Angela Merkel war an der Demontage von Helmut Kohl als CDU-Chef beteiligt.

Foto: AFP / Johannes Eisele

Seit dem Jahr 1949 sind 14 US-Präsidenten im Weißen Haus gesessen, in Österreich ebenso viele Bundeskanzler – darunter eine Frau – am Ballhausplatz. In Deutschland gab es in dieser Zeit hingegen nur sieben Bundeskanzler und eine Bundeskanzlerin. Das sind zwar mehr als etwa in Nordkorea oder China, stellt aber im weltweiten Vergleich doch eine auffallend hohe personelle Kontinuität dar.

Verantwortlich dafür sind drei Persönlichkeiten, die mehr als die Hälfte dieser 72 Jahre an der Spitze der Bundesrepublik standen: 14 Jahre lang war es Konrad Adenauer und je 16 Jahre Helmut Kohl und Angela Merkel.

Vieles verbindet diese drei dominanten politischen Charaktere des modernen Deutschlands: Sie kamen alle aus der CDU, standen politisch aber meist in der Mitte. Und sie verabscheuten jede Form der Radikalität.

Zu Unrecht unterschätzt

Sowohl Adenauer als auch Kohl und Merkel wurden zunächst lange unterschätzt, erwiesen sich dann aber als begnadete politische Taktiker, die sowohl Wahlkämpfe als auch innerparteiliche Intrigen besser beherrschten als ihre Konkurrenz. Sie wiesen wenig außenpolitische Erfahrung vor, gewannen aber mit der Zeit ein starkes internationales Profil und entwickelten sich zu europäischen, ja sogar globalen Führungsfiguren.

Sie waren weder besonders intellektuell, noch galten sie als herausragende Redner – und sie besaßen auch weniger Charisma als ihre drei SPD-Kollegen Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder, die die Kette christlich-sozialer Kanzler unterbrachen. Aber wenn man ihre politische Bilanz betrachtet, hat es diesem biederen Trio in der westlichen Welt niemand gleichgetan.

Nur Bruno Kreisky

Alle drei gingen aus jeweils vier Bundestagswahlen siegreich hervor – ein Kunststück, das in Österreich nur Bruno Kreisky gelang. Sie schalteten alle innerparteilichen Konkurrenten geschickt aus. Mit Ausnahme von Helmut Kohl schieden sie ohne Niederlagen aus dem Amt.

Willy Brandt (1969–1974) und Helmut Schmidt (1974–1982) unterbrachen die Kette der CDU-Kanzler.
Foto: Imago

Von den drei SPD-Kanzlern hingegen scheiterte Brandt an der Guillaume-Spionageaffäre und sich selbst, Schmidt und Schröder letztlich an ihrer Partei, die ihren pragmatischen Kurs irgendwann nicht mehr mittragen wollte.

Kann Laschet das?

Die große Frage der Wahl am 26. September wird sein, ob sich Armin Laschet in diese illustre Truppe einreihen kann. Auch Laschet pflegt einen bodenständigen Stil, ist unideologisch und politisch gemäßigt und wurde von seinen Gegnern und Parteikollegen oft unterschätzt. Wie einst Adenauer und Merkel hätte man ihm weniger den Weg an die Spitze seiner Partei zugetraut, konnte er dieses Amt nur durch Zufälle erringen.

Wie man Rivalen überdribbelt, hat Laschet zuletzt im Duell mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder bewiesen. Aber reicht das für den Kanzler, oder ist der Spitzenkandidat der CDU selbst für die so grundvernünftigen deutschen Wählerinnen und Wähler, die weniger leicht der Verführung durch Demagogen verfallen als andere Nationen, zu spießig, zu konturenlos, zu unbedarft?

Armin Laschet hat im Umgang mit innerparteilichen Rivalen Geschick bewiesen.
Foto: AFP / Tobias Schwarz

Erwartungen vorerst übertroffen

In der ersten TV-Debatte mit Annalena Baerbock und Olaf Scholz hat ein angriffslustiger Laschet jedenfalls die niedrigen öffentlichen Erwartungen übertroffen – genau das Rezept, mit dem es einst Adenauer und Kohl an die Spitze schafften.

Der frühere Oberbürgermeister von Köln war bereits 73 und auch in seiner Partei nicht unumstritten, als er mit der Union bei der Bundestagswahl im Sommer 1949 nur ganz knapp vor der SPD unter Kurt Schumacher lag. Vier Jahre war Adenauer – auch dank der erfolgreichen Westintegration der Bundesrepublik und des rasanten Tempos des Wiederaufbaus in den Jahren des Wirtschaftswunders – der uneingeschränkte Wahlsieger.

