Bucklige Welt: die Idylle der Geographie kontrastiert erzählenswert die Nichtidylle der Geschichte

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Dig where you stand! So lautete das Motto einer in den 1970er-Jahren fast zu einem Trend gewordenen Form der Geschichtsforschung. Sie war fokussiert auf regionale, ja lokale, eigene Geschichte. Und auf Menschen, die sie dort miterlebt haben; in der Leideform zumeist. Man ließ sie zu Wort kommen. Herausgekommen sind dann, häufig, faszinierende Geschichts-Geschichten, die einem das abstrakte Wissen lebensecht ausmalen.

Unlängst erschien so ein Geschichts-Geschichten-Buch über das kleine süd-südburgenländische Dörflein Doiber, das seit 1971 zu St. Martin an der Raab gehört.

Erzählungen

Geschrieben – oder, besser: sich erzählen lassen – hat es Josef Redl, der 1945 hier auf die Welt gekommen ist. Seine ältere Schwester und drei weitere ältere Damen haben ihm von den Fürchterlichkeiten der 1930er- und 1940er-Jahre erzählt: wie die ersten illegalen Nazis auftauchten im hintersten österreichischen Winkel; wie sie 1938 sich aufschwangen zu neuen Herren; wie die Roma verschwanden; wie der Krieg erst fern war und spürbar nur durch Gefallenenmeldungen; wie er näher kam und ganz nahe und drüberfegte auch über Doiber und seine Frauen.

Im Zuge seiner Recherchen stieß Redl auf ein besonderes Dokument, das einen guten Teil seines Buches ausmacht: das Kriegstagebuch, das der 1923 hier geborene Konrad Bauer penibel geführt und mit eigenen Skizzen und Plänen illustriert hat. Im Russlandfeldzug dichtete er: "Wir singen nicht mehr, unser Mund ist stumm / Es modern unsre Gebeine / Und immer das dumpfe: warum, warum? / Am Wolchow, in der Ukraine."

Josef Redl, "Die Hitlerzeit im Südburgenland", Morawa 181 Seiten, 19 Euro

Bucklige Welt

Josef Redl, ein professioneller Wirtschaftsberater, ist, was das Schreiben und Publizieren betrifft, ein Amateur, was die Lektoratslosigkeit des Self-Publishers noch verdeutlicht. Johann Hagenhofer ist dagegen ein diesbezüglicher Profi. Seit Jahrzehnten widmet er sich seiner engeren Heimat, der Buckligen Welt, die schon hinüberschaut ins Burgenland und ins steirische Wechselgebiet. Die bäuerliche Geschichte und die beginnende Industrialisierung; das einstige jüdische Leben: Das alles und mehr hat er bereits in Büchern verarbeitet.

Jetzt, zu seinem Achtziger, hat sich Johann Hagenhofer an eine Autobiografie gewagt. Ein hochgefährliches Unterfangen für Ungeübte. Hagenhofer behandelt sich allerdings selbst wie einen jener Gewährsleute, die er so oft schon befragt hat. Er behandelt sich – das ist überraschend gut gelungen – als einen Zeitzeugen für jenes Thema, das ihn sein Lebtag lang begleitet hat: das Wiedererstehen und Wachsen Österreichs in der und in die Zweite Republik. Auch dieses Thema folgte dem Leitmotto: Dig where you stand. Hagenhofer lebt in Hochwolkersdorf. Hier traf – er hat dem einen besuchenswerten Gedenkraum eingerichtet – Karl Renner auf die Rote Armee; hier entstand das zweite Österreich.

Johann Hagenhofer unterrichtete Geografie und Geschichte an einem Gymnasium im nahen Wiener Neustadt, das er später als Direktor leite. Seine historiografische Idee folgt "meiner Erfahrung als Lehrer: dass man am Beispiel von Einzelschicksalen die Auswirkungen der großen Geschichte besser verstehen kann". (Wolfgang Weisgram, 3.9.2021)

Johann Hagenhofer, "Halterbub und Hofrat", Kral-Verlag, 248 Seiten, 29,90 Euro