Die in Belgrad geborene Barbi Marković lebt seit 2006 in Wien. Ihre Literatur spielt damit.

Foto: Apollonia T. Bitzan

Die jüngste Zeitmaschine der Literaturgeschichte steht im Belgrad der 1990er. Ein Wissenschafter hat sie gebaut, um in der Zeit zurückzureisen und den Ausbruch der Jugoslawienkriege zu verhindern: Er träumt von einem geeinten Staat ohne nationalistische Tendenzen. Der zur Reparatur der Geschichte entwickelte Apparat tut inmitten des zerbrechenden Balkan aber nicht wie gewünscht und schickt seine Umgebung stattdessen in den 1990ern wild vor und zurück. Davon erzählt Barbi Marković in ihrem neuen Buch Die verschissene Zeit mit surrealem Touch.

1980 in Belgrad geboren, lebt Marković seit 2006 in Wien. Die Erfahrung des Krieges in der Heimat hat sie aber nie losgelassen. In Ausgehen versetzte sie daher 2006 Thomas Bernhards Erzählung Gehen mit viel Schmackes ins Nachkriegs-Belgrad, ihr Roman Superheldinnen handelte zehn Jahre später von drei Frauen, die dem ehemaligen Jugoslawien nach Wien entflohen sind und sich mit "Blitzen des Schicksals" in fremde Leben einmischen.

So poppig wie Marković verfährt keiner ihrer serbischstämmigen Kollegen wie Marko Dinić, Sandra Gugić oder der in Bosnien geborene Saša Stanišić mit seiner Herkunft.

Gewalttätige Welt

Das ist diesmal nicht anders. Marković erzählt in Die verschissene Zeit auf 200 Seiten eine Abenteuer- und Coming-of-Age-Geschichte. Hauptfiguren sind drei jugendliche Außenseiter. Als hätten sie mit Schulproblemen, väterlicher Gewalt, Brutalos aus der Nachbarschaft und kriegsbedingter Mangelernährung nicht genug am Hals, sollen sie üblen Figuren ein Medaillon stehlen, um die Zeitmaschine zu reparieren. Leichter gesagt als getan.

Dass die Maschine spinnt, ist der Clou der intensiven, stark an ein Jugendbuch erinnernden Geschichte. Dann wachen sie in ihren Körpern ein paar Jahre zuvor oder später auf. So macht die Handlung Station in verschiedenen Stadien des Krieges.

"Das Geld häufte sich an und verlor im Stundentakt an Wert. In nur einem Monat kamen drei Nullen dazu", heißt es etwa 1993. Es ist die Zeit, in der die Kategorie "Serbe" etabliert wird. 1996 finden die Studentenproteste gegen Milošević statt, man bäckt "Embargokuchen" ohne Eier und Mehl. 1999 ist das Jahr der Nato-Bombardements, trotzdem hat sich in Belgrad vieles zum Besseren verändert: "Es gibt mehr Produkte, Säfte, Schokoladen, grüne Eiskästen mit neuen Eissorten. Auch die Menschen sind anders gekleidet. Das Dieslertum kommt euch gedämpfter vor, als wären nur dezente stylische Elemente dieses flamboyanten Stils geblieben."

Diesler waren im Kapitel zuvor noch jene Coolen, die Jeans dieser Marke trugen, dazu Nike-Schuhe, breitbeinig gingen, bellend sprachen. Mit solchen Schlaglichtern und Details verleiht Marković der Zeit und der Stadt Kolorit und Plastizität. Sie hat sie ja miterlebt.Sie gibt mit ihrem mündlichen Stil und Humor zugleich aber auch der Wut einer jungen Generation auf die vorangegangenen Ausdruck, die es verbockt haben. Marković artikuliert Sehnsucht nach Besserung, Chancen, Frieden, Mitsprache. "Das Land produziert unser Scheitern", heißt es einmal.

Wut einer Generation

Es wird folglich viel geflucht, im Serbischen vorzugsweise mit Bezeichnungen für Geschlechtsorgane und -akte. Dass die kommentierende Erzählstimme ebenso ins Wiener Idiom verfällt ("Trotzdem drehst du dich um, na servas, das wolltest du nicht"), hat angesichts der Biografie der Autorin seinen eigenen Charme.

Wie viel Spiellust Marković hat, zeigen die letzten 70 Seiten des Buches: Sie sind eine Anleitung für ein Rollenspiel. Die Vorstellung, dass sein Schicksal Würfelpunkten ausgeliefert ist, rückt dem Leser die Geschichte noch näher. Marković meint es nicht historisch: Es seien wieder "viele positive Prinzipien der menschlichen Koexistenz verworfen", "schleißig verpackte Nationalinteressen" auf dem Vormarsch, "Hass und Gewalt gegen Schwächere wieder cool". Die Geschichte dürfe sich nicht wiederholen, warnt sie. (Michael Wurmitzer, 3.9.2021)