Im preisgekrönten Gebäude des Landesgerichts Korneuburg verhandelt ein Schöffengericht über einen 29-jährigen afghanischen Ex-Polizisten.

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Korneuburg – "Weil sie sagte, sie hat Angst bekommen, dachte ich, ich mach Spaß mit ihr", erzählt der Angeklagte H. dem Schöffengericht unter Vorsitz von Manfred Hohenecker. "Was für einen Spaß?", will der Vorsitzende im Landesgericht Korneuburg wissen. "Ich weiß nicht, wie ich an ihren Schal gekommen bin", lautet die verwirrende Antwort des 29-jährigen Angeklagten. "Plötzlich ist es ihr schlecht gegangen." – "Moment, Moment", unterbricht ihn Hohenecker. "Davor haben Sie den Schal zugezogen und Frau M. gedrosselt. Guter Scherz, oder?", stellt der Vorsitzende eine rhetorische Frage. "Ich schäme mich zutiefst", entschuldigt sich der Angeklagte. "Das ist angebracht", kommentiert der Vorsitzende staubtrocken.

Er verhehlt kaum, dass ihn die Geschichte, die hinter dem Anklagevorwurf der absichtlichen schweren Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen gegen H. steht, empört. Der Angeklagte war in seiner Heimat Afghanistan Polizist und kam 2016 nach Österreich. Familie M. nahm ihn auf, Vater, Mutter und Tochter engagieren sich ehrenamtlich in der Flüchtlingsbetreuung. Im November 2017 begann der verheiratete Vater zweier Kinder mit der 40-jährigen Tochter eine Beziehung, die bis Juni 2020 dauerte. Auch danach blieben die beiden befreundet, sie wohnten zwei Kilometer entfernt voneinander in Niederösterreich.

On-off-Beziehung bis Sommer 2020

"Wer hat die Beziehung beendet?", will der Vorsitzende von der Tochter wissen. "Er. Das hat er schon früher immer wieder gemacht, hat sie dann aber immer wieder begonnen." Denn offenbar war H. eifersüchtig, sobald M. Kontakt mit anderen Männern hatte. Im Juni 2020 hatte sie dann aber endgültig einen Schlussstrich gezogen. "Er hat es danach schon wieder probiert", erinnert sich die Zeugin, sie habe aber abgelehnt.

Eine Woche vor dem Tattag, dem 29. Mai, eröffnete sie ihm, dass sie einen neuen Mann kennengelernt habe. H. wollte das persönlich besprechen, sie nicht. Gegen 22.30 Uhr rief der Angeklagte am 29. bei M. an und sagte, er brauche ihren Ersatzschlüssel zu seiner Wohnung. Sie sagte ihm, wo der liege, und erwähnte, dass sie in Wien sei. Worauf er fragte, ob sie mit dem neuen Mann unterwegs sei, ob sie Sex hätten und ob der besser sei als mit ihm.

Luft aus Hinterreifen gelassen

Kurz darauf fuhr sie mit dem Zug heim. Am Bahnhof entdeckte sie, dass jemand die Luft aus dem Hinterreifen ihres Rades gelassen hatte. "Ich hatte ein ungutes Gefühl", schildert sie. Sie fuhr etwa 500 Meter auf der Felge, als sie H. auf dem unbeleuchteten Radweg sah. Die Frage, ob er mit dem Platten zu tun habe, verneinte er. Dann habe er die Enden ihres einmal um den Hals geschlungenen Schals gepackt und zugezogen. "Hatten Sie Todesangst?", fragt Hohenecker. "Ja."

Möglicherweise verlor sie das Bewusstsein, sie hat jedenfalls Erinnerungslücken. Sie konnte sich kaum auf den Beinen halten, H. schleppte sie fast zu ihrem Haus. Dort brach sie laut Aussagen ihrer Mutter dann zusammen und sagte: "H. wollte mich umbringen." Erst nach einer halben Stunde erlaubte sie ihrer Mutter, die Rettung zu verständigen, die wiederum die Polizei einschaltete. Der Angeklagte flüchtete noch in derselben Nacht nach Paris. Zwei Wochen später ließ er sich von Vater M. überreden, zurückzukehren und sich zu stellen.

Bier und Kokain

Der Angeklagte stellt die Vorgänge so dar: Er habe mit zwei Freunden, von denen er nur die Vornamen kennt, am Handelskai in Wien vier oder fünf Bier getrunken und Kokain konsumiert. Dann sei er heimgefahren und habe entdeckt, dass er seinen Schlüssel vergessen habe. Also rief er M. an – über den neuen Mann an ihrer Seite habe er aber nicht gesprochen, da er nicht eifersüchtig sei.

Er ging zwei Kilometer zum Haus der Ex-Freundin, holte den Ersatzschlüssel, ging wieder zurück in seine eigene Wohnung. Als er den nächtlichen Weg neuerlich startete, um den Ersatzschlüssel im Postkasten der M.s zu deponieren, sei ihm eingefallen, dass M.s Zug ja demnächst kommen müsse, behauptet er. Daher sei er ihr entgegengegangen. "Dann haben Sie sie getroffen. Haben Sie ihr den Schlüssel zurückgegeben?", fragt der Vorsitzende. "Zu diesem Zeitpunkt nicht." Denn – er wollte ja den "Spaß" machen.

Zehn Sekunden Luft abgeschnürt

Nach eigenen Angaben habe er den Schal rund zehn Sekunden zugezogen, sagt der Kampfsportler. Plötzlich sei M. zur Seite gekippt. Die Handlung führte bei M. zu einem Würgemal am Hals, den bei Drosselungen typischen Einblutungen in den Augen und den Stirnzellen. Vor allem aber zu Lähmungen im rechten Arm: Ein vorgeschädigter Nerv in einem Halswirbel hatte sich verschoben, eine Notoperation wurde notwendig.

Da die Lähmungserscheinungen aber verschwunden sind, bleibt nur die absichtliche schwere Körperverletzung über. Die nicht rechtskräftige Strafe für den unbescholtenen H.: vier Jahre Haft. "Dass das absichtlich war, da waren wir uns rasch einig", verrät Hohenecker in seiner Begründung. "Wenn man jemanden mit einem Schal drosselt, passiert eine schwere Verletzung nicht, man macht das absichtlich." Der Vorsitzende ist auch von etwas anderem überzeugt: "Dass das kein Spaß war, haben Sie genau gewusst. Ihr Geständnis war in Wahrheit wertlos."

H., der während der Verhandlung noch gesagt hat, er akzeptiere jede Entscheidung, nimmt sich doch Bedenkzeit, auch die Staatsanwältin gibt keine Erklärung ab. M. sagt, sie habe H. verziehen, wolle ihn aber nicht mehr sehen: "Das ist gesünder." (Michael Möseneder, 31.8.2021)