Über Vernaderung sieht Justitia (hier im Justizpalast in Wien) gütig hinweg. Außer es wird Verleumdung daraus.

Foto: Regine Hendrich

Auch wenn Vernadern gern zu den typisch österreichischen Untugenden gezählt wird: In konkrete Zahlen lässt sich die gefühlte Häufung von Fällen kaum fassen. Es gibt aber Daten, die eine Annäherung ermöglichen.

Strafrechtlich könnte das Delikt Verleumdung dem Vernadern oder dem Denunziantentum nahekommen. Verleumdung (§ 297 im Strafgesetzbuch) ist die wissentlich falsche Verdächtigung einer Person und eine dadurch bewirkte Strafverfolgung derselben. Die Konsequenzen dafür sind nicht ohne: Wer jemandem ein geringfügiges Strafdelikt andichtet, muss mit bis zu einem Jahr Gefängnis rechnen.

Ausnahmen

Betrifft die fälschlich angelastete Handlung ein Delikt, auf das mehr als ein Jahr Haft steht, dann erhöht sich der Strafrahmen für Verleumder auf bis zu fünf Jahre hinter Gittern. Wer also jemanden einen Räuber oder gar Mörder nennt – wohl wissend, dass das nicht stimmt –, riskiert eine saftige Strafe. Es gibt aber auch Ausnahmen: Wenn etwa bei einer Gerichtsverhandlung ein Angeklagter im Affekt einem Zeugen vorwirft, dass dieser lügt, obwohl er weiß, dass der Zeuge nicht lügt, dann wird das nicht geahndet.

351 Verurteilungen heuer

  • Verurteilungen: Was Verleumdungen betrifft, sind wir heuer auf einem guten Weg zu einem Spitzenjahreswert: Im ersten Halbjahr 2021 gab es in Österreich 351 Verurteilungen wegen Verleumdung, wie das Justizministerium auf STANDARD-Anfrage ausheben ließ. Im gesamten Vorjahr waren es 541 Verurteilungen, in den Jahren davor bis 2010 lag die Anzahl der Verleumdungsschuldsprüche im Schnitt bei 650 pro Jahr. 711 Verurteilungen im Jahr 2013 waren der höchste Wert in jüngerer Zeit.
  • Verfahren eingestellt: Heuer wurden außerdem bisher 768 Verleumdungsverfahren eingestellt, teils, weil sich die Vorwürfe als haltlos herausstellten. Im gesamten Vorjahr waren es 1.309 Einstellungen, 2019 wurden 1.532 Verleumdungsverfahren eingestellt. Die langjährige Tendenz ist abnehmend.
  • Von Verfahren abgesehen: Und dann gibt es noch Fälle, in denen zwar eine Verleumdungsanzeige vorliegt, die Staatsanwaltschaft aber keinen Anfangsverdacht finden kann. Dann wird überhaupt von einem Ermittlungsverfahren abgesehen. Heuer traf das in bisher 426 Fällen zu, 2020 waren es 763 – das war auch der bisherige Spitzenwert.

Polizeinotruf

Auch bei der Polizei tut man sich schwer, Vernaderung zu quantifizieren. Im Vorjahr gingen 1.195.821 Anrufe beim Notruf der Landesleitzentrale Wien ein. Aus diesen Anrufen resultierten nach Polizeiangaben 431.158 Einsätze.

Die Differenz ergibt sich daraus, dass es sich nicht bei jedem Anruf um einen tatsächlichen polizeilichen oder sonstigen Notfall handelt. Darunter befinden sich zum Beispiel Personen, die schlichtweg nach dem Weg fragen oder sich über etwas beschweren wollen. An Feiertagen wählen auch ältere, einsame Menschen, die jemanden zum Reden suchen, verstärkt den Notruf. Vernaderer wählen andere Plattformen. (Michael Simoner, 3.9.2021)