Mikis Theodorakis bei seinem letzten öffentlichen Auftritt, 2017 in Athen.

Foto: imago

Als Jugendlicher kämpfte er im griechischen Widerstand gegen die Nazibesatzung. Im anschließenden Bürgerkrieg war er als kommunistischer Partisan gegen die von den USA und Großbritannien unterstützten Rechten an vorderster Front. Später wurde er ins Exil verbannt und unter der griechischen Militärdiktatur ins Gefängnis gesteckt und gefoltert, einmal sogar als besonders grausame Tortur lebendig begraben.

Der griechische Komponist und Schriftsteller Mikis Theodorakis hat zeit seines Lebens nicht nur an die 1.000 musikalische Werke geschaffen. Er galt dank Werken wie der Liederzyklen Epiphania und Mauthausen, der Vertonung von Pablo Nerudas Canto General als bedeutendster Komponist Griechenlands im 20. Jahrhundert. Dabei müssen natürlich auch die berühmten und sein ganzes restliches Schaffen von Kammer- und Bühnenmusiken über Symphonien bis zu Oratorien, Kantaten und Opern überstrahlenden Filmmusiken für Alexis Sorbas, Z oder Serpico berücksichtigt werden.

Im Kampf für politische Freiheit betrachtete der 1925 auf der Insel Chios geborene Musiker Kunst immer als revolutionäre Kunst.

Der griechische Blues

Revolutionäre Kunst, so die Engführung, muss, um bedeutend zu sein und Wirkung entfalten zu können, naturgemäß immer vom Volk angenommen und selbst ausgeübt werden. Deshalb vertraute Mikis Theodorakis immer auch dem einfachen, mitsingbaren Volkslied. Er baute auf lange in Griechenland verfemte Unterschichtinstrumente wie die Bouzouki und Stile wie den aus der urbanen griechischen Subkultur des frühen 20. Jahrhunderts kommenden Rembetiko, dem griechischen Blues. Die Texte waren immer schon den großen Sorgen der kleinen Leute gewidmet und deshalb in Griechenland zeitweise verboten.

Die Quintessenz der einfachen wie gleichzeitig vielschichtigen Kunst des Mikis Theodorakis, dies wird vor allem auch in Entsagung deutlich, einem von ihm vertonten Gedicht des Literaturnobelpreisträgers Giorgos Seferis, beruht auf der "Charmolypi". Der griechische Begriff bedeutet so viel wie eine mit Freude kombinierte Trauer, also dem Glücksgefühl, das sich einstellen kann, wenn man traurig ist.

ilioskaimple

Wer das Ende des Films Alexis Sorbas kennt, weiß ganz genau, was damit gemeint ist. Die Welt kracht zusammen. Was soll es, lass uns den Sirtaki tanzen! Der Sirtaki wurde von Theodorakis Anfang der 1960er-Jahre eigens für den Film als einfachere Form alter griechischer und schritttechnisch komplizierterer Tänze "erfunden", für die Hauptdarsteller Anthony Quinn offenbar zu wenig talentiert war.

Lieder aus dem Alltag

In einem Interview für seine Biografie Der Rhythmus der Freiheit meinte Mikis Theodorakis 2006 über seine Musik:

"Schauen Sie sich das Wort 'tragoudi' an, das griechische Wort für 'Lied'. Dieses Wort ist eine direkte Ableitung des Begriffs 'tragodia', der Tragödie also. Was heißt 'tragodia'? Ursprünglich bezeichnete das die Oden an den 'Bock', den 'tragos' – womit Dionysos gemeint war, der Gott des Rausches, der Trunkenheit. Eine solche Art von Lied kommt mitten aus dem Volk, und dort bleibt es – heilig, berauschend, immer wiedergeboren. Man kann das Wort 'tragoudi' daher nicht übersetzen. Die Wörter 'Folk' oder 'Pop', die man zur Hilfe nehmen möchte, drücken es nicht richtig aus, das deutsche 'Schlager' schon gar nicht."

Und weiter: "Es ist wahr, dass ich es als Erster wagte, die Werke großer Poeten zu vertonen und zu 'Alltagsliedern' zu machen, damit alle Griechen sie singen können, ohne Ausnahme und indem sie sich losreißen von ihrem individuellen Schicksal, das sie voneinander trennen mag. Damit ein Fremder begreift, was das wirklich bedeutet, müsste er sich vorstellen, dass man in Deutschland jeden Tag Goethe, in England vielleicht T. S. Eliot und in Frankreich Paul Éluard singen würde – zu Hause, in der Taverne, bei der Arbeit, in der Schule oder während einer Demonstration."

Ein politischer Mensch

Mikis Theodorakis war immer auch politisch aktiv. In den 1960er- und 1980er-Jahren saß er im Parlament in Athen. Der glühende Antifaschist überwarf sich mit den Kommunisten. Er kandidierte daraufhin als Parteiloser für die konservative Partei Nea Dimokratia. 1990 wurde er zwei Jahre lang "Minister ohne Geschäftsbereich beim Premierminister" in der Regierung von Konstantinos Mitsotakis und setzte sich vor allem für bessere Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei ein, beziehungsweise für Palästina. Und er wetterte gegen den Krieg im Kosovo und im Irak, mit Vorliebe auch gegen die Politik der USA.

ResearcherXM

Mikis Theodorakis war ein Mann des Friedens, und sei es im Zweifel auch mit Waffengewalt. Zuletzt machte sich die laut Neuer Zürcher Zeitung "tragende Säule der griechischen Kultur" auch in Sachen griechische Finanzkrise laut bemerkbar. Bei einer Demonstration 2012 wurde er in Athen von einer Tränengasgranate verletzt.

Seinen letzten musikalischen Auftritt in einem an Konzerten und Tourneen überreichen Leben absolvierte er im Juni 2017 in der antiken Sportarena von Kallimarmaro in Athen mit einem Chor von 1.000 Sängern.

Er dirigierte seine Entsagung. Das Leben ist traurig und sinnlos, aber auch wunderschön. Charmolypi eben. Nun ist der Jahrhundertmensch Mikis Theodorakis in Athen gestorben. Er wurde 96 Jahre alt. (Christian Schachinger, 2.9.2021)