Sie werden das Phänomen sicher kennen. Nach einer Bestellung beim Chinarestaurant Ihres Vertrauens und dem wohltuenden Sättigungsgefühl öffnen Sie voller Euphorie den obligaten Glückskeks. Und dieser offenbart in einer kurzen Weisheit jene Lösung für die komplexe Corona-Situation, auf die bis dato unzählige Experten und politische Würdenträger rund um den Erdball nicht gekommen sind. Da man in Asien über Jahrtausende an altem Know-how verfügt, ist es wenig verwunderlich, dass der notwendige Stimulus in einem kurzen Keksspruch encodiert ist, der, wenn man Dr. Google befragt, eigentlich von Friedrich Dürrenmatt stammt. Jener Schweizer Dramatiker und Schriftsteller wusste bereits, dass der Zufall Menschen umso wirksamer trifft, je planmäßiger diese vorgehen. Im projektiven Sinne ist es die differenzierte Antwort auf viele Zwangslagen.

Mentale Resistenz und Resilienz

Die Realität ist, dass wir in eine veritable Vertrauens- und Demokratiekrise schlittern. Die Resistenz gegenüber den sehr einfach strukturierten Kampagnen ist bei einem nicht so kleinen Teil der Bevölkerung nicht zu unterschätzen. Während sich eine große Gruppe aus den verschiedensten Motiven relativ rasch für die Impfung entschieden hat, steht die Politik nun vor einer Gruppe von Menschen, die über eine psychische Resilienz und Konstitution verfügt, die gänzlich unterschätzt wurde und die man nicht mit banalen Aussagen wie “Studien belegen“ und “die Wissenschaft sagt" abspeisen kann.

Während sich manche Experten in medialen “Doktorspielen“ in unzähligen TV-Auftritten ergehen, wer noch eindrucksvoller vor den Gefahren des Virus warnen kann, legen sich die Beratungsresistenten quer. Die Performance der politisch Verantwortlichen kann man über die Zeit der Krise unter dem Titel "Der Kongress Tanzt" oder doch eher als die "Konferenz der Tiere" frei nach Erich Kästner verbuchen. Während, wie im Roman von Kästner, alle institutionellen Vertreter Konferenzen einberufen, um anstatt wie im Kinderbuch nicht den Weltfrieden zu erreichen, sondern der Pandemie Herr zu werden, nutzen Politiker die Situation nicht nur zur reinen Pandemiebekämpfung. Sie überlagern mit ihrem Pfauentanz Probleme wie Arbeitslosigkeit, Klimawandel und soziale Ungerechtigkeit.

Die Impfung spaltet die Gesellschaft.
imago/Pacific Press Agenc/Saman Abesiriwardana

Expertokratie

In Form der operanten Konditionierung wird versucht, auf einfallslose, wenig charmante Art den Impfstoff schmackhaft zu machen. Den Strategen hinter den Impfkampagnen ist leider nicht bewusst, dass in der Psychologie nach dem Modell des Behaviorismus eine kognitive Wende und vieles mehr stattgefunden hat. Wenn man schon in den Intimbereich eines jeden einzelnen vordringen will, dann sollte dies auf eher unterschwelligem Weg stattfinden und nicht plump und penetrant. Das gleiche Muster gilt ebenso für romantische Beziehungen zwischen zwei Menschen. Der existente Ist-Zustand besteht aus positiver Verstärkung für jene, die den Maßnahmen brav Folge leisten und Strafreize bis hin zum Lockdown für die, die nicht gewillt sind zu folgen. Es gibt "die Wissenschaft" und die weiß Bescheid und der Rest sind Covidioten. Eine einfache Dichotomie, die aber - so wie die meisten eindimensionalen Konstrukte - der Realität nicht gerecht werden.

Hilfe zur Selbsthilfe

Wir sind es gewohnt von Experten die Wahrheit auf dem Silbertablett offeriert zu bekommen. In öffentlich-rechtlichen Medien ist dies am schönsten zu beobachten. Die Wissenschaft ist hier nahezu in der Ausformung einiger weniger Experten und Professoren inkarniert. Einer Weiterentwicklung auf kognitiver Ebene ist jener Sachverhalt weniger dienlich. Es erinnert an die Mittelschule, in der ein Musterschüler im konditionierten Reflex die Hand hebt und "Frau Professor, ich weiß die Antwort“ sagt. Die Lehrerin antwortet auf das nachgesprochene Wissen wohlwollend “Sehr gut Peter, Du bekommst einen Einser“. Irgendwie gab es die Hoffnung, dass diese Zeit nach der Schule endlich zu Ende ist. Aber so wie es aussieht, haben institutionalisierte Experten die Rolle der Lehrer übernommen.

Die Maxime bei psychosozialen Interventionen ist die berühmte Hilfe zur Selbsthilfe, um den Klienten nicht ewig in einem Abhängigkeitsverhältnis an den Therapeuten zu binden. Unter einer paradoxen Intervention versteht man Methoden, die in scheinbarem Widerspruch zu den therapeutischen Zielen stehen, die aber tatsächlich dafür entworfen sind, diese Ziele zu erreichen. Wo wir wieder bei Dürrenmatt und seinem klugen Glückskeksspruch wären, wonach wenig im Leben planbar ist. Je mehr wir Menschen in eine noch so sinnvolle Maßnahme wie die Impfung drängen, umso mehr werden sich viele gegen die mentale Zwangsjacke wehren. Aber in Zeiten der Blinden tut man sich als Einäugiger leicht. Es bleibt dem Leser in freier Assoziation überlassen, wen Sie als was definieren. (Daniel Witzeling, 13.9.2021)