Er überragt sie alle um einen Kopf und sticht auch sonst aus dem Kandidatenpulk heraus: Michel Barnier, einem breiten Publikum bekannt als Chefunterhändler des Brexits, des britischen EU-Austritts, tritt im nächsten April bei den französischen Präsidentschaftswahlen an.

In Paris und seiner Partei Les Républicains gilt der 70-jährige Savoyer als Außenseiter aus den Alpen. Trotz einer fast 50-jährigen Politkarriere – er war 1978 der jüngste Abgeordnete der konservativen Gaullisten – zählt der Weißhaarige nicht zum inneren Kreis der Partei-Apparatschiks. Seine Distanz zum Pariser Polit- und Medienzirkus gilt als Vorteil in einem Land, das keine großen Stücke auf seine Politiker hält. Barniers internen Widersacher, etwa Xavier Bertrand oder Valérie Pécresse, stammen dagegen aus dem Parteikader.

Michel Barnier kandidiert bei den Präsidentschaftswahlen.
Foto: AFP/Salom-Gomis

Chancen unklar

Barnier spielt deshalb bewusst seine "alpine" Karte: Im April hat er in einem Erinnerungsbuch beschrieben, wie er 1992 zusammen mit dem Ski-As Jean-Claude Killy die Olympischen Winterspiele von Albertville organisiert hat. Mangels konsolidierter Umfragen sind seine Chancen schwierig einzuschätzen. Die Republikaner haben am Montag mit einer großangelegten Internetbefragung ihrer Mitglieder begonnen. Sie ist an sich nicht verbindlich, doch soll sich daraus der Spitzenkandidat oder die -kandidatin herausschälen. Das ist wohl ein frommer Wunsch: Ex-Minister Bertrand hat zum Beispiel bereits erklärt, er werde sich nicht an diese verkappte Primärwahl halten und auf jeden Fall antreten.

Barnier bezeichnet sich dagegen als "loyaler" Kandidat, der die Parteibeschlüsse befolgen würde. Er setzt darauf, dass die Franzosen nicht mehr einen forschen Jungreformer wie Macron wollen, sondern einen besonnenen Veteranen mit Maß und Erfahrung. Einen, der die Nation nicht mit schönen Worten verführt, sondern mit schwierigen Taten überzeugt – so wie er die Olympischen Spiele und den Brexit gemeistert hat.

"Vertikaler und arroganter" Stil

Politisch steht Barnier für einen ähnlichen Kurs wie Präsident Emmanuel Macron: Er will die Arbeit aufwerten, den Klimawandel bekämpfen und die Immigration mit einem einstweiligen Moratorium stoppen. Persönlich können die beiden aber nicht miteinander. Barnier hat es Macron nicht verziehen, dass dieser für den EU-Kommissionsvorsitz 2019 nicht ihn, den erfolgreichen Brexit-Manager, portierte, sondern die Deutsche Ursula von der Leyen.

Barnier erklärte deshalb bei seiner Kandidaturerklärung, er wolle Präsident eines "versöhnten" Landes sein und nicht einen "vertikalen und arroganten" Stil pflegen. Das richtete sich direkt gegen den amtierenden Präsidenten, der trotz seines Mittekurses als Spalter der Nation wahrgenommen wird.

Morgenluft

Ob der technokratische Savoyer die Franzosen hinter sich scharen kann, ist aber unsicher. Seine spröde Gentleman-Haltung passt nicht gut ins mediale Zeitalter. Aber sie wirkt authentischer, weniger gekünstelt als Macrons telegene Wortgewandtheit, von der die Franzosen sichtlich genug haben.

Viele wollen bei den nächsten Präsidentschaftswahlen vor allem eines verhindern – eine Neuauflage des von den Medien angekündigten Stichwahlduells zwischen Emmanuel Macron und der Rechtspopulistin Marine Le Pen. Aus diesem Grund wittern die bereits totgesagten klassischen Parteien Morgenluft. Laut den meisten Politologen wird sich das Rennen in Frankreich auf der rechten Mitte entscheiden.

Hidalgo und Mélenchon vor Einstieg ins Rennen

Sollten sich die Republikaner aber nicht auf eine Kandidatur einigen können und intern zerfleischen, könnte auch die Linke wieder aus der politischen Versenkung hochkommen. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo will für die Sozialisten dieser Tage ins Rennen steigen, und der Linksaußen Jean-Luc Mélenchon steht schon bereit. Ein gegenseitiger Verzicht der beiden scheint allerdings völlig unrealistisch.

Umso genauer verfolgt man in Paris die Bundestagswahl in Deutschland. Ein Erfolg der SPD wäre ein Fanal für die französische Linke. Und ein Zeichen, dass sich auch in Frankreich die angekündigten Favoriten auf der Rechten nicht unbedingt durchsetzen müssen. Fast scheint es, dass der französische Wahlkampf erst nach der Deutschlandwahl von Ende September richtig durchstarten wird. (Stefan Brändle aus Paris, 1.9.2021)