Chris Donahue verließ als letzter US-Soldat Afghanistan.

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Die USA und ihre Anhängsel, die restlichen Nato-Staaten, wurden mit dem Ende des Militäreinsatzes in Afghanistan nun auch offiziell zu Grabe getragen auf dem Friedhof der Supermächte. Das klingt drastisch, doch die Geschichtsbücher bestätigen den Vergleich: In Afghanistan sind bereits die Briten im 19. Jahrhundert und die Sowjets in den 1980er-Jahren spektakulär gescheitert. Nun haben die Amerikaner nach 20 Jahren Krieg einen Abgang hingelegt, wie er desaströser kaum hätte sein können. Die Folgen, aber auch die Erkenntnisse daraus sind vielfältiger Natur.

Die dramatischen Szenen am Flughafen von Kabul samt Terroranschlag haben vor allem für US-Präsident Joe Biden gravierende Auswirkungen. Sein "Saigon-Moment" in Anspielung an den ähnlich katastrophalen Abzug aus Vietnam 1975 wird ihn noch sehr lange beschäftigen, vermutlich sogar seine gesamte Präsidentschaft prägen. Innenpolitisch gibt es Kritik, natürlich von den Republikanern, aber auch parteiintern, und sie wird mit jeder weiteren Hiobsbotschaft – und die werden durch die Regentschaft der Taliban mit Sicherheit kommen – aus Afghanistan neu entfacht.

Taiwan im Visier

Außenpolitisch ist die Art und Weise des US-Abzugs ein gefundenes Fressen für die großen geopolitischen Kontrahenten der Vereinigten Staaten. Peking nutzt den "Kabul-Moment" der USA, um Taiwan zu verunsichern, jene Insel, die China so gerne in sein Reich zurückholen würde. Chinesische Zeitungen berichteten genüsslich über die Ereignisse in Afghanistan und kommentierten, Taiwan könne sich künftig nicht mehr auf seine Schutzmacht, die USA, verlassen: Deren globaler Führungsanspruch neige sich dem Ende zu, wie man eben an Afghanistan gesehen habe. Und nur wenige Tage später hielt China Militärübungen ab – nahe Taiwan.

Abgesehen davon will China, das bis 2049 zur Supermacht aufsteigen will, genau wie Russland den nun von den USA freigegebenen Einflussbereich nutzen und in Afghanistan mitmischen. Nicht ohne Grund haben Peking und Moskau bereits vor Monaten hochrangige Taliban-Anführer empfangen. Gleichzeitig wollen beide Großmächte unter allen Umständen verhindern, dass der Terrorismus von Afghanistan aus nach Osten oder Norden exportiert wird.

DER STANDARD

Das Terrorproblem der Taliban

Die Taliban haben auch hoch und heilig versprochen, dem Terrorismus abzuschwören und ihn selbst im Land zu bekämpfen. Doch die Anschläge am Flughafen von Kabul zeigen: Es liegt nicht nur in der Hand dieser einen radikalislamistischen Gruppe. Die Taliban selbst haben ein Terrorproblem – das ist eine eher bizarre Folge des US-Abzugs aus Afghanistan.

Und die EU? Die ist vor allem mit internen Streitereien beschäftigt, ob man gefährdete Afghaninnen und Afghanen aufnehmen soll oder nicht; oder wie man die Transitländer dazu bringt, afghanische Flüchtlinge und Migranten zu stoppen. Auch das ist angesichts der geopolitischen Dimension des Ganzen bizarr – und zeigt einmal mehr, dass die EU auf der Weltbühne nur eine minimale Rolle spielt. (Kim Son Hoang, 31.8.2021)