Die Kandidaten, die zugunsten von Edith Hlawati übergangen wurden, könnten klagen.

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Claus Raidl hat in seinem STANDARD-Beitrag eine Reihe von rechtlich bedenklichen Vorfällen rund um die Besetzung der neuen Öbag-Vorstandsposition aufgezeigt und in diesem Zusammenhang die Befassung der Strafverfolgungsbehörden und des Handelsgerichts angeregt. Erfolgversprechender erscheint mir die Prüfung der EU-rechtlichen Aspekte.

Dass hier auch eine EU-rechtliche Seite gegeben ist, wurde – soweit ersichtlich – bisher übersehen. Dabei ist diese aber möglicherweise von zentraler Relevanz.

Der Öbag-Vorstandsposten wurde international ausgeschrieben – und tatsächlich haben sich auch Kandidaten aus anderen EU-Mitgliedsstaaten für diese hochdotierte, äußerst begehrte Position beworben. Obwohl in einem Grenzbereich liegend, ist davon auszugehen, dass hier die die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV bzw. gegebenenfalls die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AUEV greift. Auf dieser Grundlage ist ein faires, rechtskonformes Verfahren sicherzustellen, und die Kandidaten, die Verfahrensverletzungen monieren, haben gemäß Art. 47 der EU-Grundrechte-Charta (GRC) Anspruch auf einen wirksamen Zugang zu einem Gericht.

Wo bleibt die "gute Verwaltung"?

Sollten die kolportierten Informationen stimmen, muss ein Zugang zu einem Gericht offenstehen, um zu überprüfen, ob ein faires Verfahren gegeben war. Auch ohne Vertiefung der Frage, ob hier schwerwiegendere Gesetzesverstöße vorliegen, wäre hier – schon auf der Grundlage von Raidls Ausführungen – zu prüfen, ob jene Regeln verletzt worden sind, die gemeinhin mit dem Begriff der "guten Verwaltung" gleichgesetzt werden.

Die Einhaltung der Regeln der "guten Verwaltung" ist gemäß Art. 41 GRC verpflichtend für die Organe der EU vorgeschrieben. Diese Verpflichtung gilt darüber hinaus aber auch als allgemeiner Rechtsgrundsatz für die Mitgliedsstaaten im Anwendungsbereich des EU-Rechts, somit also auch im vorliegenden Fall. Sollte ein solcher Verstoß festgestellt werden (Literatur und Rechtsprechung haben Art. 41 GRC bereits im Detail konkretisiert), wäre dieses Verfahren EU-rechtswidrig und die Aufsichtsinstanz verpflichtet, die Ausschreibung rückwirkend als nichtig zu erklären.

Rechtslücke in Österreich

Können aber auch die übergangenen Kandidaten klagen? Hier liegt eine Rechtslücke in der österreichischen Zivilprozessordnung bzw. eine Fehlinterpretation des § 228 ZPO durch die Gerichtsbarkeit vor: Die österreichische Gerichtsbarkeit verneint die Zulässigkeit einer "Konkurrentenklage", indem sie das Vorliegen eines Rechtsschutzinteresses bestreitet.

Dies ist bereits aus der Perspektive der österreichischen Verfassungsordnung höchst bedenklich. Unter Berücksichtigung des EU-Rechts ist diese Rechtsposition hingegen manifest falsch: Das Rechtsschutzinteresse erwächst den diskriminierten Bewerbern unmittelbar aus dem EU-Recht. Was in Österreich wohl übersehen wird: Die Grundfreiheiten verleihen subjektive Rechte, und diese sind unmittelbar anwendbar.

Die übergangenen Bewerber haben damit ohne weiteres eine Klagemöglichkeit. Sollten die Gerichte ein Rechtsschutzinteresse in diesem Fall nicht zuerkennen, müsste Österreich mit einem Vertragsverletzungsverfahren bzw. mit Staatshaftung rechnen. (Peter Hilpold, 3.9.2021)