Kaum jemand liebt sein Auto so sehr wie die Deutschen.

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An der Raststätte Aichen Nord an der A8 in Baden-Württemberg wirkt alles so, wie es immer schon war. Im Tankstellenshop gibt es Motoröl, Zeitschriften und duftende Wunderbäume fürs Auto, in den Vitrinen Schnitzelsemmeln und dampfende Bockwurst im Blätterteig. Eine Wohlfühlwelt für den deutschen Autofahrer.

Draußen steht Ediceh E., 32 Jahre alt und Audi-Fahrerin, und sagt, dass sie es eigentlich auch ganz gut fände, wenn sich nicht allzu viel ändern würde. Sie meint damit die deutsche Autobahn und die Autos selbst. "Ich fahre einen Diesel, ich bin ein böses Mädchen", sagt die Münchnerin und zieht an ihrer Zigarette. "Es ist mir ehrlich gesagt egal, wie das Image vom Diesel ist." Kommt ein E-Auto für sie infrage? Nein, sagt Ediceh. "Da müssen sie erst mal bessere Batterien und mehr Ladestationen bauen."

Und wenn die Politik ein Tempolimit auf der deutschen Autobahn einführen würde wie in Österreich und der Schweiz? Sie antwortet: "Dann raste ich aus."

Solche Bekenntnisse wie Edicehs Liebeserklärung an den Verbrennungsmotor hört man öfter an der Raststätte Aichen Nord auf der Schwäbischen Alb. Zum deutschen Selbstverständnis gehört es nun einmal, zuverlässige und schnelle Autos zu bauen, und das Herzstück in diesen Autos waren bisher PS-starke Verbrennungsmotoren. So ermöglichte die Autoindustrie nach dem Krieg das bundesdeutsche Wirtschaftswunder. Im VW Käfer fuhr man in eine bessere Zukunft.

Den Umstieg aufs E-Auto will sich Ediceh aus München nicht vorstellen.
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Motorschaden

13.190 Kilometer Autobahnen, 48 Millionen zugelassene Pkws, 21 Millionen Mitglieder beim Autofahrerklub Adac – Zahlen, die zeigen, wie wichtig die Autoindustrie für die deutsche Gesellschaft ist. Die drei größten Autobauer, Volkswagen, Daimler und BMW, machten im Corona-Jahr 2020 zusammen rund 476 Milliarden Euro Umsatz, VW davon allein 223 Milliarden Euro.

Nun aber steht im Land der Denker und Lenker der Klimaschutz ganz oben auf der politischen Agenda, auch in diesem Bundestagswahlkampf. Die Politik will, dass die deutschen Straßen möglichst bald von Elektroautos beherrscht werden. Die Autokonzerne müssen sich dafür radikal verändern. Kann das gutgehen?

Die schnelle Antwort lautet: wahrscheinlich ja. Denn der Kulturbruch ist bereits im Gange. Im Jahr 2013 prophezeite der damalige VW-Chef Martin Winterkorn noch, dass "reine Elektrofahrzeuge zunächst wohl eher Zweitwagen bleiben oder in Fuhrparks eingesetzt werden". Heute sagt der amtierende VW-Chef Herbert Diess hingegen: Um die CO2-Ziele der Europäischen Union für 2030 zu erreichen, "ist die E-Mobilität die einzig vernünftige Lösung". Dass VW auf Elektroautos und nicht etwa auf Wasserstoffantriebe setze, sei "keine Wette" auf die Zukunft, sondern "eine sehr rationale und faktenbasierte Entscheidung".

Die E-Transformation

Der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer sieht die deutschen Autobauer im Wettbewerb gegen US-amerikanische Player wie Tesla und Co inzwischen gut gerüstet. "Der VW-Konzern ist in Deutschland mittlerweile am besten aufgestellt, man investiert viel in Batterien und eigene Batteriewerke", sagt Dudenhöffer zum STANDARD. "Die Transformation ist bei VW und Daimler eigentlich schon gelungen. BMW liegt hinten, die müssen schneller werden."

Kann aus dem Mutterland der Verbrennungsmotoren also eine richtig glückliche E-Auto-Nation werden? Die längere Antwort scheint kompliziert. Denn wie schnell sich der elektrische Antrieb in der Autorepublik durchsetzt, hängt neben der Attraktivität der Fahrzeuge auch am Ausbau der Ladesäulen. Und da hinkt Deutschland seinen eigenen Zielen hinterher. Auch das Energienetz muss noch wesentlich stärker werden. Frank Mastiaux, Chef des baden-württembergischen Energiekonzerns EnBW, beruhigte zwar kürzlich, "die Strommenge ist nicht das Problem". Er gab aber auch zu, "die Herausforderung beginnt dann, wenn viele Fahrzeuge gleichzeitig laden". Noch eine Aufgabe für die deutsche Politik: In der deutschen Zulieferindustrie hängen 300.000 Jobs am Automobil, bisher vorwiegend am Verbrennungsmotor.

