Zum Auftakt des neuen schottischen Parlamentsjahres hat Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon von der Nationalpartei SNP die Grünen in ihre Regierung eingebunden und sich damit eine stabile Mehrheit gesichert. Von ihren beiden neuen Staatssekretären erwarte sie sich "einen großen Beitrag zur Gestaltung einer besseren Zukunft", sagte die 51-Jährige am Dienstag im Edinburgher Parlament. Gleichzeitig bekräftigte die Regierungschefin, nach Überwindung der Covid-Krise solle es eine neuerliche Volksabstimmung zur Unabhängigkeit geben.

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Die Befürworter der schottischen Unabhängigkeit wittern eine neue Chance.
Foto: REUTERS/Russell Cheyne

Bei der Wahl im Mai wurde die seit 2007 regierende SNP-Regierung klar im Amt bestätigt, verfehlte aber knapp die absolute Mehrheit der Mandate. In der vergangenen Legislaturperiode hatten Nationalisten und Grüne punktuell kooperiert und so die Minderheitsregierung der seit 2014 amtierenden Ministerpräsidentin gestützt. Dass Sturgeon nun eine formalere Zusammenarbeit eingeht, "stellt vor allem ein Signal an London dar", analysiert der Edinburgher Politologe Jan Eichhorn: "Es gibt eine klare, organisierte Mehrheit für die Unabhängigkeit."

Zusammenarbeit, aber keine Koalition

Vor einer Koalition schreckten beide Partner, besonders aber die Grünen, zurück. Wie auf dem Kontinent haben auch auf der Insel der kleinere Koalitionspartner bei anschließenden Wahlen stets den Kürzeren gezogen. Im benachbarten Irland flogen die Grünen 2011 ganz aus dem Parlament. Mit der "Vereinbarung zur Machtteilung" behalten sich ihre schottischen Kolleginnen das Recht vor, zur Betonung ihrer Eigenständigkeit in Streitfragen gegen die Regierung zu stimmen. Ausdrücklich gilt dies beispielsweise für Politikfelder wie den Flugverkehr und die Ölförderung in der Nordsee. Kontinuierliche Kooperation soll es hingegen beim Kampf gegen den Klimawandel, im sozialen Wohnungsbau und beim öffentlichen Nahverkehr geben.

Für diese Themen sind nun zwei neue Staatssekretäre, nämlich die beiden Co-Vorsitzenden der Grünen, zuständig: Patrick Harvie (48) kümmert sich um den Bau CO2-neutraler Gebäude, den Mieterschutz und die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs. Die Ingenieurin Lorna Slater (45) soll den Ausbau umweltfreundlicher Branchen, die Förderung der Kreislaufwirtschaft und die Erhaltung der Artenvielfalt beaufsichtigen. Ausdrücklich ist das Duo keinem der bestehenden Minister zugeordnet, sondern direkt Sturgeon unterstellt. Die Regionalverwaltung legt ohnehin Wert darauf, dass ihre Beamten und Angestellten je nach Aufgabenfeld unterschiedlichen Ministern zuarbeiten.

Grüne föderal organisiert

Die grünen Parteien sind auf der Insel föderal strukturiert. Des mit Deutschland vergleichbaren Verhältniswahlwahlrechts wegen stellen die Schotten seit der ersten Regionalwahl 1999 mindestens einen Abgeordneten; beim Wahlgang im Mai gewannen acht Frauen und Männer ein Mandat. Hingegen ist im Unterhaus, das nach dem Mehrheitswahlrecht zusammengesetzt ist, erst seit 2010 lediglich eine einzige Grüne vertreten. Die englische Partei steht zudem derzeit führungslos da, bei der Nachfolgediskussion des Vorsitzendenduos geht es vor allem um Randthemen wie die Rechte von Transsexuellen.

Die zweite Volksabstimmung – 2014 stimmten 55 Prozent für den Verbleib im Vereinigten Königreich – soll Sturgeon zufolge spätestens im Herbst 2023 über die Bühne gehen; bis dahin seien hoffentlich die schlimmsten Covid-Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft beseitigt. Doch der Gesetzeslage nach muss das Londoner Parlament dem Vorhaben zustimmen, damit das Referendum demokratisch legitimiert und verbindlich sein kann.

Die konservative Regierung in London unter Premierminister Boris Johnson hatte sich zunächst strikt ablehnend positioniert, das Thema zuletzt aber vermieden. Erst vergangenes Wochenende ließ sich Schottland-Minister Alister Jack mit der Einschätzung zitieren, die Umfragen müssten dauerhaft eine 60-prozentige Mehrheit für den Alleingang signalisieren; erst dann werde London einer neuen Abstimmung zustimmen. Bis dahin scheint der Weg lang zu sein, befinden sich derzeit doch die Unabhängigkeitsgegner knapp in der Mehrheit.

So oder so: Das Thema wird Schottland und Großbritannien noch auf Jahre hinaus beschäftigen. (Sebastian Borger aus London, 1.9.2021)