Wolodymyr Selenskyj erwägt eine weitere Amtszeit als Präsident.

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Moskau – Ein fairer Zweikampf sieht anders aus: Auf der einen Seite steht der 1,70 Meter große ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, auf der anderen Seite der Hüne Vitali Klitschko. Auf der einen Seite ein Mann, der so viel Power in seinen Fäusten vereint, dass er jeden Kontrahenten ins Wanken bringt, auf der anderen: Klitschko.

Denn es geht nicht um einen Boxkampf, in dem der Ex-Weltmeister sicherlich der Favorit wäre, sondern um einen Machtkampf, in dem das Arsenal des Präsidenten deutlich größer ist als das des Kiewer Bürgermeisters.

Schwere Geschütze

In den vergangenen Wochen kam es zu mehreren heftigen Skandalen zwischen beiden: Erst führten Sicherheitskräfte Hausdurchsuchungen bei engen Vertrauten Klitschkos durch und klingelten dabei auch in dessen Wohnung selbst – angeblich ein Versehen. Kurz darauf bezichtigte der Präsident die Kiewer Stadtverwaltung offen als korrupt.

Klitschko wiederum sprach von Einschüchterungsmaßnahmen im Geiste des kleptokratischen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch. Dann ließ Klitschko eine Sitzung des nationalen Sicherheitsrats sausen, zu der ihn Selenskyj beordert hatte. Und schließlich verwehrte der Sicherheitsdienst des Präsidenten Klitschko den Zugang zum Flughafen, wo er die deutsche Kanzlerin Angela Merkel empfangen sollte.

Außenstehenden mag der Streit dubios vorkommen, schließlich gelten beide Politiker als proeuropäisch. Doch die Animositäten gibt es seit Jahren. Schon als Komiker nahm Selenskyj bevorzugt Klitschko und dessen rhetorische Schwächen aufs Korn. Als er dann seine politische Karriere startete, setzte er sich in einem erbitterten Präsidentschaftswahlkampf gegen Petro Poroschenko durch – einen Verbündeten Klitschkos. Schon damals versuchte er auch, den Kiewer Bürgermeister durch einen eigenen Gefolgsmann zu ersetzen. Laut Beobachtern geht es dabei auch um die Kontrolle der Geldflüsse. Dann setzte eine Waffenruhe ein. Befristet.

Präsidentenwahl 2024

Denn inzwischen gilt Klitschko als potenziell schärfster Herausforderer Selenskyjs bei der Präsidentenwahl im Jahr 2024. Ursprünglich wollte Selenskyj da gar nicht mehr antreten, aber inzwischen hat wohl ein Umdenken in seinem Lager eingesetzt.

In landesweiten Umfragen liegt Selenskyj weiter vorn, doch die Euphorie ist verflogen. Viele Versprechen hat er nicht erfüllen können. Und so könnte Klitschko vielen Wählern als Alternative erscheinen. Trotz zahlreicher Missgeschicke ist er als Bürgermeister bei vielen Kiewern beliebt. Laut jüngsten Umfragen vertrauen ihm 53 Prozent der Hauptstädter, Selenskyj nur 42 Prozent. (André Ballin, 3.9.2021)