Im Blauen Salon des Bildungsministeriums am Wiener Minoritenplatz diskutierten Minister Heinz Faßmann (ÖVP) und ÖH-Vorsitzende Sara Velić (VSStÖ) über heikle Fragen zum nahenden Semesterstart an Österreichs Hochschulen.

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Viele Studierende haben ihre Hochschule seit März 2020 kaum von innen gesehen, doch nun soll es in Hörsälen, Seminarräumen und Co bald wieder losgehen. Noch sind aber zahlreiche Fragen offen: Reicht die 3G-Regel aus, oder sollen nur mehr Geimpfte an die Uni kommen dürfen? Ist eine Rückkehr zum vollen Präsenzbetrieb nach den Erfahrungen der Pandemie überhaupt wünschenswert? Und tut die Regierung genug, um finanzielle Nöte der Studierenden abzufedern? Der STANDARD hat darüber mit Wissenschaftsminister Heinz Faßmann (ÖVP) und der seit Juli amtierenden ÖH-Vorsitzenden Sara Velić (Verband Sozialistischer StudentInnen) in ihrem ersten gemeinsamen Interview diskutiert.

STANDARD: Wie oft redet man eigentlich miteinander als Wissenschaftsminister und als oberste Studierendenvertreterin?

Faßmann: Nach der Wahl des neuen ÖH-Vorsitzteams hatten wir Anfang Juli ein Antrittsgespräch und haben vereinbart, dass wir uns mindestens ein Mal pro Semester treffen. Für dringende Fällen haben wir Nummern ausgetauscht, um telefonisch Kontakt aufzunehmen.

STANDARD: Haben Sie den schnellen Draht zum Minister schon genutzt?

Velić: Noch nicht, aber die ÖH kommuniziert ja auch mit anderen Ansprechpersonen im Ministerium.

Faßmann: Die letzten zwei Monate war an den Hochschulen vorlesungsfreie Zeit, da haben wir uns gegenseitig nicht gestört.

STANDARD: An manchen Fachhochschulen geht’s aber demnächst los, an den Unis dann in einem Monat. Zugleich steigen die Infektionszahlen stark. Glauben Sie, dass es dieses Semester mit viel Präsenz klappt?

Faßmann: Die Präsenzlehre wird sicherlich die dominante Form des Unterrichts sein. Wir haben alle gemerkt, wie wichtig das Sich-Begegnen und ungefilterte Miteinander-Sprechen für den intellektuellen Diskurs ist.

Velić: Auch den Studierenden ist es wichtig, dass es wieder mehr Präsenz gibt. Wir wollen aber einen Hybridbetrieb, denn es wäre nach dem Digitalisierungsschub der Pandemie ein großer Fehler, wieder zum alten Lehrmodus zurückzukehren, den es jahrhundertelang gab. Digitale Angebote schaffen mehr Flexibilität, gerade bei Studierenden, die nebenher arbeiten und Betreuungspflichten haben.

Faßmann: Ich unterstütze es auch, dass wir Elemente hybriden Unterrichts beibehalten werden, das Ausmaß hängt natürlich vom Fach ab. In einer künstlerischen Ausbildung muss man nahezu ständig vor Ort sein. Manche kognitive Lehreinheit lässt sich hingegen mit digitalen Mitteln so gestalten, dass sie zeit- und ortsungebunden abgerufen werden kann und sogar spannender ist als eine klassische Vorlesung im Hörsaal.

STANDARD: Sehen Sie die Gefahr, dass Unis die Onlineformate für ein Sparprogramm ausschlachten könnten? Überspitzt gesagt: eine aufgezeichnete Einführungsvorlesung zehn Jahre lang den Studierenden präsentieren und so Professoren und Räume sparen?

Faßmann: Das kann ich mir nicht vorstellen, und das ist sicher nicht das, was ich will.

Velić: Ich sehe da auch kaum eine Gefahr. Ich habe eher das Gefühl, dass es aufseiten vieler Lehrender noch immer starke Vorbehalte gegen die digitalen Formate gibt. Man muss die Unis oft antreiben, mehr digitale Elemente im Alltag einzubauen.

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STANDARD: Zurück zum nahenden Semester. Herr Minister, welches Szenario im Infektionsgeschehen müsste eintreten, damit Sie von Ihrer Devise maximaler Präsenzlehre abrücken und den Hochschulen raten, doch wieder mehr auf Distance-Learning zu setzen?

