Die Welt ist im Umbruch. Die Klimakatastrophe, die den Menschen als Spezies in Gefahr bringt, verlangt eine ungeheuer schnelle Adaptierung von Politik, von Wirtschaft, von menschlichen Verhaltensmustern. Gleichzeitig ist eine digitale Revolution im Gange, die diese Bereiche ebenfalls fundamental transformiert – auf kaum kontrollierbare Weise. Der Wandel hat Auswirkungen auf das Selbstverständnis der Menschen.

Spielräume für Handlungen, die alten Denkmustern folgen, werden eng und führen in die Sackgasse. Könnte in dieser Situation die Kunst an Bedeutung gewinnen? Könnte sie helfen, kreative Lösungen, Denkweisen und Haltungen zu generieren, die es einfacher machen, durch die radikalen Veränderungen unserer Gegenwart und nahen Zukunft zu steuern?

Graffiti zum Thema Klimawandel: Die Welt ist im Umbruch, kann die Kunst in dieser Situation an Bedeutung gewinnen?
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Diesen Fragenkomplex stellte die Debatte "The Art of Radical Change" beim Europäischen Forum Alpbach ins Zentrum, die im Rahmen der Reihe Arttec stattfand – ein Veranstaltungselement, das Technologie und Wissenschaft mit künstlerischer Kreativität zu verbinden sucht.

Komplexe Herausforderungen

In welcher Weise die Kunst in Zeiten des Umbruchs Gestaltungsspielraum und Orientierung geben kann, diskutierten der Rektor der Universität für angewandte Kunst, Gerald Bast, der bisherige Generaldirektor des Mak, Christoph Thun-Hohenstein, die Pariser Philosophieprofessorin Corine Pelluchon sowie Katja Schechtner vom Senseable City Lab Boston des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Thun-Hohenstein ist auch Gründer der Vienna Biennale for Change, einer Wiener Ausstellungsreihe, die sich heuer mit dem Thema "Klimafürsorge", Climate Care, beschäftigt.

Angesichts des dramatischen Wandels, der notwendig ist, führe eine konventionelle Logik, ein lineares Wenn-dann-Denken nur tiefer in den Abgrund – denn auch die Herausforderungen, vor denen wir stehen, folgten keiner linearen Logik, betont Angewandte-Rektor Bast. Für ihn muss die Gesellschaft von der Denkweise, dem Mindset der Künstler lernen, um besser mit Unsicherheiten und Ambiguitäten umgehen zu lernen. Angesichts der komplexen Herausforderungen braucht es ein Denken in Alternativen, Vorstellungskraft, Intuition, die Fähigkeit, ungewöhnliche Verbindungen zu schlagen – ein kreatives Vermögen, das zum technischen und wissenschaftlichen dazukommen muss.

Systemischer Wandel

Angesichts der Dringlichkeit der Aufgabe – in sieben Jahren wird aus heutiger Sicht die 1,5-Grad-Marke der Erderwärmung erreicht – werde das nicht reichen, glaubt hingegen Mak-Chef Thun-Hohenstein. Die Stärken der Kunst müssten darüber hinaus genutzt werden, um einen systemischen Wandel voranzutreiben. "Ein blühender Garten guter Ideen bringt uns nicht ans Ziel", so der Mak-Direktor. Modellhafte Ideen und Prozesse müssen kuratiert sein und im Sinne von Open Source allen Menschen zugänglich gemacht werden.

Zu Corine Pelluchons Arbeitsschwerpunkten gehört angewandte Ethik. Sie hat etwa bereits das französische Parlament bei Bioethik-Gesetzen beraten. Sie plädiert für eine neue Aufklärung, die nicht mehr nur den Menschen in den Vordergrund stellt, sondern die Natur als gleichberechtigte Entität ansieht. Der Mensch muss sich vor allem selbst verändern und die "Distanz zwischen Bewusstsein und Handlung, zwischen Ratio und Ethik" vermindern. Die Kunst lasse zu, als "Prediger des Wandels" über die Verhältnisse zu sprechen und, mehr als das, sie fühlen zu lassen. Es geht darum, mit der Welt zu leben, nicht lediglich in der Welt.

Kunst als zentraler Treiber von Veränderungen

Während bei Bast und Thun-Hohenstein die Forderung nach einer größeren Rolle der Kunst im Wandel der Welt dominiert, sieht Stadtforscherin Katja Schechtner, die zuletzt auch als Advisor for Innovation and Technology bei der OECD tätig war, die Kunst längst als einen zentralen Treiber von Veränderungen. Jeder Studierende an ihrem Institut bewegt sich in einer Matrix, zwischen Designer, Ingenieur, Wissenschafter und Künstler – Bereiche, die sowohl theoretische als auch praktische Seiten von Entwicklungen abdecken.

Ein Oszillieren zwischen Kunst und Wissenschaft sei also der Normalfall, sie bedingen einander gegenseitig. Ein neuer philosophischer Gedanke könne zu einer neuen Art der Technologieentwicklung führen, eine neue Anwendung denkt ein neues Mindset längst mit. Die Entwicklung von Technologie ist für Schechtner ein kultureller Ausdruck der Menschen und "eine spielerische Art, mit der Welt zu interagieren".

Auch gegen die Ansicht, dass bei den Veranstaltungen in Alpbach die Künste zu kurz kommen, wehrt sich Schechtner. Junge Studierende würden in den Seminaren genau die Themen des Panels diskutieren: radikale Mindsets, Ambiguität und das Zusammendenken von Kultur und Natur. (Alois Pumhösel, 4.9.2021)