Auf der Bühne des Volkstheaters geht man multimedial in die Vollen.

Foto: Volkstheater/Marcel Urlaub

Viel kann man über Politiker sagen. Man kann sie loben, man kann sie beschimpfen, und wenn das Urteil am nächsten Tag genau andersrum lautet, ist das auch egal. Unter all den Projektionsflächen, die sich unserer Gesellschaft bieten, ist die Kaste der Politiker diejenige, die besonders viel hergibt. Dafür haben wir die Volksvertreter schließlich gewählt: Politiker sind der Gesellschaft Therapeuten und des Volkes Mülleimer.

An dieser nicht gerade taufrischen Diagnose muss man auch nach der österreichischen Erstaufführung von Wolfram Lotz‘ Bühnengedicht "Politiker" am Wiener Volkstheater nicht viel ergänzen. 100 laute und mitunter recht nervige Minuten dauert die erste Neuinszenierung von Neo-Hausherr Kay Voges, und das einzige, das man obiger Diagnose nach dem Abend hinzufügen muss, ist die Tatsache, dass Politiker heute medial vermittelte Abziehbilder sind. Wir leben in einer Mediendemokratie, wer hätte das gedacht?

Zumindest Michelangelos Davide und die Nike von Samothrake, die links und rechts vom Bühnenrand ein Pappkarton-Dasein fristen, scheinen sich darüber im Klaren zu sein. Aufgemotzt mit Bildschirmen, sind sie Überbleibsel aus einer Zeit, in der in der Polis von Athen oder im Stadtstaat von Florenz der Austausch von Argumenten und nicht von Fernsehwuchteln zählte. Zumindest stellt man sich das im Wiener Volkstheater wohl so vor.

Drehbarer Tempel

Michael Sieberock-Serafimowitsch hat einen antiken, drehbaren Tempel auf die Bühne geklotzt, umrahmt von einigen schicken Designbüros, während Kostümbildnerin Mona Ulrich die 13 Schauspieler des Abends in weiße Togen (später in Karo) hüllt.

Die Fallhöhe der Politiker war in den vergangenen 2000 Jahren groß, und Autor Wolfram Lotz lässt keine Gelegenheit aus, dass sie (und wir) noch etwas tiefer sinken. Als vor nunmehr sieben Jahren sein ursprünglich als Hörspiel konzipiertes Stück "Die lächerliche Finsternis" auf deutschsprachige Bühnen kam, galt der junge Hamburger für einige Zeit als Theatermann der Stunde. Mit den vor zwei Jahren in Berlin uraufgeführten "Politikern" wird er dieser Einschätzung nicht gerecht: Konzipiert als 99-seitiges Endlosgedicht rund um die zumindest 999 mal wiederholte Phrase "Politiker!" springt der Text vom losen Assoziationsreigen zur dadaesken Blödelei. Ein Ping-Pong-Spiel ohne Ziel und erkennbare Regeln.

Dramaturgisch gibt das Ganze nicht viel her, erkenntnistheoretisch noch viel weniger: "Die Politiker" liefern allerdings eine Vorlage, an der sich die Theater austoben können. "Machen Sie was sie wollen", hat Elfriede Jelinek einst ihren Regisseuren ins Stammbuch geschrieben, und das scheint auch die etwas wohlfeile Maxime von Lotz zu sein. Die Uraufführung in Berlin war als großer Einfraumonolog angelegt, in der Pandemie brachte man dann eine Film-Version heraus. In Wien versucht sich Hausherr Kay Voges jetzt an einer Art multimedialem Effekttheater.

Roboter und Live-Konzert

Dafür fährt er alles auf, was die frisch renovierte und technisch auf Vordermann gebrachte Volkstheater-Bühne leisten kann. Und das ist einiges: Ein Roboterarm im Zuschauerraum filmt das Publikum (es geht ja um unsere Politiker-Zuschreibungen), in den Seitenlogen veranstalten Dana Schechter und Paul Wallfisch ein ohrenbetäubendes Livekonzert und auf der Bühne, da wird mittels vieler Bildschirme, noch mehr pulsierender LED-Röhren und einer sich fast pausenlos drehenden Bühne ein multimediales Feuerwerk abgefackelt.

Und ja: Schauspieler gibt es auch, eine ganze Menge sogar, Voges hat beinahe sein ganzes Ensemble zur Saisoneröffnung aufgeboten. Mit ihnen geht er richtig in die Vollen: Sie treten als Chor oder als Einzelkämpfer in Großaufnahme auf, markieren Statuen oder Gartenzwerge und tragen zwischendurch auch schon mal einen Arsch im Gesicht. Samouil Stoyanov kriegt mit einem stückfernen Kopulationstext eine lustige Nummer hin, überhaupt sind die Spieler an diesem Abend in ziemlich guter Form.

Allein: Wozu das Ganze? Je effektheischender und lauter es auf der Bühne zugeht, desto hohler und nerviger erscheint der Abend. Schauspielerisch und bühnentechnisch muss man sich über das neue Volkstheater erstmal keine Sorgen machen. Mit der Wahl seines Eröffnungsstückes hat Kay Voges aber danebengegriffen. (Stephan Hilpold, 5.9.2021)