Faßmann: Die 3G-Regel ist eine gute Voraussetzung, mit der sich verhindern lässt, dass Studierende Treiber der Pandemie werden. Ich sehe daher auch nicht ein, wieso wir die Unis sperren sollten. Die Studierendengeneration hat lange genug ihre Opfer gebracht, nun sollten die anderen Altersgruppen solidarisch sein, indem sie sich impfen lassen und auch keinen Druck für neuerliche Schließungen von Bildungsanstalten ausüben.

Velić: Ich hoffe auch, dass nicht wieder während des Semesters zugemacht werden muss. Wenn man von vornherein stärker auf hybride Formate setzen würde, damit nicht alle zugleich auf der Uni sind, könnte man allerdings besser vorbeugen für den Fall, dass die Ansteckungszahlen massiv steigen.

STANDARD: Zuletzt ist eine Debatte entbrannt, ob die Unis von 3G auf 1G oder 2G verschärfen sollten. Wie stehen Sie dazu?

Velić: Eines ist klar: Je mehr Studierende sich impfen lassen, umso sicherer ist die Teilnahme an der Präsenzlehre. Aber es soll auch niemand von der Uni ausgeschlossen werden. Bevor 1G verlangt wird, bräuchte es eine breitere Diskussion.

STANDARD: Aber die Entscheidung muss ja demnächst fallen, und eine Diskussion gibt es schon.

Velić: Für uns sind noch zu viele Fragen ungeklärt – was etwa bei 1G mit Studierenden aus dem Ausland passieren würde, die Impfstoffe bekommen haben, die in Österreich nicht anerkannt sind. Oder wie mit Personen umgegangen wird, die nicht geimpft werden können.

Faßmann: Ich halte generell die 3G-Regel für sinnvoll, auch weil man niemanden so einfach vom Studium ausschließen sollte. Es bedarf jedenfalls einer besonderen sachlichen Begründung dafür. Genesene wird man virologisch gesehen nicht schlechterstellen dürfen als Geimpfte, daher müsste sich 1G schnell zu 2G wandeln. An Med-Unis wird das für die klinische Ausbildung auch vorgeschrieben, aufgrund des Patientenkontakts der Studierenden finde ich das einsichtig. Um auch in anderen Studienfeldern die bloß Getesteten auszuschließen, sehe ich die erforderliche gute Begründung noch nicht.

STANDARD: Entscheiden und begründen müssen das nach derzeitiger Rechtslage letztlich die jeweiligen Rektorate. Ist es wirklich sinnvoll, ihnen solche gesundheitspolitischen Regelungen zu überlassen? Die Politik könnte auch einen engeren Rahmen vorgeben.

Faßmann: Es muss keine Command-and-Control-Struktur vorherrschen, um zu einer gemeinsamen Strategie zu kommen. Die autonomen Unis können im Rahmen der Gesetze individuelle Maßnahmen setzen, die gut zu begründen sind. Die Abstimmung zwischen Hochschulen und Ministerium funktioniert sehr gut, beispielsweise gibt es seit mehr als einem Jahr einen wöchentlichen Austausch mit allen Verantwortungsträgern.

Velić: Die Hochschulautonomie ist ein Balanceakt. Aus der Perspektive der ÖH ist es wichtig, dass alle Studierenden die gleichen Rechte haben. Das würde aber nicht erfüllt, wenn es an einem Standort die 3G-Regel gäbe und am anderen die 1G-Regel oder etwas anderes. Da wäre es schon vorteilhaft, zentrale Anweisungen an die Hochschulen zu haben. Aber das ist Ihr Kaffee. (Blick zu Faßmann)

Faßmann: Ich nehme gerne zur Kenntnis, dass die ÖH dem Minister mehr Kompetenzen zuschreiben würde. (Beide lachen)

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STANDARD: Wissen Sie eigentlich, wie viel Prozent der Studierenden geimpft sind?

Faßmann: Leider nicht, weil es noch keinen Datenabgleich zwischen der Impfstatistik und dem Bevölkerungsregister gibt. Unterschiedliche Register haben unterschiedliche Eigentümerstrukturen, und es gab noch wenige Initiativen, sie zu verbinden. Ich hoffe aber, dass das bald möglich ist – mein Ministerium drängt darauf und will solche Verknüpfungen künftig mit der Schaffung des Austrian Micro Data Center erleichtern.

