Der Rennfahrer und Maria Theresia-Nachfahre Ferdinand Habsburg-Lothringen läutet am 2. September den Handelstag am 250. Jubiläum der Wiener Börse ein.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Oft ist es die Sehnsucht nach Größe und Bedeutung, die Österreicher in der Vergangenheit schwelgen lassen. Während der österreichisch-ungarischen Monarchie zählte das Land noch zu den Großmächten – selbst als Finanzplatz hatte die Hauptstadt Wien zeitweise weltweite Bedeutung. Wie die allgemeine Schulpflicht oder das Bürgerliche Gesetzbuch geht auch die Börse auf die Regentschaft von Kaiserin Maria-Theresia (1740 bis 1780) zurück.

Vor genau einem Vierteljahrhundert, am 2. September 1771, startete der Handel mit Wertpapieren an der Wiener Börse – und zwar zunächst, wie von einer vom Adel dominierten Gesellschaft zu erwarten, ausschließlich mit Schuldverschreibungen. Erst 1818 notierte mit der Oesterreichischen Nationalbank die erste Aktie in Wien. Mitte des Jahrhunderts nahmen Gründungen von Aktiengesellschaften zu, vor allem in der Transportbranche. Auch die Erstnotiz einer Auslandsaktie 1856 stammte mit der Suezkanalgesellschaft aus dem Verkehrssektor.

Während der sogenannten Gründerzeit gegen Ende der 1860er-Jahre, eine von Wirtschaftsliberalismus geprägte Phase, standen regelmäßig Börsengänge an der Tagesordnung – darunter 1869 mit Porr und Wienerberger die dienstältesten, noch notierten Unternehmen der Wiener Börse. Dies war genau jene Phase, als eine Spekulationsblase den Aktienmarkt, damals der weltweit größte, erfasste, nicht zuletzt angefacht durch die im Jahr 1873 stattfindende Wiener Weltausstellung.

Schwarzer Freitag

Es kam, wie es kommen musste. Die hochgesteckten Erwartungen erfüllten sich nicht, vielmehr kamen immer mehr Aktiengesellschaften in Turbulenzen. Als schließlich am 9. Mai 1873, dem schwarzen Freitag der Wiener Börse, nicht weniger als 120 Gesellschaften insolvent wurden, brach am Aktienmarkt das Kartenhaus zusammen. Der Gründerboom war dem Gründerkrach gewichen, dessen Schockwellen von Wien ausgehend auch die Börsen von Berlin oder New York erfassten.

Auch die im Mai eröffnete Wiener Weltausstellung erwies sich alsbald als veritabler Flop. Statt der erwarteten 20 Millionen sollten nur 7,2 Millionen Besucher daran teilhaben. Kein Wunder, schließlich verwandelte Dauerregen das Ausstellungsgelände im Prater zeitweise in eine Sumpflandschaft, zudem erwies sich das Dach der eigens dafür errichteten Rotunde als undicht. Ein Aufzug wurde in dem Gebäude erst zwei Wochen vor Ende der Ausstellung errichtet und blieb bei der Probefahrt stecken. Abgerundet wurde das Debakel durch einen Choleraausbruch in Wien, der ebenfalls viele Besucher abschreckte.

Dauerhafte Folgen

Die Folgen des Wiener Börsencrashs sollten sich als hartnäckig erweisen. Eine schwere Rezession mündete in einen zermürbenden wirtschaftlichen Stillstand, die Arbeitslosigkeit nahm deutlich zu. Folglich wendete sich die Politik vom Liberalismus ab und griff wieder stärker in die Wirtschaftsabläufe ein. Ein kapitalmarktfeindlicher Konsens griff in der Bevölkerung um sich, dessen Auswirkungen die heimische Wirtschaft bis in die jüngere Vergangenheit prägen sollte.

Daran vermochte auch der 1877 erfolgte Umzug aus dem Palais Ferstel in das Börsengebäude am Wiener Schottenring nichts zu ändern – zumal der Markt nach dem Zerfall der Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg plötzlich nur noch die Börse eines kleinen Nationalstaats war. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg blieb zunächst nur der Brand des Jahres 1956 in Erinnerung, der zu einer Umgestaltung und Wiedereröffnung im Jahr 1959 führte.

Am Wiener Schottenring, im Bild das Handelsparkett, hatte die Börse von 1877 bis 1998 ihren Sitz. Im März 1945 wurde das Haus von einem Bombentreffer beschädigt, ebenso bei einem Brand im April 1956. Anschließend wurde das Gebäude umgestaltet.
Foto: Wiener Börse

Damals war jener Mann, der die Wiener Börse später aus ihrem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf wachküssen sollte, selbst noch ein Teenager. In den 1980er-Jahren erkannte Jim Rogers, damals bereits ein einflussreicher US-Investor, das Kurspotenzial des international damals kaum beachteten Marktes und löste nicht nur einen mehrjährigen Boom aus, sondern trug auch zum Wandel des Marktplatzes zur heutigen Wiener Börse bei.

Einer der Meilensteine war 1991, also vor 30 Jahren, die Einführung des heutigen Leitindex ATX, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger, dem Wiener Börsenkammer-Index, laufend errechnet wird. 1997 erfolgte die Fusion der Börsenkammer, die zuvor den Markt verwaltete, mit der Österreichischen Termin- und Optionenbörse ÖTOB zur heutigen Wiener Börse AG.

Digitaler Vorreiter

In Sachen Digitalisierung war die Börse ein Vorreiter. Das halb automatische Handelssystem Pats, das noch für den Präsenzhandel am Schottenring benutzt wurde, wich vollelektronischen Nachfolgern – seit 1999 ist nunmehr das Xetra-System der Deutschen Börse in Verwendung. Auch räumlich wurde die Digitalisierung des Handels mitgetragen, nämlich mit dem 2002 abgeschlossenen Umzug vom Schottenring in die Wallnerstraße. Heute beruht das Geschäft der Wiener Börse, die im Eigentum von Banken und gelisteten Unternehmen steht, nicht nur auf dem Wertpapierhandel. Zudem hat sich die Börse auf die Verbreitung von Marktdaten, Indexberechnungen, IT-Dienstleistungen und die Wertpapierverwahrung fokussiert.

Auch wenn der Wiener Aktienmarkt von früherer Bedeutung weit entfernt ist und auch mit der technologielastigen Wall Street zuletzt nicht mithalten könnte, kann er zum Jubiläum auf einen Rekord verweisen. Inklusive Dividenden notiert der ATX nur knapp unter seinem Höchstwert von Mitte August. (Alexander Hahn, 2.9.2021)