Der letzte Verbrenner fährt los

Die deutsche Wirtschaft, nicht nur die Automobilsparte, soll zugleich grüner und leistungsfähiger werden – dabei aber möglichst nicht teurere Produkte verkaufen. Die Konzern- und die Parteizentralen möchten ihre Kunden (und Wähler) schließlich nicht vergrämen. Man könnte über Deutschland sagen, es ist gerade alles ein bisschen viel.

Die Wende zum Elektroauto hat dennoch unaufhaltsam begonnen. Die EU-Kommission will, dass ab 2035 nur noch rein elektrische Autos zugelassen werden, und in jedem EU-Land soll es alle 60 Kilometer eine Ladestelle geben. Die deutsche Regierung hat als Ziel genannt, bis zum Jahr 2030 zehn Millionen E-Fahrzeuge auf die Straße zu bringen, um die nationalen Klimaziele zu erreichen. Mittlerweile werden in deutschen Medien reihenweise Nachrufe auf den Verbrennungsmotor verfasst, die Transformation zur Batterie gilt als beschlossene Sache. Ein ehemaliger VW-Vertriebschef formuliert im Branchenmagazin Next Mobility: "Das Thema ist durch, der Drops ist gelutscht."

Die Grünen fordern im Bundestagswahlkampf nun, den Anteil von E-Autos bis 2030 sogar auf "mindestens 15 Millionen Fahrzeuge" zu steigern. CDU/CSU klingen deutlich zurückhaltender, wollen aber immerhin "das Ladesäulennetz so ausbauen, dass die Lademöglichkeiten ein Grund für den Wechsel auf Elektromobilität sind".

"Das setzt sich nicht durch"

Die Autokonzerne lassen ohnehin keinen Zweifel daran, wohin die Reise geht. VW kündigte im Sommer an, man wolle bis 2030 die Hälfte aller Automodelle im Konzern mit Batterieantrieb ausliefern. Die bayerische VW-Tochter Audi versprach sogar, man werde in fünf Jahren das letzte Mal ein Verbrennerauto auf den Markt bringen und nur noch bis 2033 verkaufen, dann sei Schluss mit Benzin. Es sind hochfliegende Pläne – an den deutschen Straßen, Tankstellen und Raststätten sind sie noch nicht angekommen.

An der schwäbischen Raststätte Aichen Nord zum Beispiel will man von der e-mobilen Zukunft wenig wissen, obwohl nur wenige Kilometer entfernt, in Sindelfingen, die weltgrößte Mercedes-Fabrik steht.

Eine Nordsee-Filiale, ein McDonald’s, eine Shell-Tankstelle und am Horizont sechs Spuren Stau auf der A8 – das ist das Bild an der Raststätte Aichen Nord. Es gibt in Aichen zwar natürlich auch E-Ladestellen von Eon. Die allermeisten Autos halten aber an den Shell-Zapfsäulen und tanken Benzin oder Diesel. "Ein schlechtes Gewissen hätte ich vielleicht auf einem Kreuzfahrtschiff, aber nicht mit meinem Diesel", sagt ein Škoda-Fahrer hier. "Über Wasserstoff können wir noch reden, aber von den E-Autos halte ich nix, das wird sich nicht durchsetzen", erklärt ein BMW-Besitzer überzeugt.

Der überwiegende Teil der Deutschen stehe der E-Mobilität immer noch skeptisch gegenüber, ergab eine repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Juli. Nur für 24 Prozent komme es in Betracht, in den nächsten Jahren ein Elektroauto zu kaufen. Abschreckend wirkten in den Augen der Bevölkerung der hohe Preis, die Sorge um die Reichweite, ein "gefühlter Mangel" an Ladestationen und lange Ladezeiten. "Bei der Entwicklung umweltfreundlicher Fahrzeuge sind wir technologisch viel weiter, als es vielen Menschen bewusst ist", sagte Thomas Weber, Vizepräsident von Acatech, der Akademie der Technikwissenschaften, die die Umfrage beauftragt hat. "E-Autos gelten noch immer als Kurzstreckenfahrzeuge, was der Realität aufgrund größerer und leistungsfähiger Batterien längst nicht mehr entspricht."

Schnee von gestern

Auch am Autohof Pilsting in Niederbayern sieht man deutlich mehr Autos an der Esso-Tankstelle als an den E-Ladesäulen. Drinnen im Autobahngasthaus "Rosi’s" kommen "Käsefrikadellen" und Schnitzel auf den Teller, und draußen fließen Benzin und Diesel in den Tank. Einer der wenigen an einer E-Ladesäule ist an diesem Nachmittag der Pensionist Albert Feldmeier. Der 69-Jährige ist ein Bürger und Autofahrer, wie die deutsche Politik ihn sich wünscht. "Den Verbrennungsmotor gibt’s für mich schon nimmer", sagt Feldmeier. Der Bayer fummelt ein blaues Ladekabel aus der "Motorhaube" seines BMW i3 und beginnt zu laden. In seinem Leben, erzählt Feldmeier, sei er "Einser, Zweier, Dreier, Fünfer gefahren", er spricht natürlich von BMW-Modellen. Heute sei er mit seinem E-Auto glücklicher, "mir fehlt ohne Motor nix".

