Olaf Scholz (rechts) hat laut letzten Umfragen Armin Laschet (links) überholt.

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Berlin – SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz setzt angesichts steigender Umfragewerte der deutschen Sozialdemokraten auf eine rot-grüne Koalition. "Ich möchte gerne mit den Grünen zusammen regieren", sagte er dem "Tagesspiegel". SPD und Grüne hätten zwar unterschiedliche Zielsetzungen, aber auch viele Schnittmengen. Die SPD hat laut einer Insa-Umfrage für die "Bild am Sonntag" ihren Vorsprung auf die Union ausgebaut. Für eine Zweierkoalition mit den Grünen würde es demnach aber nicht reichen.

Drei Wochen vor der Bundestagswahl kommt die SPD in der Umfrage auf 25 Prozent, einen Prozentpunkt mehr als zuletzt. CDU/CSU verlieren dagegen einen Punkt auf 20 Prozent. Die Grünen geben einen Punkt ab und liegen bei 16 Prozent. Die FDP liegt unverändert bei 13 Prozent. Die AfD legt einen Punkt auf zwölf Prozent zu. Die Linke landet bei sieben Prozent. Der Bundestag wird am 26. September gewählt.

Olaf Scholz und die grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerbock.
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Auch mehrere Umfragen anderer Meinungsforschungsinstitute hatten die SPD zuletzt im Aufwind gesehen – und teils deutlich vor CDU/CSU. So sieht das am Freitag veröffentlichte ZDF-"Politbarometer" der Forschungsgruppe Wahlen die Sozialdemokraten ebenfalls bei 25 Prozent, die Union liegt dort bei 22 Prozent.

Mit Blick auf den linken SPD-Flügel unterstrich Scholz laut der Zeitung, dass er bei einem Wahlsieg den Kurs vorgeben und nicht ändern werde. Es werde nicht zu einem von der Union beschworenen Linksruck kommen. "Wer sein Kreuz bei der SPD macht, um einen Kanzler Scholz zu bekommen, kann sich darauf verlassen, dass er ihn genauso bekommt, wie er ihn in den vergangenen Jahren kennengelernt hat."

Scholz setzt Linkspartei Mindestanforderungen

Falls es nicht für eine Regierungsmehrheit von Rot und Grün reichen sollte, käme rein rechnerisch auch ein Dreierbündnis unter Einschluss der Linkspartei infrage. Scholz machte im "Tagesspiegel" deutlich, dass die Linke Mindestanforderungen für ein Regierungsbündnis wie ein klares Bekenntnis zur Nato, zu solidem Haushalten und zur transatlantischen Partnerschaft nicht erfülle. Dies sei "unverhandelbar", sagte Scholz.

Am Montag wollen die Spitzenkandidaten der Linken, Janine Wissler und Dietmar Bartsch, laut der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" eine Art Regierungsprogramm vorstellen, das Anhaltspunkte für mögliche Koalitionsverhandlungen enthalte. Die Partei fordert in dem der Zeitung vorliegenden Papier, Auslandseinsätze zu beenden, Rüstungsexporte zu stoppen und den Wehretat auf dem Niveau von 2018 zu belassen. Die Nato wird darin laut "FAS" nicht erwähnt, obwohl im Wahlprogramm explizit die Abschaffung der Allianz gefordert wird. Die Linkspartei will das Bündnis durch ein "kollektives Sicherheitssystem" unter Beteiligung Russlands ersetzen.

Laschet in Negativspirale

Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet hat Scholz wegen einer möglichen Koalition mit der Linkspartei mehrfach attackiert. Ein Bekenntnis zur Nato sei von der Linken nicht zu erwarten. Zudem warf er der SPD und auch den Grünen auf dem Landesparteitag der CDU Brandenburg vor, sie wollten die Selbstverpflichtung der Nato-Staaten nicht umsetzen, zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben.

Laschet selbst musste seinen Umgang mit einem Corona-Maßnahmengegner verteidigen. Laschet hatte sich am Freitagabend bei einem Auftritt in Erfurt länger auf sehr geringe Distanz mit dem Mann unterhalten, nachdem dieser plötzlich auf die Bühne gekommen war. "Ich finde nicht, dass man dann mit Sicherheitskräften ihn wegbewegen sollte, sondern dass man zuhört und sagt, ich versuche, Antworten zu geben", sagte Laschet am Sonntag. "Unser Land ist zu aufgewühlt, zu aggressiv, als dass man das noch befeuern sollte."

Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte sich erneut hinter Laschet. "Er weiß um meine Unterstützung." Der CDU-Wirtschaftspolitiker Friedrich Merz forderte unterdessen die FDP in der ARD auf, eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen im Bund auszuschließen.

Söder will Ausgleich für höheren CO2-Preis

Während die Union in der Wählergunst weiter absackte, machte CSU-Chef Markus Söder die von seiner Partei geforderte Erhöhung der Pendlerpauschale zur Bedingung für eine Regierungsbeteiligung der CSU: "Erhöht sich der Benzinpreis um zehn Cent, muss die Pendlerpauschale um einen Cent erhöht werden", sagte Söder der "Welt am Sonntag". "Das ist eine Koalitionsforderung der CSU, von der wir nicht abrücken werden."

Pendler benötigten einen Ausgleich für einen steigenden CO2-Preis, sagte Söder. Dafür sei eine "deutliche Erhöhung" der Entfernungspauschale nötig. Gegenwärtig können Berufstätige pro Arbeitstag für jeden Kilometer zum Arbeitsort 30 Cent von der Steuer absetzen. Ab dem 21. Kilometer sind es seit diesem Jahr 35 Cent. Der Bund hatte diese Erhöhung bereits als Ausgleich für steigende CO2-Kosten beschlossen.

Die CSU hatte auch eine Aufstockung der Mütterrente als "Grundbedingung für die nächste Bundesregierung" genannt. Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, sollen demnach die gleichen Ansprüche erhalten wie jene, deren Kinder später geboren wurden.

Angesichts der sinkenden Umfragewerte warnte Söder zudem vor dem Verpassen einer Regierungsbeteiligung der Union. Eine Trendwende sei noch möglich, "es ist aber in der Tat sehr ernst, und es wird knapp". Sollten CDU und CSU nicht in der Regierung sein, "kommen schwerste Zeiten auf die Partei zu".

Leere Zeitungsseite statt Baerbock-Interviews

Die "Bild am Sonntag" veröffentlichte unterdessen eine fast leere Zeitungsseite für die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. "Das ist Ihre Seite, Frau Baerbock!", überschrieb das Blatt die achte Seite ihrer aktuellen Ausgabe. Nach wochenlangem Zögern habe Baerbock ein Interview mit der "BamS" abgelehnt, weil sich kein Termin habe finden lassen, begründete die Zeitung die ungewöhnliche Veröffentlichung.

Baerbock sei die erste grüne Spitzenkandidatin, die keine Zeit für ein Interview mit der "Bild am Sonntag" gefunden habe. In der Vergangenheit hätten sich Joschka Fischer, Renate Künast, Jürgen Trittin, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir die Zeit für ein Interview genommen.

Mehrere theoretische Koalitionsoptionen

Wahlumfragen sind generell mit Unsicherheiten behaftet. Unter anderem erschweren nachlassende Parteibindungen und immer kurzfristigere Wahlentscheidungen den Meinungsforschungsinstituten die Gewichtung der erhobenen Daten. Grundsätzlich spiegeln Umfragen nur das Meinungsbild zum Zeitpunkt der Befragung wider und sind keine Prognosen auf den Wahlausgang.

Bei der Einschätzung verschiedener theoretischer Koalitionsoptionen gibt es große Unterschiede. Eine Koalition aus SPD, Union und FDP bewerten der Umfrage zufolge 39 Prozent als gut für Deutschland, 44 Prozent als schlecht. Eine weitere große Koalition wäre aus Sicht von 35 Prozent gut, für 48 Prozent schlecht. Von einem Ampelbündnis aus SPD, Grünen und FDP sagen 29 Prozent, dass es gut für das Land wäre – 53 Prozent halten es für schlecht. Rot-Grün-Rot fänden 27 Prozent gut, 55 Prozent schlecht. Am schlechtesten wird eine Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP beurteilt: 23 Prozent bewerten diese Variante als gut, 58 Prozent als schlecht. (APA, 5.9.2021)