Valtteri Bottas verlässt Mercedes.

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Zandvoort – Die orange Strandparty von Zandvoort hat Lewis Hamilton mit einem leichten Kater verlassen. Inmitten der entfesselten Jubelfeiern für seinen Titelrivalen Max Verstappen bereitet der Formtrend bei Mercedes dem Formel-1-Weltmeister ziemliche Kopfschmerzen. "Wir müssen irgendwas machen, um mit ihnen mithalten zu können. Wir brauchen mehr Tempo, um in Zukunft Rennen gewinnen zu können", rief Hamilton kurz vor der Weiterreise nach Monza seinem Team zu.

Wieder abgerutscht auf WM-Platz zwei muss der Champion mehr denn je das Scheitern seines Projekts Titelrekord fürchten. Mit zwei Siegen nach der Sommerpause hat Verstappen dem Briten die WM-Führung wieder entrissen. "Es geht in die richtige Richtung", sagte der Niederländer erstaunlich ruhig, während um ihn herum die Red-Bull-Crew wie im Rausch eskalierte.

Orange Army

Wie Verstappen im Auge der Mega-Party seiner Fans die Ruhe bewahrte und ein nahezu perfektes Wochenende hinlegte, bewies einmal mehr die Titelreife des Niederländers. "Ich habe noch nie gesehen, dass eine Nation so hinter einem Fahrer steht", beschrieb Teamchef Christian Horner die wilden Szenen in den Nordsee-Dünen. "Wir sind professionell genug, um uns auf unseren Job zu konzentrieren, wenn wir im Auto sitzen", versicherte Verstappen.

In sechs der sieben vergangenen Grand Prix hat der Titeljäger die Pole Position erobert, mit nun sieben Saisonsiegen gelangen ihm drei mehr als Hamilton. Auch auf sein Drängen hin schraubte Red Bull nach der Sommerpause noch einmal neue Teile ans Auto. "So schnell waren sie das ganze Jahr noch nicht. Wir haben also Arbeit vor uns", befand Hamilton. Weil Mercedes wie fast alle Teams schon viel Kraft ins Auto für die nächste Saison steckt, in der eine Regelreform ansteht, darf er kurzfristig kaum auf Technik-Sprünge hoffen.

Schon am Boxenfunk hatte der 36-Jährige seinem Frust Luft gemacht, weil Verstappen einfach nicht beizukommen war. Dass Mercedes auch strategische Fehler unterliefen und bei nachlässigen Boxenstopps Zeit verloren ging, nährte Hamiltons Sorgen mit Blick auf den Saison-Endspurt. "Es ist noch ein weiter Weg", sagte der Brite, der in diesem Jahr mit WM-Titel Nummer acht Michael Schumachers Bestmarke übertreffen könnte.

Weg frei für Russel bei Mercedes

Unterdessen wurde der Wechsel des finnischen Formel-1-Piloten Valtteri Bottas von Mercedes zu Alfa Romeo vollzogen, er ersetzt dann Landsmann Kimi Räikkönen, der seine F1-Karriere beendet. Damit ist der Weg des Briten George Russell von Williams als neuer Teamkollege von Lewis Hamilton zu Mercedes frei. Der neunfache Grand-Prix-Sieger Bottas unterschieb beim Nachzügler-Team einen Mehrjahresvertrag.

Der Abschied von Bottas hatte sich schon länger angedeutet. Zu selten konnte er die Erwartungen der Teamspitze erfüllen. In Zandvoort missachtete er am Sonntag sogar die Teamorder und hätte Hamilton fast den Zusatzpunkt für die schnellste Rennrunde genommen.

Er war 2017 als Nachfolger des überraschend zurückgetretenen Weltmeisters Nico Rosberg von Williams zu den Silberpfeilen gekommen – mit dem Anspruch, selbst Champion zu werden. Über den Verlauf einer ganzen Saison konnte er aber nie mit dem übermächtigen Hamilton, der seinen Vertrag bis Ende 2023 verlängert hatte, mithalten. 2019 und 2020 wurde er immerhin Vize-Weltmeister im überlegenen Silberpfeil.

Hamiltons Wingman

"Ich bin unheimlich stolz auf das, was wir in meiner Zeit bei Mercedes gemeinsam erreicht haben – und noch ist diese Zeit ja nicht vorbei. Denn unsere größte Herausforderung steht uns noch bevor, der mögliche Gewinn unseres achten Konstrukteurs-Titels", sagte Bottas.

Teamchef Toto Wolff dankte Bottas für seine "fantastische Arbeit" und den wesentlichen Teil, den er zu den Erfolgen und der Entwicklung beigetragen habe. "Gemeinsam mit Lewis hat er einen hohen Maßstab für eine Partnerschaft zwischen zwei Teamkollegen in diesem Sport gelegt. Das war unschätzbar wertvoll für unsere Titelkämpfe und hat uns dazu angetrieben, beispiellose Erfolge zu erreichen", sagte Wolff über Bottas, der es "absolut verdient gehabt" hätte, "beim Team zu bleiben".

Bottas' Arbeitsplatz übernimmt nun wohl der Brite Russell. Der Mercedes-Zögling betrieb zuletzt immer wieder mit starken Leistungen im Williams Eigenwerbung und dürfte jetzt befördert werden. "George ist ein unglaublich talentierter Fahrer", sagte Hamilton jüngst am Rande des Rennens in Zandvoort. "Er wird weiter wachsen. Und wo könnte er das besser, als in einem großartigen Team wie diesem", fügte der siebenfache Weltmeister hinzu.

Wer das zweite Cockpit bei Alfa besetzen soll, ist offen. Der Vertrag mit dem Italiener Antonio Giovinazzi läuft mit Saisonende nach drei Jahren aus, könnte aber verlängert werden. Ebenfalls möglich ist, dass Teamchef Frederic Vasseur 2022 auf eine komplett neue Fahrer-Paarung setzt. Offenbar ist eine Verpflichtung des niederländischen Formel-E-Weltmeisters Nyck de Vries ein Thema. (APA, red, 6.9.2021)