Im Gastkommentar kritisiert der Europarechtsexperte Stefan Brocza die Argumentationslinie der oberösterreichischen ÖVP.

Die ÖVP will in Oberösterreich die Deutschpflicht ausweiten. Daher sollen künftig die sogenannte OÖ Familienkarte, die landesweit umfangreiche Vergünstigungen und Preisnachlässe gewährt, nur noch jene Menschen erhalten, die das Sprachniveau A2 nachweisen können. Derzeit erhalten alle Familien, die zumindest für ein Kind Familienbeihilfe beziehen und ihren ordentlichen Wohnsitz in Oberösterreich haben, die Karte auf Antrag kostenlos.

Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer präsentiert das Wahlprogramm der ÖVP.
Foto: APA

In einer Presseaussendung vom 22. August, begleitet vom obligatorischen Bericht in der Kronen Zeitung, behauptet nun die ÖVP, der Europäische Gerichtshof (EuGH) und das Landesgericht Linz hätten bestätigt, dass die Verknüpfung von Deutschkenntnissen für den Bezug der Wohnbeihilfe mit dem EU-Recht konform gehe. Daher wolle man nun das Deutscherfordernis konsequenterweise auch auf weitere staatliche Leistungen ausdehnen.

Eine "Kernleistung"?

Dummerweise stimmt diese Feststellung betreffend EuGH und LG Linz nicht. Erstaunlicherweise scheint dies den politischen Mitbewerbern nicht aufgefallen zu sein. Und auch der sonst so beliebte Faktencheck durch Medien fand nicht statt. Die von der schwarz-türkisen Landespartei verbreiteten Fake-News werden ungeprüft und unkommentiert weiterverbreitet.

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 10. Juni 2021 in der Rechtssache C-94/20 nämlich nur klargestellt, dass die Regelung des Oberösterreichischen Wohnbauförderungsgesetzes, wonach die Gewährung der Wohnbeihilfe an Drittstaatsangehörige vom Nachweis grundlegender Deutschkenntnisse abhängig gemacht wird, weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft darstelle. Die Frage, ob die Wohnbeihilfe eine sogenannte Kernleistung im Sinne von Artikel 11 Absatz 4 der EU-Daueraufenthaltsrichtline darstellt, hat der EuGH jedoch nicht entschieden. Dies habe vielmehr das LG Linz zu beurteilen.

Würde es sich bei der Wohnbeihilfe um eine solche "Kernleistung" handeln, wäre ein Sprachnachweis unzulässig. Unter "Kernleistung" versteht man Leistungen, die die soziale Ausgrenzung und Armut bekämpfen und zur Erreichung der Integration erforderlich sind. Eine Wohnbeihilfe könnte wohl eine solche "Kernleistung" darstellen.

Kunstvoll ausgewichen

Aber genau um diese nötige Klärung hat sich das LG Linz kunstvoll gedrückt. Stattdessen verwies man einfach darauf, dass keine Diskriminierung des Klägers – der seine Schadenersatzansprüche ja ausschließlich auf das Oberösterreichische Antidiskriminierungsgesetz gestützt hatte – aus Gründen der ethnischen Zugehörigkeit vorlag. Ob die Regelung der Wohnbauhilfe möglicherweise gegen die EU-Daueraufenthaltsrichtlinie verstößt, musste man dann gar nicht mehr beurteilten, da das Oberösterreichische Antidiskriminierungsgesetz für allenfalls daraus resultierende Schadenersatzansprüche glücklicherweise keine Anspruchsgrundlagen bietet. Weitere Rechtsmittel gegen diese Entscheidung sind übrigens aufgrund des Streitwerts auch noch unzulässig.

Somit haben bis heute weder der EuGH noch das LG Linz über die konkrete Verknüpfung von Wohnbeihilfe und ausreichenden Deutschkenntnissen entschieden. Was jedoch die ÖVP Oberösterreich nicht davon abhält, das Gegenteil zu behaupten. Unwidersprochen von politischen Mitbewerbern und Medien. So geht türkise Message-Control. (Stefan Brocza, 6.9.2021)