Ein paar Kilometer westlich vom Autohof Pilsting betreiben die Bayerischen Motoren-Werke, kurz BMW, in der Kleinstadt Dingolfing ihren weltweit größten Produktionsstandort. Die BMW-Dichte auf Dingolfings Straßen ist höher als sonst wo in Deutschland. Man kauft in Niederbayern eben nicht nur regionales Gemüse, sondern auch regionale Verbrennungsmotoren. Feldmeier arbeitete selbst 30 Jahre lang für BMW, bis zum Vorjahr machte er noch Führungen durch die Produktionshallen, dann kam Corona. "Die Leute kamen aus Kanada, Australien, Neuseeland und China und wollten unsere Technik inhalieren", sagt Feldmeier stolz. Er erklärt, er werde sich bestimmt kein Verbrennerfahrzeug mehr kaufen, auch nicht von BMW, das sei "Schnee von gestern".

Alle ein bisschen grün

Es ist natürlich nur eine Einzelmeinung, dennoch zeigt sich an BMW-Veteran Albert Feldmeier, dass sich die Verkehrsdebatte in Deutschland verschoben hat. Heute wollen, außer der rechten AfD, alle Parteien im Bundestag zumindest ein bisschen grün sein.

Der neue Mainstream zeigt sich auch bei der Tempodebatte. Früher kämpfte der Adac wie die Autokonzerne gegen ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen ("Freie Fahrt für freie Bürger"), seit gut einem Jahr sagt der mächtige Autofahrerklub, man stehe "neutral" zu der Frage. In Großstädten wie Bonn, Hannover und Wuppertal stellen die Grünen heute die Oberbürgermeister, im Mercedes-Land Baden-Württemberg mit Winfried Kretschmann sogar den Ministerpräsidenten. Kretschmann sagte einmal: "Da der Elektromotor ein beachtliches Drehmoment hat, muss man jetzt als Grüner auch nicht mehr als Spaßbremse auftreten für diejenigen, die ein libidinöses Verhältnis zum Auto haben."

Früher arbeitete Albert Feldmeier bei BMW, Verbrenner will er nicht mehr.
Foto: Lukas Kapeller

Der Sound des Aufstiegs

Die österreichische Soziologin Christa Bös hat sich vor ein paar Jahren mit der Liebe der Deutschen zu ihrem Auto genauer beschäftigt. "In den USA wurde das Auto quasi zum Ersatz des Pferdes eines Cowboys, war also nur ein Fortbewegungsmittel für den einfachen Mann, der damit frei und unabhängig sein wollte. In Deutschland wurde das Auto hingegen als Ersatz für die Kutsche genutzt, also meist von adeligen und wohlhabenden Menschen", lautete ihre Erklärung. Das habe die deutsche Wahrnehmung des Autos als Statussymbol geprägt. Das Elektroauto könnte die deutsche Neigung zur Autobahnraserei mit der Notwendigkeit des Klimaschutzes versöhnen.

Es gibt nun Stimmen in Deutschland, die dem Verbrennungsmotor bereits nachtrauern. Sie sagen, der Verbrenner sei das Herzstück der Autoindustrie gewesen – und mit dem Lärm der Auspuffe würde auch der Sound des deutschen Aufstiegs verhallen. Der Automobilguru Dudenhöffer kann dem Klagelied über den vermeintlichen Verlust deutscher Ingenieurskunst wenig abgewinnen.

"Es war ja auch finnische Ingenieurskunst, dass es Nokia-Handys gab mit 100.000 Funktionen, die kein Mensch gebraucht hat. Dann ist eben das Smartphone gekommen und hat das Nokia-Handy abgelöst", sagt er.

Dudenhöffer nennt unterdessen ein Thema, das für die deutschen Autobauer "noch viel größer" sei als die Umrüstung auf E-Batterien – das autonome Fahren. Die deutschen Konzerne treibt schon lange die Sorge um, dass Softwarefirmen aus den USA und China dieses Rennen gewinnen könnten. Im schlimmsten Falle könnten VW, Daimler und BMW dann zu reinen Hardware-Zulieferern von Karosserien reduziert werden. Um das Selbstbewusstsein als Land der Erfinder und Autopioniere wäre es damit geschehen. Daher wird inzwischen zum Beispiel am BMW-Campus in Unterschleißheim bei München am automatisierten Fahren getüftelt, Daimler hat sich mit dem kalifornischen Chipentwickler Nvidia zusammengetan, und VW testete bereits autonome E-Golfs in Hamburg.

Das autonome Fahren wird die nächste große Bewährungsprobe. Für die deutsche Autoindustrie gilt: Nach der Krise ist vor der Krise. (Lukas Kapeller, 4.9.2021)