STANDARD: Kommen wir zur Rolle der ÖH. Nach der extrem niedrigen Beteiligung an der Wahl im Mai – 16 Prozent – gab es Rufe nach einer Reform, um das Wählen zu erleichtern, etwa per E-Voting. Geht da etwas weiter?

Velić: Wir hatten zu der Frage schon einen Termin mit dem Ministerium, aber bis zur nächsten Wahl 2023 wird sich E-Voting wohl nicht ausgehen, weil das eine sehr komplexe Änderung ist. Kurzfristig wollen wir eher die Briefwahl erleichtern, vor allem für die Ebene der Studienvertretungen. Da gab es bisher leider nur die Möglichkeit direkt im Wahllokal, bis zur nächsten Wahl hoffen wir, dass sie auch per Brief gewählt werden können.

Faßmann: Mir ist alles recht, was dazu beiträgt, die Legitimation der ÖH zu heben. Ich gehöre nicht zu jenen, die die ÖH grundsätzlich infrage stellen, im Gegenteil: Eine starke Interessenvertretung ist wichtig, um die studentischen Anliegen im hochschulpolitischen Diskussionsprozess abzubilden.

STANDARD: Wann haben Sie sich das letzte Mal in einer hochschulpolitischen Frage von der ÖH umstimmen lassen?

Faßmann: (denkt nach) Das kann ich spontan nicht beantworten.

STANDARD: Die Pandemie hat vielen Studierenden finanzielle Probleme beschert. Wie beurteilen Sie den Umgang des Bildungsministers damit, Frau Velić?

Velić: Leider war die Regierung nicht bereit, für die Zeit der Pandemie die Studiengebühren zu erlassen oder zurückzuzahlen. Dabei waren fast alle Studierenden von Einkommensverlusten durch den Wegfall von Nebenjobs betroffen und mussten die Kosten für die Infrastruktur im Distance-Learning selber zahlen. Man hat es auch geschafft, Corona-Prämien und Managerboni auszuschütten, da hätte man auch die Gebühren streichen können.

Faßmann: Ich möchte betonen: Studiengebühren muss man nur zahlen, wenn man länger als die Frist der Toleranzsemester studiert oder wenn man aus einem Drittstaat kommt. Die Beträge von rund 360 respektive 720 Euro pro Semester sind auch sehr moderat. Dazu kommt, dass die Unis in den vergangenen drei Semestern ihre Leistungen für die Studierenden erbracht haben, das sieht man etwa anhand der gestiegenen Prüfungsaktivität.

Velić: Auch wenn die Prüfungsaktivität insgesamt da war, gab es dennoch Verzögerungen beim Studienfortschritt durch ständige Umstellungen beim Lehrveranstaltungsangebot oder abgesagte Praktika. Darum fordern wir, dass die Toleranzsemester verlängert und die Altersgrenzen bei Beihilfen erhöht werden.

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STANDARD: Die ÖH hat zwei Corona-Härtefallfonds mit insgesamt 1,25 Millionen Euro eingerichtet, um bei sozialen Nöten von Studierenden auszuhelfen. Klappt das?

Velić: Die ÖH macht das, weil es sonst niemand in der Politik macht. Es ist wahnsinnig viel bürokratische Arbeit dahinter, ehrenamtliche Studierende müssen sich um die schwierige Entscheidung kümmern, wer wie viel Geld aus dem Fonds bekommt. Wir sind immer noch mit der Bearbeitung der Anträge eingedeckt, die teilweise bis zum März zurückreichen. Man muss aber sagen, dass uns das Ministerium beim zweiten Härtefonds mit 225.000 Euro unterstützt hat.

STANDARD: Aber wäre das nicht eigentlich ohnehin Aufgabe des Staates, solche Härtefälle infolge der Pandemie-Maßnahmen abzufedern?

Faßmann: Wir haben Geld zum ÖH-Fonds zugeschossen, weil ich diese Art der Hilfe wichtig finde. Als Bildungsminister kann ich aber nicht einfach die Brieftasche zücken und einzelnen Studierenden Geld geben, das wäre rechtlich nicht gedeckt. Die ÖH ist ein Selbstverwaltungskörper und daher die richtige Anlaufstelle für eine unbürokratische Auszahlung in Härtefällen. (Theo Anders, 4.9. 2021)