Bahnkunden benötigen neuerdings in Italien ein Impfzertifikat. Bald könnte es nach den Vorstellungen der Regierung eine allgemeine Impfpflicht im Land geben.

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"Die Frage ist nicht, ob die Pflicht, den grünen Pass vorzuweisen, ausgedehnt wird – die Frage ist lediglich noch, wann das erfolgt und für wen er obligatorisch wird", sagte Italiens Ministerpräsident Mario Draghi bei einer Pressekonferenz. Der ließ keine Zweifel daran aufkommen, dass sein Ziel darin bestehe, dass am Ende die gesamte Bevölkerung geimpft ist. Auf die Frage eines Journalisten, ob er für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht sei, antwortete er unmissverständlich mit Ja. Dies sei der Weg, den die Regierung einschlagen werde.

Die Ankündigung Draghis war ein Tabubruch, der in den meisten europäischen Ländern einen öffentlichen Aufschrei ausgelöst hätte. In Italien haben lediglich die an der Regierung beteiligte rechtsnationale Lega von Matteo Salvini und die postfaschistische Oppositionspartei Fratelli d’Italia Kritik geübt.

71 Prozent bisher geimpft

Doch die beiden Parteien sind in dieser Frage völlig isoliert: Die Impfbereitschaft in Italien, das bereits mehr als 130.000 Covid-19-Tote zu verzeichnen hat, ist sehr hoch. 71 Prozent der 60 Millionen Einwohner haben inzwischen mindestens eine Impfdosis erhalten. In Umfragen geben 90 Prozent der Befragten an, sich impfen lassen zu wollen.

Wie die von Draghi in Aussicht gestellte allgemeine Impfpflicht konkret aussehen soll, darüber wird die Regierung nächste Woche beraten. Es ist davon auszugehen, dass es sich nicht um einen eigentlichen Impfzwang handeln wird, sondern um eine Zertifikatspflicht. Das heißt: Wer nicht geimpft oder von Covid-19 genesen ist und sich partout nicht impfen lassen will, erhält den grünen Pass nur mit einem negativen Testresultat, das alle paar Tage auf eigene Kosten erneuert werden muss. Vorzuweisen ist dieser seit August für die Innengastronomie, Museums- und Stadionbesuche, Konzerte und Fitnesscenter. Vor kurzem kamen überregionale Züge, Schiffe, Fähren und Flugzeuge hinzu.

Die Zertifikatspflicht gilt auch bereits für das gesamte medizinische Personal und neuerdings für Schulpersonal. Auch bei den Lehrkräften ist die Akzeptanz groß: 91,5 Prozent sind laut Bildungsministerium bereits mindestens einmal geimpft, unter den restlichen 8,5 Prozent befinden sich viele Genesene und Personen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können und von der Impfpflicht deshalb ausgenommen sind. Der Prozentsatz der überzeugten Impf- und Testverweigerer ist also verschwindend klein. Die Sanktionen für sie sind hart: Eine Lehrkraft, die ohne Zertifikat in die Schule kommt, wird umgehend wieder nach Hause geschickt. Nach fünf Tagen wird sie suspendiert, und die Lohnzahlung ausgesetzt.

Verwaltungsgericht gibt sein Okay

Eine wichtige juristische Prüfung hat die Zertifikatspflicht bereits überstanden: Am Donnerstag hat das Verwaltungsgericht die Beschwerde einer Lehrergewerkschaft abgewiesen. Die Grün-Pass-Pflicht sei im Rahmen der Bekämpfung einer Pandemie verhältnismäßig und für den Einzelnen zumutbar, so die Richter. In Ordnung ist es ihnen zufolge auch, dass Impfverweigerer Tests selbst bezahlen müssten: Es sei nicht einzusehen, warum die Steuerzahler für die Tests von Personen aufkommen sollen, die freiwillig auf die Gratis-Impfung verzichteten. Die Zertifikatspflicht soll nun schrittweise auf immer neue Berufsgruppen ausgeweitet werden, insbesondere auf jene des öffentlichen Dienstes.

Angestrebt wird die Impfpflicht aber auch für private Arbeitsplätze. Entsprechende Verhandlungen zwischen der Regierung, den Arbeitgebern und den Gewerkschaften sind seit längerem im Gang. (Dominik Straub aus Rom, 3.9.2021)