Von "kreativer Buchhaltung", "bewusster Budgetüberschreitung" und "Irreführung der Öffentlichkeit" berichtete die Wochenzeitung "Falter" im November 2019. Die ÖVP habe – wie damals bereits bekannt war – die Obergrenze für die Wahlkampfkosten im Jahr 2017 nicht nur überschritten, sondern "nie im Sinn gehabt, die Sieben-Millionen-Euro-Grenze einzuhalten". Der Bericht erzürnte die Partei – so sehr, dass sie den "Falter" klagte.

Besonders erfolgreich war das Verfahren für die ÖVP allerdings nicht. Ende August bestätigte das Oberlandesgericht Wien die erstinstanzliche Entscheidung zugunsten der Wochenzeitung. Der Vorwurf, die Türkisen hätten die Kosten für den Wahlkampf 2019 bewusst überschritten, sei zulässig gewesen. Die ÖVP kündigte an, ein Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof zu richten; das Urteil ist also nicht rechtskräftig. Aber was bedeutet die vorläufige Entscheidung rechtlich? Wurde die ÖVP einer bewussten Täuschung überführt? Oder bewegte sich die Behauptung des "Falter" schlicht im Rahmen der Meinungsfreiheit?

Die Behauptung des "Falter" ist durch das Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt.
Foto: Heribert Corn

Bewusste Überschreitung?

Dass die ÖVP 2017 die Obergrenze für die Wahlkampfkosten massiv überschritt, war im Herbst 2019 bereits bekannt. Der "Falter" ging in seinem Bericht allerdings über die Darstellung der nackten Zahlen hinaus: Die ÖVP habe die Überschreitung der Wahlkampfkosten schon im Budget veranschlagt, während sie öffentlich noch die Einhaltung der Wahlkampfkosten zusagte. Zudem schloss die Wochenzeitung aus internen Finanzunterlagen der Partei, dass im Wahlkampf 2019 eine neuerliche Überschreitung und eine Verschleierung der tatsächlichen Wahlkampfkosten gegenüber dem Rechnungshof geplant gewesen seien.

Auch DER STANDARD berichtete im Herbst 2019 über die bewusste Überschreitung der Obergrenzen. "Hier wurde mit Vorsatz gehandelt, hier wurde mutwillig das Gesetz gebrochen, um sich den anderen Mitbewerbern gegenüber einen Vorteil zu verschaffen", kommentierte etwa Politik-Ressortleiter Michael Völker die ausufernden Wahlkampfkosten. Geklagt hat die ÖVP aber nur den "Falter". Die Wochenzeitung solle künftig nicht mehr berichten, dass die Partei bewusst über Wahlkampfausgaben getäuscht habe. Das seien schlichtweg "unwahre Tatsachenbehauptungen", die für die Partei kreditschädigend seien.

Das Handelsgericht Wien gab der ÖVP in einem Punkt der Klage recht. Das Gericht entschied, dass der "Falter" die Behauptung, dass die ÖVP die Überschreitung der Wahlkampfkosten "vor dem Rechnungshof verbergen will", widerrufen muss. Die Kernaussagen des Artikels, die ÖVP hätte "bewusst" geplant, die Ausgabenbeschränkung zu überschreiten, und "bewusst die Öffentlichkeit über ihre Wahlkampfausgaben täuscht", waren laut Gericht aber vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Entgegen den Argumenten der ÖVP habe es sich bei den Aussagen im Text nämlich nicht um reine Tatsachenbehauptungen gehandelt, sondern um "wertende Schlussfolgerungen", denen Tatsachen zugrunde lagen.

Nachvollziehbare Deutung

Das Oberlandesgericht Wien bestätigte nun diese Entscheidung. Die Deutung der veröffentlichten Dokumente dahingehend, dass die "Kosten zum Zweck der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben über die Beschränkung der Wahlwerbungsausgaben verteilt wurden", sei legitim gewesen. Zudem seien die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern weiter gesteckt als bei Privatpersonen. Politiker müssen laut Oberlandesgericht "einen höheren Grad an Toleranz zeigen".

Die Gerichte haben in ihren Urteilen also nicht bestätigt, dass die ÖVP die Kostengrenzen tatsächlich bewusst überschritt. Sie entschieden aber, dass es erlaubt ist, dies auf Grundlage der vorliegenden Dokumente zu behaupten.

Als der einstige grüne Mandatar Peter Pilz den damaligen FPÖ-Chef Jörg Haider als "politischen Ziehvater und Ideologen des rechtsextremen Terrorismus" bezeichnete, bekam er vor Gericht aus dem gleichen Grund recht. Alle Instanzen bis zum Obersten Gerichtshof sahen eine "politische Analyse", die Pilz im Kontext von steigenden rechtsextremen Aktivitäten in Österreich auch mit Tatsachen begründete.

"Der Falter hat ja nachvollziehbar dargestellt, wie er zu seiner Interpretation kam", sagt Thomas Höhne, Anwalt für Medienrecht. "Hätte er berichtet, dass die ÖVP Behörden und Wähler täuscht, ohne die Gründe dafür näher auszuführen, wäre er verurteilt worden. Da er aber erklärt hat, auf welcher Basis er berichtete, waren die Äußerungen zulässig."

Laut Höhne reiche gerade in der politischen Auseinandersetzung ein "Tatsachensubstrat, auf dem man eine Wertung aufbaut". "Man konnte sich beim Lesen des Artikels selbst eine Meinung bilden und musste dem Falter nicht folgen. Daher war es richtig zu sagen, dass das in Wahrheit eine Wertung ist", sagt Höhne. "In der politischen Arena sind die Bandagen härter. Das weiß auch das Publikum." (Jakob Pflügl, 6.9.2021)