Inmitten von Spannungen wenige Monate vor dem dritten einer Serie von drei Unabhängigkeitsreferenden wurden in dem französischen Überseegebiet Neukaledonien die Überreste eines im 19. Jahrhundert getöteten Kanak-Anführers beerdigt. Der Häuptling Ataï war am 1. September 1878 infolge eines Aufstands der Kanak gegen die französische Kolonialherrschaft getötet worden.

An der Zeremonie am Mittwoch nahmen sowohl Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung als auch Anhänger des Verbleibs bei Frankreich teil – ein Signal der Versöhnung inmitten einer höchst kritischen und explosiven Phase. Die Spannungen in Neukaledonien sind kurz vor dem Referendum hoch. Am 12. Dezember soll die Frage endgültig entschieden werden, ob das Gebiet unabhängig wird oder bei Frankreich verbleibt.

Ein Porträt von Ataï auf einer Flagge der Kanak.
Foto: AFP/Rouby

Nicolas Metzdorf, der Bürgermeister von La Foa, einer Hochburg der Caldoche, wie die europäischstämmigen Neukaledonier genannt werden, erklärte, es sei das erste Mal, dass gemeinsam eine Person gefeiert werde, die für eine Polarisierung stehe. Einer der Nachkommen der Aufständischen, Cyprien Kawa, sagte, allen Ethnien müsse erlaubt sein, sich um die nationale Ikone der Kanak zu versammeln.

Ataï wurde auch eine Zeremonialaxt als Zeichen der Häuptlingsmacht mit ins Grab gegeben.
Foto: AFP/Rouby

Konflikt um Ressourcen

Der Aufstand Ataïs wurde durch die Verdrängung der Ureinwohner Neukaledoniens durch die Franzosen ausgelöst. 1853 wurde das Gebiet französische Kolonie. Nachdem 1864 Nickel auf der Insel entdeckt wurde, wurden mehr und mehr Menschen aus Europa und anderen Regionen angesiedelt. Die Kanak hingegen wurden in Reservate verdrängt. Dort werden die Ernten der Kanak vom weidenden Vieh der französischen Siedler zerstört. Ataï soll dem französischen Gouverneur Léopold de Pritzbuer mit den Worten "Das hatten wir" einen Sack Erde vor die Füße geleert haben, danach einen Sack mit Steinen: "Das hast du uns gelassen." Der Gouverneur riet zur Errichtung von Zäunen, um die Ernte zu schützen, worauf Ataï erwidert haben soll, er werde Zäune bauen, wenn seine Taro-Knollen beginnen würden, das Vieh zu fressen.

Neukaledoniens Hochkommissar Patrice Faure nahm an der Zeremonie teil.
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Überfälle

Am 25. Juni 1878 stürmte der zum Daweri-Clan gehörende Ataï mit seinen Kriegern eine Brigade der Franzosen in La Foa. Fünf französische Gendarmen starben, die Kanak eroberten Waffen und Munition. In der Folge stürmten die Aufständischen die Farmen der Franzosen und ermordeten die Bauernfamilien. Immer mehr Stämme erhoben sich gegen die Kolonialherren, die wiederum Hilfstruppen aus ortskundigen Kanak schickten – diese töteten schließlich Ataï. Gemeinsam mit Ataï starben auch seine Söhne und Andja, der Takata, also der Magier und Heiler Ataïs. In dem mehr als zwei Monate dauernden Guerillakrieg starben mehr als 200 Franzosen und mehr als 1.000 Kanak.

Ataïs Sarg vor der Beisetzung.
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Ein Marinearzt kaufte die Köpfe Ataïs und Andjas um 200 Francs. In Formalin eingelegt, wurden sie in Nouméa ausgestellt und bald darauf der anthropologischen Gesellschaft in Paris übergeben. Dort wurde ein Abdruck des Kopfes Ataïs angefertigt, danach wurden nur noch die Schädel aufbewahrt, die später in den Besitz des Musée de l’Homme kamen. Die Kanak forderten schon lange die Rückgabe der Schädel – die jedoch mittlerweile als unauffindbar galten. 2011 schließlich wurden sie in einem Lager im Jardin des plantes gefunden. George Pau-Langevin, Frankreichs damalige Ministerin für die Überseegebiete gab die Relikte im Jahr 2014 zurück.

Drei Referenden

Das kommende Referendum und seine beiden Vorgänger sind im Nouméa-Vertrag von 1998 festgeschrieben. In dem nach blutigen Konflikten geschlossenen Friedensvertrag wird der mögliche Weg des Überseegebietes zur Eigenstaatlichkeit geregelt. 2018 und 2020 setzten sich jedoch die paristreuen Einwohner Neukaledoniens durch. Während sie 2018 noch 56,7 Prozent erreichten, fiel die Zustimmung zum Verbleib bei Frankreich zwei Jahre später auf 53,3 Prozent.

Patrice Faure bei der Zeremonie zwischen dem Kongresspräsidenten Roch Wamytan (rechts) und Regierungschef Louis Mapou (links).
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Im Februar konnten die Unabhängigkeitsbefürworter die Machtverhältnisse in der elfköpfigen Regierung zu ihren Gunsten umdrehen – zum ersten Mal in der Geschichte Neukaledoniens sollte nun ein Kanak Präsident werden. Doch weil die Pro-Unabhängigkeitsparteien auch untereinander zerstritten sind, konnte erst Anfang Juli eine Einigung gefunden werden. Am 8. Juli wurde Louis Mapou zum Chef der Regierung Neukaledoniens gewählt und übernahm eine Woche später das Amt. Bis dahin amtierte der paristreue bisherige Regierungschef Thierry Santa weiter.

Im Vorjahr kam es, ausgelöst durch einen Konflikt um den Nickelbergbau, zu gewalttätigen Ausschreitungen der Kanak.

Überseeminister kündigt Besuch an

In Vorbereitung des Referendums hat Frankreichs Minister für die Überseegebiete, Sébastien Lecornu nun angekündigt, Anfang Oktober Neukaledonien einen Besuch abzustatten. Bei seinem zweiwöchigen Besuch wolle er keinesfalls Werbung für den Verbleib bei Frankreich machen, versicherte Lecornu. Es gehe vielmehr um die Aufrechterhaltung des politischen Dialoges für die Zeit nach dem Referendum. "Meine Rolle besteht darin, hervorzuheben, was uns zusammenbringt, und dabei zu helfen, die nächsten Schritte zu gestalten", erklärte der Minister.

Frankreich und die Vertreter Neukaledoniens beschlossen im Juni, dass nach der Abstimmung eine 18-monatige Übergangsphase bis Juni 2023 laufen solle – wie auch immer sich die Einwohner entscheiden werden. Frankreich veröffentlichte im Juni ein Dokument, in dem die Auswirkungen einer Entscheidung für "Ja" oder für "Nein" zur Unabhängigkeit dargelegt werden. Ende August starteten die Parteien ihre jeweiligen Kampagnen. (Michael Vosatka, 3.9.2021)