Die Pandemie schafft mitunter die bunteste Koalition. Vor wenigen Wochen hat der Verband der US-amerikanischen Bekleidungs- und Schuhindustrie eine Lobbykampagne gestartet. Ziel der Aktion: Die US-Regierung solle mehrere Millionen Dosen des Corona-Impfstoffes an Vietnam spenden. Neben der Gesundheit geht es um ökonomische Interessen.

Das südostasiatische Land ist schließlich zentral für die amerikanische Bekleidungsindustrie: 20 Prozent der in den USA verkauften Schuhe stammen von dort. Über den Sommer wurde die Produktion in den wichtigsten Schuhfabriken Vietnams Corona-bedingt unterbrochen. Laut einer Analyse von S&P Global Market Intelligence, einem Informationsdienstleister, könnten Nike im Herbst die Schuhe in seinen US-Geschäften ausgehen.

Nicht nur Schuhe bereiten Sorgen. Probleme mit Lieferketten gibt es bei vielen Produkten. Regionale Corona-Ausbrüche sorgen dafür, dass Fabriken und Häfen in Vietnam ebenso wie in China stillstehen. Dazu kommen ein Rückstau bei der Entladung von Containern in Europa und die Lieferverzögerung bei Mikrochips, was vor allem der Automobilindustrie zusetzt.

Während die Globalisierung in den vergangenen Jahrzehnten für sinkende Preise bei Computern wie Kühlschränken sorgte, sind hier nun entgegengesetzte Kräfte am Werk. Verstärkt wird diese Entwicklung noch durch höhere Öl- und Energiepreise. In der Folge ist die Inflation in vielen Ländern angestiegen. In der Eurozone kletterte sie im August auf drei Prozent. In den USA sind es 5,4 Prozent. Derzeit deutet nichts darauf hin, dass die Probleme so schnell behoben sein werden.

Trotz steigender Inflation drucken die Notenbanken weiter Geld: Geht das gut? Beim Videotalk STANDARD-mitreden darüber gestritten haben unter anderem: Der künftige Chefökonom des Wifo, Gabriel Felbermayr. Der Investmentpunk. Die Geldpolitik-Expertin Lea Steininger von der WU-Wien sowie Doris Ritzberger-Grünwald, die Chefökonomin der Oesterreichischen Nationalbank
DER STANDARD

Gabriel Felbermayr, der künftige Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo, rechnet noch über Dezember 2021 hinaus mit Schwierigkeiten in den Lieferketten. Erst dann würden Investitionen in neue Produktionskapazitäten dafür sorgen, dass der Mangel an Mikrochips und Co ausgeglichen werden kann. Und auch dieses Szenario hält nur unter der Annahme, dass es Corona-bedingt nicht erneut zu größeren Ausfällen kommt.

Dass die gestiegene Teuerung uns also noch erhalten bleibt, ist Grund genug für Ökonomen, sich intensiver mit der Frage zu beschäftigen, wer von der aktuellen Preisentwicklung besonders betroffen ist. In den USA wie in Europa wird dabei ein neuer Trend beobachtet. Während vor der Pandemie die Teuerung ärmere Haushalte tendenziell stärker getroffen hat als reichere, ist es derzeit umgekehrt.

Ganz gut zeigen lässt sich das für Österreich. Statistiker messen die Inflationsentwicklung mit dem Warenkorb. Dieser soll abbilden, was die Haushalte in ihrer Gesamtheit für Konsum, Freizeit oder Wohnen durchschnittlich ausgeben. Aber diesen typischen Haushalt gibt es in der Realität nicht. Reiche Familien konsumieren anders als arme, manche Hauhalte besitzen ein Auto, andere fahren nur U-Bahn.

Auf Basis von Konsumerhebungen können Experten aber feinere Aussagen dazu treffen, welche Haushalte von Teuerung eher betroffen sind. Derzeit sind die Preistreiber vor allem Verkehr, Gastronomie und Tourismus. Nur unterdurchschnittlich war der Preisanstieg dagegen bei Wohnen und Lebensmitteln.

Haushalte mit höherem Einkommen verreisen öfter und gehen häufiger ins Restaurant, sagt Ingolf Böttcher von der Statistik Austria. Dafür müssen sie einen kleineren Teil der Einkommen für Lebensmittel und Wohnen aufwenden. Die Folge: Bei den zehn Prozent der Haushalte mit dem niedrigsten Einkommen in Österreich sind die Preise im Juli um 2,3 Prozent gestiegen. Bei den zehn Prozent der wohlhabendsten waren es 2,9 Prozent.

Ähnliche Zahlen kommen aus den USA. Der US-Ökonom Joshua Mason vom John Jay College in New York hat eine interessante Rechnung veröffentlicht: Das unterste Einkommensfünftel in den USA ist deutlich weniger von der Inflation betroffen als der Rest. Auch hier wirken die gleichen Kräfte.

Schuldner profitieren

Auch zwischen Stadt und Land gibt es einen Unterschied. Statistikexperte Böttcher meint, dass derzeit vor allem die Mittelschicht in ländlichen Regionen die Teuerung spürt, also jene Menschen, die viel ihr Auto nutzen, während die Preissteigerungen für Städter verhaltener waren.

Gleich mehrere Gründe sprechen dafür, dass es künftig wichtiger wird, genau hinzusehen, wo die Preise steigen. Kern der Klimaschutzpolitik ist, Benzin und Verbrennungsmotoren teurer zu machen. Ein Preisanstieg hier wird also wohl anders zu bewerten sein.

Um sozialpolitisch differenziertere Aussagen machen zu können, schlug Gabriel Felbermayr bei der Videodiskussionsreihe "STANDARD mitreden" vor, dass die Statistik Austria parallel mit den neuesten Inflationszahlen auch die Betroffenheit der Haushalte nach Einkommen ausweisen sollte.

Die Aussagekraft dieser Zahlen hat freilich auch Grenzen. Die Chefökonomin der Oesterreichischen Nationalbank, Doris Ritzberger-Grünwald, wendet ein, dass die Inflation ja auch über andere Kanäle als die Teuerung wirkt. Wer viel spart, verliert bei Geldentwertung ohne Zinsen, während Schuldner profitieren.

Verschuldet ist vor allem die Mittelschicht, die genug verdient, um einen Kredit aufzunehmen, aber zu wenig, um alles aus der Tasche zu bezahlen, so die Ökonomin. (András Szigetvari, 5.9.2021)