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Bill Clinton und James Patterson.

Foto: AP

Kopfschütteln war noch die mildeste Reaktion auf die Bemerkung Bill Clintons, warum er sich einst mit der 23-jährigen Praktikantin Monika Lewinsky auf sexuelle Spiele eingelassen hatte.

"Because I could" – so könnte der ehemalige US-Präsident auch die Frage beantworten, warum er einen Krimi geschrieben hat, in dem ein ehemaliger Amtsinhaber des Weißen Hauses im Mittelpunkt einer Entführung steht. Tatsächlich ist Die Tochter des Präsidenten schon Clintons zweiter Roman, den er gemeinsam mit dem Bestsellerautor James Patterson verfasste.

Beim ersten Thriller ging es vorwiegend um Cyberkriminalität, Spionage und einen Verräter in der eigenen Regierung, die der Chef nur lösen konnte, indem er sich selbst drei Tage lang aus Washington, D.C., absentierte. Diesmal beginnt der Albtraum damit, dass die Tochter Melanie des inzwischen abgewählten Präsidenten Matthew Keating entführt wird. Parallelen zu Clintons eigener Amtszeit sind unübersehbar. Diese junge Frau ist siebzehn, Chelsea, Clintons Tochter, war zwölf Jahre alt, als die Familie ins Weiße Haus einzog, und zwanzig, als die Amtszeit vorüber war.

Wie Mel, die Protagonistin des Romans, besuchte auch Chelsea das Elitegymnasium Sidwell Friends. Jeden Tag wurde sie vom Secret Service zur und von der Schule begleitet, außerhalb des Compounds des Weißen Hauses war die Möglichkeit einer Entführung immer gegeben. Bei der fiktiven Mel Keating kommt ein besonders gravierender Nachteil hinzu: Für die Tochter eines Ex-Präsidenten gibt es keine 24-Stunden-Überwachung mehr.

Als sie mit ihrem Freund Tim nach New Hampshire zum Wandern fährt, nähern sich zwei Männer – gut gekleidet, mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht – ihrem Rastplatz. Wenige Minuten später stirbt Tim durch einen Schuss in die Schläfe, Melanie wird in ein Auto gezerrt und in ein nahegelegenes, leerstehendes Haus gebracht. Die Keatings erfahren von der Entführung durch ein Video, das Al Jazeera ausstrahlt.

Darin erheben die Männer – der Libyer Asim Al-Ashid, der wegen besonders brutaler Terrorattacken weltweit gesucht wird, und dessen Cousin Faraj – ihre Forderungen: Lösegeld in Milliardenhöhe, freies Geleit und die Freilassung von drei arabischen Gefangenen aus amerikanischen Gefängnissen.

Al-Ashid hat ganz persönliche Gründe, sich an Matthew Keating zu rächen. Bei einem Angriff auf sein Versteck in den Bergen Libyens, der noch von Keating als Präsident in Auftrag gegeben wurde, kommen seine Frau und seine Töchter ums Leben, er bleibt unverletzt. Als klar wird, dass die US-Administration auf seine Forderungen nicht eingeht, strahlt Al Jazeera ein weiteres Video aus: Es gibt jenen grausamen Augenblick wieder, in dem alles darauf hindeutet, dass der blutrünstige Terrorist dem Teenager Mel Keating mit einem Säbel den Kopf vom Körper trennt.

Terroristen und Chinesen

Ziemlich klar lässt sich herauslesen, welche Passagen Clinton und welche Patterson geschrieben hat: Letzterer weiß, wie Spannung aufrechterhalten wird – dafür sorgen an die 140 Kapitel, die von einem Schauplatz zum anderen springen und immer wieder die Handlung unterbrechen. Szenen im Weißen Haus wiederum tragen eindeutig die Handschrift des Ex-Präsidenten. Vor allem, wenn es darum geht, wie sich Pamela Barnes, "seine" ehemalige Vizepräsidentin und Nachfolgerin, die Nominierung erschwindelte und – schließlich im Amt – mit der Erpressung umgeht. Nur nichts tun, was den Eindruck erwecken könnte, die US-Administration lasse sie von Terroristen erpressen.

Um den Plot nicht allzu einseitig erscheinen zu lassen – die "guten" Amerikaner gegen die bösen Libyer –, tritt noch eine dritte Partei auf, in der Person von Jiang Lijun. Der (fiktive) Asiate verlor seinen Vater bei dem von Clinton initiierten (echten) Bombenangriff auf die chinesische Botschaft in Belgrad im Mai 1999.

Mittlerweile hat es auch er zu diplomatischen Ehren gebracht und plant, das Warum wird nie ganz klar herausgearbeitet, die Versöhnung Chinas mit den USA. Dazu will er die Tochter des Präsidenten aus den Händen Asim Al-Ashids freikaufen, den er noch von seinem früheren Einsatz in Libyen kennt.

Davon weiß der Ex-Präsident natürlich nichts. Doch sich auf einen Chinesen zu verlassen, um seine Tochter freizubekommen, wäre unvorstellbar gewesen. Also muss Matthew Keating die Aktion selbst in die Hand nehmen. Als ehemaliges Mitglied einer Spezialeinheit der US-Navy (SEAL) hat er auch die besten Voraussetzungen dafür. Er rekrutiert eine kleine Gruppe von loyalen Militärexperten und macht sich auf den Weg nach Libyen, wohin Geheimdienstnachrichten zufolge Asim Al-Ashid Keatings Tochter aus den USA verschleppte. Wenn sie denn überhaupt noch lebt.

Spannend ist der Politkrimi allemal, und wer ein bisschen hinter das Getriebe des Weißen Hauses blicken will, kommt auch auf seine Rechnung. Doch kann Matthew Keating am Ende seine Tochter tatsächlich befreien? Noch bleibt die Frage (Seite 513) offen. Wenn ja, Bill Clinton hätte eine Erklärung dafür: Because he could. (Eugen Freund, ALBUM, 5.9.2021)