, während die Fallzahlen wieder zu steigen begannen.

Schulschließungen und andere Lockdown-Maßnahmen seien auf keinen Fall geplant.
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Nun beteuern Kanzler, Unterrichtsminister und der eine oder andere schwarze Landeshauptmann wie im vergangenen Spätsommer, dass Schulschließungen und andere Lockdown-Maßnahmen auf keinen Fall geplant seien. Doch die Inzidenzen steigen weiter. Kann es sein, dass die Regierung die wohlklingende Botschaft, wir kämen ohne Homeschooling und andere Lockdown-Maßnahmen durch den nächsten Herbst und Winter, aus Imagegründen so lang wie möglich verbreiten möchte? Bis noch mehr Experten aufschreien und dem grünen Gesundheitsminister Mückstein nichts anderes übrigbleibt, als ungeliebte Fakten zu schaffen?

Schäden an Kindern

Unwahrscheinlich ist ein solches Szenario keineswegs, denn in Zeiten der Delta-Variante sind kurzfristige Corona-Bremseffekte nicht zu erwarten. Zwar warnen WHO und Unicef völlig zu Recht vor weiterem Homeschooling und beziffern die sozialen und psychischen Schäden an Kindern in den vergangenen eineinhalb Jahren als hoch. Aber wie anders als mit Zusperren reagieren, sollte sich die Delta-Welle im Herbst trotz Teststrategien österreichweit aufbäumen, mit Schulklassen der noch nicht impfbaren unter Zwölfjährigen als Virusumschlagplatz in Richtung nicht immunisierter Älterer?

Nicht im Lockdown liege die Antwort, sondern in der Impfung, sagt dazu Kurz. Das hört sich gut an, riecht nach Freiwilligkeit und Selbstverantwortung. Doch angesichts der seit Wochen lahmenden Impfbereitschaft bei jenen rund 40 Prozent der Bevölkerung, die sich die Stiche noch holen könnten, ist es nur heiße Luft.

Tatsächlich fehlen der Bundespolitik anscheinend Wille und Mut, das Problem offensiv anzugehen. Die Impfung wirkt, der Impfstoff ist vorhanden – dennoch droht weiteren tausenden Menschen in Österreich eine vermeidbare schwere Krankheit oder gar der Tod.

Wo bleibt eine neue, konzertierte Impfkampagne, die dieser absurden und gefährlichen Lage gerecht wird? Wer aus der Regierung oder den Interessenvertretungen macht einen ersten Schritt, um den Impfzögernden im Gesundheitsbereich, in der Lehrerschaft und unter Kindergartenmitarbeitenden klarzumachen, wie verantwortungslos ihr Verhalten ist? Sich gegen Infektionskrankheiten impfen zu lassen, muss in diesen Berufsgruppen zu den Selbstverständlichkeiten gehören, das ist auch für die Zeiten nach Corona wichtig.

So aber fühlen sich derzeit vor allem Eltern von unter Zwölfjährigen alleingelassen. Im Bestreben, sich diesen Herbst und Winter nicht wieder zwischen Job und Aushilfslehramt zersprageln zu müssen, sind sie trotz einer besonders aggressiven Virusvariante gezwungen, ihren ungeschützten Nachwuchs Personen anzuvertrauen, auf deren Immunität sie sich nicht verlassen können. Das ist inakzeptabel. (Irene Brickner, 31.8.2021)