Österreich ist nicht das einzige Land, in dem die Corona-Infektionszahlen rasant zunehmen. Aber der Anstieg ist im EU-Vergleich besonders stark, und begleitet wird diese bedrückende Entwicklung von einer weiteren Zahl, die sie ein wenig erklärt und Grund für zusätzliche Sorgen gibt: Österreich ist bei der Durchimpfungsrate Schlusslicht unter den westeuropäischen Staaten und liegt dadurch auch unter dem EU-Durchschnitt. Der Unterschied ist nicht immer groß, aber gegenüber Ländern wie Dänemark oder Belgien gewaltig.

Da genügend Impfstoff zur Verfügung steht und da es inzwischen sehr einfach geworden ist, sich impfen zu lassen, gibt es nur eine Erklärung für diesen Rückstand: Die Impfskepsis ist hierzulande höher als in anderen Ländern mit vergleichbarem Bildungsniveau und Einkommen.

Herbert Kickl, Bundesparteiobmann der FPÖ.
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Warum weigert sich mehr als ein Drittel der Bevölkerung, eine Entscheidung zu treffen, durch die sie vor schwerer Krankheit geschützt und der einzige Ausweg aus der Pandemie ermöglicht wird? Warum glauben so viele an unsachliche Einwände und Quacksalberthesen? Für ein solches Phänomen gibt es immer vielfältige Gründe. Es kann an ineffektiven Aufklärungskampagnen liegen, der Einstellung zur etablierten Medizin und Wissenschaft, der Popularität alternativer Heilmethoden, allgemeiner Skepsis gegenüber Autoritäten oder an der Nutzung fragwürdiger Medienquellen, nicht nur im Internet, sondern auch impfskeptischer Sender wie Servus TV. Aber in keinem dieser Punkte sticht Österreich besonders hervor.

Fragwürdige Argumente

Wo sich Österreich unterscheidet, ist die politische Landschaft. Nirgendwo sonst in Europa gibt es eine Partei mit so starker Unterstützung, deren Chef so vehement gegen Impfungen Stimmung macht wie die FPÖ unter Herbert Kickl. Die deutsche AfD ist im Großteil Deutschlands weniger stark, und andere führende Rechtspopulisten wie Marine Le Pen in Frankreich oder Matteo Salvini in Italien legen sich in der Impffrage nicht fest.

Kickl hingegen transportiert bei jeder Gelegenheit alle fragwürdigen Argumente gegen die Impfung – das Virus sei nicht gefährlich, die Impfung nicht wirksam, der Zulassungsprozess fragwürdig, die Nebenwirkungen hoch und alternative Therapien erfolgreicher – und prägt damit in großen Teilen der Bevölkerung die Stimmung. Es ist wohl kein Zufall, dass die ländlichen Bezirke, in denen besonders wenige Bewohner geimpft sind, oft typische FPÖ-Hochburgen sind – vor allem in Oberösterreich, wo auch die anderen Parteien im Wahlkampf nicht aufs Impfen drängen.

Wer sich nicht impfen lässt, wird sich früher oder später mit der Delta-Variante oder zukünftigen Mutationen infizieren – unabhängig vom Alter und Gesundheitszustand. Viele von ihnen werden schwer erkranken, andere unter Long-Covid-Symptomen leiden, einige werden sterben. Und wenn in Österreich keine Herdenimmunität erreicht wird, dann drohen noch lange Zeit härtere Einschränkungen oder gar Lockdowns.

Kickl mag zwar nicht in der Regierung sitzen, aber er hat hier Macht, viel Macht. Und diese Macht ist destruktiv, gefährlich und in manchen Fällen tödlich. Den FP-Chef zu ignorieren wird nicht funktionieren. Es liegt an anderen Politikern und Meinungsmachern, mit aller Kraft dagegenzuhalten. Zu viel steht für Österreich auf dem Spiel. (Eric Frey, 1.9.2021)