Während der Covid-19-Pandemie haben sich immer mehr Menschen damit beschäftigt, Dinge selber herzustellen. "Häusliche Tätigkeiten" wie Kochen, Backen oder Stricken erlebten einen Aufschwung – und damit auch ein gewisses Maß an Konsumkritik.

Die Textilproduktion war vor der industriellen Revolution ein zeitaufwendiger Prozess, das war den Menschen damals viel bewusster als heute. Daher war Textilrecycling für den größten Teil der Menschheitsgeschichte eine gängige Praxis. Dies gilt insbesondere für Zeiten knapper Ressourcen (zum Beispiel Kriegs- und Nachkriegszeiten), geht aber weit darüber hinaus.

Aufwand Textilherstellung vor 2.000 Jahren

In der Urgeschichte und zur Zeit der Römer wurden Kleidungsstücke mit sehr einfachen Mitteln hergestellt: per Handspindel und Webstuhl. Experimentelle Archäologie kann uns helfen zu verstehen, wie viel Zeit dies in Anspruch nahm.

Arbeitsschritte zum Anfertigen einer prähistorischen Tunika.
Foto: K. Grömer – NHM Wien

Um etwa ein T-Shirt-artiges Kleidungsstück (zur Zeit der Römer als Tunika bezeichnet) feiner Qualität aus Schafwolle zu weben, werden circa zwölf Kilometer Faden benötigt. Die Textilarchäologin Karina Grömer zum Spinnen mit der Handspindel: "Ich bin durch jahrelanges Training eine geübte Handspinnerin, und ich schaffe es, circa 60 Meter in einer Stunde zu spinnen – dieser Wert ist vergleichbar mit Kolleginnen, die auch sehr erfahren sind. Man kann den Zeitaufwand dann ganz gut hochrechnen." Es wurden von verschiedenen Arbeitsgruppen in Dänemark, Österreich und Deutschland schon viele Versuche unternommen, sodass wir ein relativ gutes Bild zum Arbeitsaufwand haben:

  • 16 Stunden Wollvlies vorbereiten (sortieren, lockern, kämmen)
  • 200 Stunden Spinnen mit der Handspindel
  • 150 Stunden Weben am Gewichtswebstuhl
  • 112 Stunden zur Herstellung von zwei Metern Ripsband (spinnen und weben)
  • acht Stunden Zuschnitt und Nähen

Gesamt werden also 486 Stunden für eine Tunika in feiner Qualität benötigt. Rechnet man in heute üblichen 40-Stunden-Wochen, so sprechen wir von zwölf Wochen reiner Arbeitszeit – also drei Monaten! Dies verdeutlicht den Wert so eines Kleidungsstücks.

Problem Fast Fashion

Kleidung ist heute Massenware und vielfach ein Wegwerfprodukt. Pro Jahr werden über 80 Milliarden Kleidungsstücke produziert. Mode war noch nie so günstig wie heute, die damit verbundenen Umweltkosten steigen jedoch stetig. Im Wochentakt können im Netz neue Kollektionen gekauft werden – Fast Fashion heißt dieser Trend. Viele Kleidungsstücke, die Konsumentinnen und Konsumenten heute erwerben, werden nie oder nur selten getragen.

Produziert wird dabei unter oft fragwürdigen Bedingungen. Das Problem bei der Herstellung eines herkömmlichen T-Shirts ist nicht nur die Ausbeutung von Menschen und die Verschmutzung der Umwelt durch Chemikalien, sondern auch der hohe Wasserverbrauch. Vom Baumwollfeld bis zum Shop werden laut internationalen Hochrechnungen fast 2.500 Liter Wasser verbraucht. Die Modebranche ist auch für zehn Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich, vor allem auch durch unnötig lange Transportwege. Dieses heutige Konsumverhalten muss sich ändern, um die Ressourcenverschwendung zu reduzieren.

Was ist Recycling?

Der Oberbegriff "Textilrecycling" ist ein Schlüsselbegriff moderner Abfallvermeidung und nachhaltiger Ressourcennutzung und umfasst heute unterschiedliche Methoden der Wiederverwendung beziehungsweise selbst die Rückgewinnung des Ausgangsstoffes. Zu den vielfältigen Aktivitäten zählen auch Upcycling-Aktivitäten der Do-it-Yourself-Bewegung oder industrielle Aktivitäten moderner Textilrecycling-Unternehmen und Faserrecycling-Fabriken.

Recycelte Textilien quer durch die Geschichte

Textilien sind seit tausenden Jahren ein wichtiger Teil unserer materiellen Kultur. Sie erfüllten und erfüllen ein breites Spektrum an Funktionen. Mit textilen Handwerkstechniken wurden nicht nur wesentliche Güter des täglichen Bedarfs – allen voran Kleidung – hergestellt, sondern auch Gebrauchswaren sowie repräsentative Objekte bis hin zu Luxusartikeln. Ihre Herstellung erfordert Geschick und Rohmaterialien und ist so zeitaufwändig, dass viele textiltechnologischen Fortschritte bis weit in die Neuzeit hinein einen Einfluss auf Veränderungen in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte hatten.

Die Ressource Textil war eine so wichtige, dass auch sorgsam damit umgegangen wurde, wie Beispiele vom Flicken, Umändern und sogar Recycling zeigen. In Mittel- und Nordeuropa können wir dies zumindest in die Bronzezeit zurückverfolgen. Kleidungsstücke wurden nicht nur geflickt, sondern es wurden auch die Stoffe von Kleidungsstücken zu anderen Gewändern umgearbeitet. Aus der Bronzezeit in Dänemark sind aus der Zeit um 1350 v. Chr. Kleidungsstücke aus Männergräbern bekannt, die offenbar aus Frauengewändern geschneidert wurden.