Die Westintegration der Bundesrepublik war Konrad Adenauers große Leistung.
Foto: Imago

Adenauers Ziele

Die Wirtschaftspolitik überließ Adenauer Ludwig Erhard, der ihm 1963 gegen seinen Widerstand als Kanzler nachfolgte und bald im Amt scheiterte. Adenauers große Ziele waren Deutschlands Einbindung in der Nato und ein vereintes Europa – eine Ambition, die auch Kohl und Merkel uneingeschränkt verfolgten.

Der füllige Pfälzer Kohl wurde einst als "Birne" belächelt wie heute Laschet – und ähnelte ihm auch äußerlich ein wenig. Sein Weg ins Kanzleramt war mühsam: 1976 scheiterte er an dem kühlen Hanseaten Schmidt, der Olaf Scholz als Vorbild dient; vier Jahre später am Münchner Machtmenschen Franz-Josef Strauß, der ebenso wie andere CSU-Chefs nie den Sprung ins Kanzleramt schaffte.

Bild nicht mehr verfügbar.

Helmut Kohl gelang es, Michail Gorbatschow die Wiedervereinigung Deutschlands abzutrotzen.
Foto: Reuters

Kohls historischer Augenblick

Kohl wurde erst Kanzler, als die FDP 1982 die Koalition mit der SPD aufkündete und mitten in der Legislaturperiode zur CDU überlief. In den folgenden zwölf Jahren gewann die CDU mit mehr oder weniger großem Vorsprung stets die Wahlen, während die SPD vier Spitzenkandidaten verschliss. Den Ruf des Zufallskanzlers aber legte Kohl erst 1989 ab, als er nach dem Fall der Berliner Mauer die Wiedervereinigung mit enormer Kraft vorantrieb, ebenso wie die europäische Integration.

Den richtigen Augenblick zum Rücktritt verpasste Kohl, er verlor 1998 gegen Gerhard Schröder. Die Spendenaffäre in der CDU öffnete im Jahr 2000 den Weg für eine Parteichefin, mit der zuvor niemand gerechnet hatte. Dass die unscheinbare Physikerin aus der DDR dann auch tatsächlich einmal ins Kanzleramt einziehen würde, erwarteten damals nur wenige.

Bild nicht mehr verfügbar.

Gerhard Schröder besiegte Helmut Kohl, Edmund Stoiber – und beinahe auch Angela Merkel.
Foto: Reuters / Kai Pfaffenbach

Herausforderung Schröder

Ihrer Schwächen bewusst, überließ Merkel es 2002 CSU-Chef Edmund Stoiber, den SPD-Kanzler herauszufordern. Ebenso wie einst Strauß scheiterte der Bayer an dieser Aufgabe. Auch Merkel ereilte 2005 beinahe dieses Schicksal; sie siegte viel knapper als erwartet gegen Schröder und erwies sich erst in den folgenden beiden Wahlgängen als Zugpferd für ihre Partei.

Ihre offene Haltung in der Flüchtlingskrise von 2015 brachte Merkel weltweit Applaus und Ansehen ein, aber kostete sie zu Hause viel Popularität. Anders als Adenauer – Westintegration – und Kohl – Wiedervereinigung – wird Merkel ohne einen eindeutigen politischen Triumph in die Geschichtsbücher eingehen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Nach 16 Jahren im Amt kann Angela Merkel keinen unumstrittenen Triumph vorweisen.
Foto: Reuters / Tilo Schmülgen

Unvergleichbare Erfolgsgeschichte

Die unvergleichbare politische, wirtschaftliche und moralische Erfolgsgeschichte Deutschlands nach 1945 wäre ohne die drei CDU-Kanzler nicht möglich gewesen. Sie verkörperten jene Stabilität, Verlässlichkeit und Kompromissbereitschaft, die Deutschlands politische Kultur seit Ende des NS-Regimes auszeichnet.

Aber die Zeiten haben sich geändert, und es ist nicht klar, ob diese Eigenschaften für einen Spitzenkandidaten noch genügen, um das Kanzleramt erneut für die CDU zu reklamieren – vor allem, wenn SPD-Kandidat Scholz ähnlich solide, langweilig und bieder auftritt. (Eric Frey, 4.9.2021)