Die 39-jährige Kolesnikowa gilt als Ikone der Proteste.

Foto: AFP / Belta / Ramil Nasibulin

Maria Kolesnikowa, eine der Anführerinnen der Massenproteste gegen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko im vergangenen Jahr, wurde am Montag zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Kolesnikowa und einer anderen führenden Figur der Opposition, Maksim Snak, wurden Extremismus und der Versuch illegaler Machtergreifung vorgeworfen. Der Anwalt und Regierungskritiker Snak wurde in dem international kritisierten Prozess zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Pass zerrissen

Die 39-jährige Kolesnikowa arbeitete lange als Kulturmanagerin in Stuttgart. Vor der Präsidentenwahl im August vergangenen Jahres engagierte sie sich als Managerin für den ebenfalls inhaftierten Präsidentschaftskandidaten und früheren Bankier Viktor Babariko. Nach der weithin als gefälscht eingeschätzten Abstimmung gab es in Belarus Massenproteste.

Die Politikerin wurde Anfang September 2020 vom Geheimdienst KGB in Minsk entführt. Als sie in die Ukraine abgeschoben werden sollte, zerriss sie kurz vor dem Grenzübergang ihren Pass und vereitelte so Pläne, sie aus dem Land zu vertreiben.

Der Prozess gegen sie begann Anfang August. Europäische Staaten forderten immer wieder ihre Freilassung. Babarikos Team rief am Sonntag dazu auf, Kolesnikowa und Snak bei der Urteilsverkündung "zu unterstützen". Die belarussische Opposition wies den Richterspruch als Unrechtsurteil zurück. Die beiden politischen Gefangenen hätten lediglich versucht, ihr Land zum Besseren zu verändern.

"Absurde Anschuldigung"

Kolesnikowa sprach in einem schriftlich geführten Interview des unabhängigen russischen Internetsenders Doschd von einer "absurden Anschuldigung". Das sei ein weiteres Beispiel für die "Gesetzlosigkeit des Polizeistaates". Die Oppositionelle formte mit ihren Händen in Handschellen ein Herz in einem Gitterkäfig vor Gericht. Vor dem Gerichtsgebäude bildete sich eine lange Menschenschlange.

Wegen des Vorgehens gegen Andersdenkende hatten auch die EU und die USA wiederholt Sanktionen gegen Belarus erlassen. Der Machtapparat in Minsk zeigte sich davon stets unbeeindruckt. Lukaschenko, der als "letzter Diktator Europas" gilt, wird vor allem vom russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstützt.

Schallenberg und Kurz bestürzt über Urteil

Bundeskanzler Sebastian Kurz und Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP) haben sich über die Haftstrafe für Kolesnikowa bestürzt gezeigt. "Mit der Verurteilung der Bürgerrechtlerin Maria Kolesnikowa zu elf Jahren Haft hat das System Lukaschenko einen weiteren Tiefpunkt in der Unterdrückung der eigenen Bevölkerung gesetzt", so Schallenberg in einer gemeinsamen Aussendung vom Montag.

Kurz betonte seinerseits: "Die tapferen Frauen und Männer im Würgegriff des belarussischen Systems, die für ihre Rechte einstehen, brauchen uns mehr denn je. Ich kann Ihnen versichern, dass wir in unserem Engagement für ein freies, offenes und unabhängiges Belarus nicht nachlassen werden."

Schallenberg unterstrich seinerseits: "Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen, wenn Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Das Regime darf keine Sekunde das Gefühl haben, dass die Welt zusieht und ihm freie Hand in der Unterdrückung der eigenen Bevölkerung gewährt."

Internationale Kritik

Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell verurteilte ebenfalls die Haftstrafen für Kolesnikowa und Snak in einer Aussendung: "Die EU bedauert die anhaltende eklatante Missachtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten des belarussischen Volkes durch das Minsker Regime". Die EU fordere die sofortige und bedingungslose Freilassung aller politischen Gefangenen in Belarus.

US-Außenminister Antony Blinken sprach von einem "politisch motivierten" Urteil, das "beschämend" sei. "Bedauerlicherweise sind diese Urteile ein weiterer Beleg für die völlige Missachtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten des belarussischen Volkes durch das Regime", beklagte er.

Der britische Außenminister Dominic Raab sagte in einer ersten Reaktion, das Urteil zeige, dass die belarussischen Autoritäten "ihren Angriff auf die Verteidiger von Demokratie und Freiheit fortsetzen". Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nannte das Urteil willkürlich. (APA, Reuters, red, 6.9.2021)