Titelgebendes Sujet: Die Nonne, Lehrerin und Aktivistin Sister Corita wies mit Zitaten aus der Popkultur oder der Bibel auf soziale Probleme hin.
Foto: Klaus Pichler / Mumok

Das Mumok besitzt Spitzenwerke der Pop-Art, die durch Neuerwerbungen – vor allem von Künstlerinnen – in ein ungewohntes Licht gerückt werden. Die Auswahl und Hängung stammt von Kuratorin Manuela Ammer, die einen differenzierten Blick auf knallbunte Frauenakte und Euphorie über die Raumfahrt bietet.

STANDARD: Das Plakat der Schau "Enjoy" zeigt ein buntes Bild der Nonne Corita Kent von 1973. In welchem Umfeld entstand diese Grafik?

Ammer: Sister Corita war Lehrerin und politische Aktivistin. Sie verwendete Zitate aus Populärkultur, Literatur und der Bibel, um soziale Probleme wie Armut oder Rassismus zu thematisieren. Das Plakatmotiv paart den Coca-Cola-Schriftzug "Enjoy" mit einem spirituellen Gedicht; der Slogan wird dadurch mehrdeutig. Das ist auch das Motto unserer Schau: Kunstwerke sind nie abgeschlossene Objekte, sondern sie haben uns zu unterschiedlichen Zeiten Unterschiedliches zu sagen.

STANDARD: Das Sammlerpaar Ludwig wurde für Pop-Art bekannt. Stellten Warhol und Co ihr größtes Steckenpferd dar?

Ammer: Peter und Irene Ludwig versammelten eines der weltweit bedeutendsten Konvolute der Pop-Art. Aber ihre Sammlertätigkeit war viel umfassender. Der Begriff "Weltkunst", der etwa auch China, Kuba und Lateinamerika umfasste, galt ihnen als Programm. Ihr Kunstbegriff wertete nicht zwischen "high" und "low". So sammelten sie auch die amerikanische Pattern-and-Decoration-Bewegung, die das Mumok 2019 präsentierte.

Manuela Ammer ist seit 2014 Kuratorin im Mumok.
Foto: Klaus Pichler / Mumok

STANDARD: Sie verwenden den Begriff "Anti-Pop". Wie würden Sie dieses Label definieren?

Ammer: Das ist kein neues Label, sondern eine Haltung, die der Konsumkultur und ihren Auswüchsen zwiespältig gegenübersteht. Sie lässt sich bereits in der historischen Pop-Art verorten. Angesichts unseres Zeitalters der globalen Krisen stellt eine solche Ambivalenz das vielleicht wichtigste Erbe der Pop-Art dar. Heute kann etwa Maja Vukoje exotische Früchte "poppig" malen und gleichzeitig den kolonialen Blick thematisieren, der unsere Lebenswelt durchzieht.

STANDARD: Die kleine schwarze Figur von Ines Doujak am Beginn der Schau drückt Verweigerung aus. Was lehnt sie ab?

Ammer: Das Werk Der Plünderer aus dem Jahr 2018 hält uns ein Schild mit der Aufschrift "Nein" entgegen. Die Absage gilt den falschen Prämissen der westlichen Konsumwelt, deren Versprechen von Wachstum und Fortschritt auf der Ausbeutung vieler basiert. Er repräsentiert die Verlierer des kapitalistischen Systems, also jene, die vom Konsum ausgeschlossen sind und sich radikalisiert haben.

"No" zur westlichen Konsumwelt: Ines Doujaks "Plünderer".
Foto: Mumok

STANDARD: Warum werden weibliche Popkünstlerinnen wie Evelyne Axell erst heute langsam bekannter?

Ammer: Es hat sich bereits einiges getan. Nichtsdestotrotz muss die Kunstgeschichte neu geschrieben werden. Ich persönlich möchte Begriffe wie "marginalisiert" im Zusammenhang mit Künstlerinnen gerne loswerden, denn auch das sind Schubladen. Das Ziel sollte sein, in einer Ausstellung auf selbstverständliche Weise Kent und Axell neben Warhol und Rosenquist zu hängen.

STANDARD: Die Frau als Objekt der Werbung und Medien kehrt in der Pop-Art immer wieder. Wie vertrugen sich Pop-Art und Feminismus?

Ammer: Als die Pop-Art ihren ersten Höhenflug erlebte, begann sich die Frauenbewegung erst zu formieren. Arbeiten wie Tom Wesselmanns Akte Great American Nudes sprechen die Objektivierung des weiblichen Körpers bereits an. Echte Gegenentwürfe dazu bieten erst Frauen wie EvelyneAxell oder auch Kiki Kogelnik, die die sexuelle Emanzipation und Weiblichkeit als Maskerade thematisieren. Diese Künstlerinnen wollten auch persönlich nicht mehr als dekorative Anhängsel behandelt werden.

Poppig und kritisch: Maja Vukojes exotische Früchte.
Foto: Bildrecht, Wien 2021

STANDARD: Zu den Neuerwerbungen des Mumoks zählen auch Flaggen der US-Künstlerin Ree Morton. Was hat es mit ihnen auf sich?

Ammer: Mit den Flaggen (Something in the Wind, 1975) bekannte sich Mortons öffentlich zu Menschen, die sie persönlich und künstlerisch begleiteten. Sie nähte mit der Hand den Vornamen einer Person und ein passendes Symbol darauf. Zuallererst wurden die Fahnen auf einem Segelschiff im New Yorker Hafen gezeigt, wo sie buchstäblich im Wind flatterten. Morton nannte den Ort "relations-ship", sie wollte Beziehungen anstelle des Künstler-Egos feiern.

STANDARD: Eine Fahne wurde auch bei der ersten Mondlandung gehisst. Wie reagierte die Kunst auf den Wettlauf ins All?

Ammer: Die Vorstellung, den Weltraum zu besiedeln, beflügelte die künstlerische Vorstellungskraft. Kogelnik veranstaltete etwa in der Wiener Galerie nächst St. Stephan ein "Moonhappening". Eines meiner Lieblingsbilder ist Der Mond – Die Braunschaft (1969) von Robert Indiana. Es spielt auf den Ingenieur Wernher von Braun an, der für die Nazis Waffen produzierte und nach seiner Emigration in die USA 1945 dem Apollo-Raketenprogramm der Nasa vorstand. Wie der Kapitalismus den "Sieg" beim Wettlauf ins All erringen konnte, sahen Künstlerinnen und Künstler also schon damals klar. (Nicole Scheyerer, 3.9.2021)