Schnittmuster für Männerkleidung der dänischen Bronzezeit, um 1350 v. Chr.: Ein Frauengewand lässt sich ohne Stoffverlust zu einem zweiteiligen Männergewand umschneidern.
Foto: K. Grömer – NHM Wien

Besondere Beispiele für die Umarbeitung von Kleidungsstücken stammen aus dem kirchlichen Bereich. So war es unter den Adelshäusern bis hinauf zum Kaiserhaus üblich, wertvolle Gewänder zu spenden, um daraus Paramente (Priestergewänder und andere kirchliche Textilien) herzustellen. Im Wiener Stephansdom wird nach wie vor der sogenannte Mai-Ornat aufbewahrt, eine Kasel und Dalmatiken, die aus dem Krönungsgewand von Kaiserin Karolina Augusta hergestellt wurden. Die vierte Frau von Franz I. von Österreich hatte dieses Gewand bei ihrer Krönung am 5. September 1825 getragen und anschließend der Kirche gespendet.

Mai-Ornat aus dem Stephansdom, 19. Jahrhundert, mit applizierten Dekorstücken aus einem umgearbeiteten Krönungsgewand.
Foto: K. Grömer/ Stephansdom

Es gibt auch Hinweise darauf, dass Kleidungsstücke vollständig aus Lumpen zusammengesetzt wurden, etwa bei dem 1.400 Jahre alten Fund aus Bernuthsfeld in Deutschland. 45 verschiedene recycelte Textilstücke wurden gezählt, die zum Nähen der Tunika verwendet wurden, teilweise mit Gebrauchsspuren ihrer früheren Verwendung.

Abgenutzte Kleidungsstücke wurden teilweise auch für andere Zwecke wiederverwendet – ein beredtes Beispiel liegt aus dem Salzbergwerk Hallstatt vor und ist circa 2.600 Jahre alt. Ein – aufgrund der Machart und primären Naht – offenbar ursprünglich als Kleidungsstück verwendeter brauner Stoff wurde mehrfach zusammengeklappt und mit groben Stichen vernäht. Der Verwendungszweck des Objekts erschließt sich erst im Vergleich mit anderen Stücken aus Leder – sogenanntes "Handleder", das die Handfläche vor Verletzungen etwa beim Hantieren mit Seilen im Bergwerk schützte. Recycelte Textilien wurden auch in Streifen gerissen und als behelfsmäßiges Bindematerial genutzt – Beispiele dazu finden sich in den Salzbergwerken Hallstatt und Dürrnberg aus dem 1. Jahrtausend v. Chr.

Geflicktes Textil aus dem Salzbergwerk Hallstatt um 800 bis 400 v. Chr. gegenübergestellt den Handledern aus dem Bergbau.
Foto: A. W. Rausch – NHM Wien
Textilien aus dem Hallstätter Bergbau um 800 bis 400 v. Chr., als behelfsmäßiges Bindematerial weiterverwendet.
Foto: A. W. Rausch – NHM Wien

Interessanterweise fanden recycelte Textilien auch Einsatz bei der Herstellung anderer Gegenstände, etwa beim Töpfern oder auch in der Bronzemetallurgie. In der Keramikproduktion gibt es immer wieder Abdrücke auf prähistorischen und römischen Gefäßen, die belegen, dass man Textilreste als Lappen zur Handhabung der noch feuchten Tonware vor dem Brennen verwendet hatte. Bei der Herstellung etwa von Bronzeschmuck gibt es einen spannenden Bezug zu Textilrecycling aus der Zeit der Kelten um 400–300 v. Chr.: Im Gebiet des heutigen Österreich und der Slowakei gab es bestimmte Arm- und Fußreifen, die aus dünnem Blech hergestellt wurden, wie zum Beispiel der Armreif aus Schrattenberg, Niederösterreich. Zur Stabilisierung der Form der Hohlblechreifen wurden diese beim Herstellungsprozess mit unterschiedlichen Materialien ausgestopft – dafür wurden auch teilweise Textilien verwendet. In einem dieser Reifen, aus Nové Zámky in der Slowakei, wurde sogar ein aufwendig besticktes Leinengewebe entdeckt, was darauf hinweist, dass es sich um ein recyceltes Textil handeln muss.

Keltischer Armreif aus Schrattenberg, um 400 bis 300 v. Chr., mit recyceltem Textil ausgestopft.
Foto: A. Schumacher – NHM Wien

Was können wir davon für heute mitnehmen?

Der nachhaltige Umgang mit Ressourcen ist eine der Herausforderungen, denen wir uns heute stellen müssen. Quer durch die Geschichte gab es verschiedene Formen des Textilrecyclings, sie wurden verändert oder einer neuen Nutzung angepasst. Diese aus der Fülle des Materials herausgegriffenen Beispiele zu archäologischen Funden von Textilrecycling ab dem 2. Jahrtausend v. Chr. sollen dazu anregen, sich die verschiedenen Möglichkeiten im Umgang mit diesem Rohstoff vor Augen zu führen – und vielleicht auch selber wieder kreativ tätig zu werden.

Heute sind Abfallreduzierung und das Bewusstsein für die ökologischen Probleme der Umweltverschmutzung Treiber für die Reparatur, die Wiederverwendung und das Recycling von Textilien. (Karina Grömer, Fiona Poppenwimmer, 2.9.2021)