Abba während der Aufnahmen zu ihrer digitalen Verjüngungskur als ABBAtare.

Foto: Baillie Walsh

Gestern Abend meldete sich die schwedische Popgruppe Abba mit einem weltweit übertragenen Streaming-Event zurück. "The winner takes it all, the loser has to fall": Fast 40 Jahre war die perfekte Popgruppe für Hochzeiten, Todesfälle, Scheidungsverfahren und den Verlauf einer milden Depression nicht aktiv.

Jüngere Zeitgenossen und ältere Kinogeher erinnern sich vielleicht an schreckliche Filme Mamma Mia! und Mamma Mia! Here We go Again, die Abba 2008 und 2018 wieder zurück ins kollektive Kurzzeitgedächtnis und in die Kinderzimmer und Rentnerstuben brachten und für eine nachhaltige Verwüstung der Kino-, DVD- und Streaminglandschaft sorgten. Wer will Meryl Streep und Pierce Brosnan singen hören? Wir sicher nicht!

60 Minuten dauern zwei Stunden

Nun wollen es Agnetha Fältskog, Björn Ulvaeus, Benny Andersson und Anni-Frid Lyngstad jedenfalls höchstselbst noch einmal wissen. Im Rahmen eines weltweit übertragenen Streaming-Events, bei dem auf Youtube selbst zu Spitzenzeiten nur eine Viertelmillion Leute teilnahm, wurde man Zeuge von einem: 60 Minuten Sendezeit können sich auch wie zwei zeitdehnende und ereignislose Stunden ORF-Diskussionsrunde mit den Parteiobmännern aller im Parlament vertretenen Fraktionen anfühlen.

Die zwei Frauen wollten wegen so einer Lappalie wie einem Comeback nach 40 Jahren Sendepause nicht anreisen, Benny und Björn standen aber der Welt live in London bei diesem "Jahrhundertevent" zwar gelangweilt, aber doch den knallharten Fragen einer dort ansässigen Radiomoderatorin Rede und Antwort: "Wo nehmt ihr bloß Eure Energie her?!" Dazu wurde schließlich verkündigt, dass die einst perfekte Pop- und Songcontest-Band mit den schlimmsten Frisuren und Bühnenkostümen der Geschichte nicht nur ab dem nächsten Frühjahr eine Live-Show konzipiert.

AbbaVEVO

Mit einem hundertköpfigen Computerdings-Technikerteam hat man sich die letzten Jahre in der seit 1982 selbstgewählten Frührente auch damit beschäftigt, digitale, zirka 40 Jahre alt erscheinende "ABBAtare" zu entwickeln. Die treten dann, mit neu eingespielten alten Liedern wie Dancing Queen – altes Herz wird wieder jung – als immerjunge "Hologramme" in London in einer derzeit noch im Bau befindlichen Abba-Konzerthalle mit einer zehnköpfigen Liveband auf. Bringt Geld, spart Zeit. Alle Bandmitglieder sind über 70 Jahre alt.

Die heutigen Powerrentner brachen damals Anfang der 1980er-Jahre ja nicht nur wegen ihrer Scheidungen auseinander, sondern auch, weil man nicht mehr touren und auftreten wollte. Die künftigen Eingänge auf dem Bankkonto werden allerdings zumindest von den zwei Männern in der Band höchstpersönlich überwacht werden. Bis heute haben Abba an die 400 Millionen Tonträger verkauft. Das ist nicht nichts.

AbbaVEVO

Als Bonus dazu wurde schließlich auch ein neues Album namens Voyage angekündigt. Es soll am 4. November erscheinen. Zwei Lieder daraus waren am Donnerstag Abend auch schon zu hören. I Still Have Faith In You erinnert in seiner Mischung aus Klavierschleicherintro und leicht zittrigen Altersstimmen von Agnetha und Anni-Frid ziemlich an den alten Welthit Thank You For The Music. Allerdings wird dann im Sinne einer allumfassenden Weltumarmung nicht nur der Gesang multipliziert und in den Hallraum verräumt. Es klingt dann auch so, wie wenn DJ Bobo eine 1980er-Powerballade von Whitney Houston versemmelt hätte.

Vor dem ABBA-Museum in Stockholm sind die Fans außer sich
DER STANDARD

Sofort duschen

Abba waren einst Großmeister des Genres. Das Genre trägt allerdings in Zeiten sensibler Autotune- und Quietschentenpopper einen ziemlichen Bart. Der zweite neue Song des ansonsten in Öl und Fischkonserven machenden Weltkonzerns Abba nennt sich Don’t Shut Me Down. Er geht es mit einem Club-Med-Reggaerhythums und etwas deplatziert wirkendem Selbstverwirklichungssaxofon entschieden flotter an. Die heutige kristallklare digitale Aufnahmetechnik hat den immer auch leicht verschlurft und dumpf klingenden Großtaten früherer Zeiten allerdings nicht gut getan. Ein kluger Mann hat einmal gesagt, Abba würden so wie Leute klingen, die nach dem Sex immer sofort ins Badezimmer rennen um sich zu duschen. Nun gut, auch das ist nun vorbei. (Christian Schachinger, 3.9.2021)