Heftige Diskussionen beim Treffen der EU-Innenminister.

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Wirft man einen Blick auf die EU-Politik der vergangenen Jahre, so gilt zumindest eines als gesichert: Geht es um Flüchtlinge, wird der Ton rauer, schärfer, mitunter unterschreitet er sogar die berüchtigte Gürtellinie.

Die nächste Episode dieser hitzigen Diskussionen ergab sich am Dienstag bei einem Sondertreffen der EU-Innenminister in Brüssel zu den Entwicklungen in Afghanistan – oder besser gesagt bereits im Vorfeld. Da rief Luxemburgs Außen- und Migrationsminister Jean Asselborn zum Widerstand gegen den EU-Vorsitz Slowenien und gegen Österreich auf. "Ich hoffe, dass es Widerstand gibt gegen Herrn Kurz aus Österreich und Herrn Janša aus Slowenien, die sich beide klar und definitiv im Einklang mit Orbán, Salvini und Le Pen befinden", sagte Asselborn der deutschen Zeitung "Welt".

Sie alle lehnten eine "direkte menschliche Solidarität in diesem extrem dramatischen Moment mit dem gefolterten Volk in Afghanistan ab", erklärte der Sozialdemokrat. "Sie verlieren damit die Qualität, ein Europäer zu sein", sagte Asselborn.

Widerstand von Österreich

Resettlement, also die Neuansiedlung von Flüchtlingen aus Drittstaaten in der EU, steht immer wieder einmal auf der Tagesordnung. Allerdings scheitert die Umsetzung seit Jahren unter anderem an den Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn sowie an Österreich. Nicht verwunderlich also, dass Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) betonte, es brauche bei EU-Resettlement das Prinzip der Freiwilligkeit. Und überhaupt, solange Österreich "so hohe Belastung durch irreguläre Migration" habe, finde er es "völlig unangemessen, über Resettlement zu reden".

Deutschlands Innenminister Horst Seehofer erklärte in Brüssel, dass man immer Ansiedlungsprogramme für besonders "geschundene Personen" mitvereinbart habe. Überhaupt, sagte er, sei es wichtig, dass sich alle Länder an einer gemeinsamen Asylpolitik beteiligen. Dazu war Österreich "bislang leider nicht bereit", fügte er hinzu.

Keine konkreten Zusagen

Dänemark und Tschechien hingegen erklärten sich solidarisch mit Österreich: Man werde sich mit der Situation vor Ort auseinandersetzen, man wolle aber keine "falschen Botschaften senden, die vielleicht falsche Hoffnungen wecken, die nicht erfüllt werden können".

Konkrete Zusagen der EU-Staaten für ein neues Resettlement gab es am Dienstag keine. Finanzspritzen für Afghanistans Nachbarstaaten und Transitländer sollen Fluchtbewegungen nach Europa verhindern. "Macht euch nicht auf den Weg (...) wir helfen euch vor Ort in der Region", twitterte Nehammer nach dem Treffen.

Die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, sagte vor dem Innenminister-Treffen, die EU solle Frauen, Kinder, Richter, Journalisten und Menschenrechtler aufnehmen, die nun in Gefahr seien. "Wir müssen eine humanitäre Krise vermeiden, wir müssen eine Migrationskrise vermeiden, und wir müssen eine Gefährdung der Sicherheit vermeiden", so Johannson.

Am Dienstagvormittag fand in Wien einstweilen eine Kundgebung der etwas anderen Art statt. Sind NGOs für gewöhnlich bestrebt, möglichst viele Menschen auf die Straße zu bringen, so war das diesmal komplett anders. Nicht der Nieselregen hielt Aktivisten davon ab, dem ÖVP-Chef Sebastian Kurz, der am Dienstag in Berlin weilte, vor dem Kanzleramt wegen der Afghanistan-Politik einmal lautstark die Meinung zu geigen, sondern die Veranstalter um Ex-Liste-Jetzt-Abgeordnete Martha Bißmann selbst. Die Kundgebung "So sind wir nicht!" wurde als "menschenleer" angekündigt. So war es dann auch.

Kanzleramt beschallt

Lauter wurde es trotzdem. In einem kleinen angemieteten Laster befand sich eine Soundanlage, über die das Kanzleramt mit zuvor eingesprochenen Sprachnachrichten von 60 Unterstützerinnen und Unterstützern aus Politik und Zivilgesellschaft sowie von Betroffenen aus Afghanistan beschallt wurde.

Den Anfang machte Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ). Dieser würde sich wünschen, dass die politischen Entscheidungsträger "sich nur einmal mit der Frage konfrontierten, wie es ist, wenn man aus Verzweiflung einem Flugzeug hinterherläuft, sich an den Flügeln festkrallt und aus großer Höhe zu Tode stürzt".

Für die Mitgründerin des Liberalen Forums, Heide Schmidt, ist die Hilfe vor Ort "selbstverständlich". Es müssten aber auch legale Fluchtwege geschaffen werden.

Mit Masomah Regl sprach auch eine Betroffene, die selbst aus Afghanistan kommt. Sie erklärte, dass alle Afghanen, die in Österreich leben, verzweifelt seien, weil sie ihren Familien nicht helfen können. Österreich müsse das "Okay" dafür geben, dass Familien aufgenommen werden können. "Alles andere werden sehr hilfsbereite Österreicherinnen und Österreicher und wir Afghanen selbst machen." (Kim Son Hoang, Jan Michael Marchart, 31.8.2021)