Originaleinrichtung, keine Installation: Die Kunst von den Krankenhausutensilien zu unterscheiden gehört zum Messe-Erlebnis dazu.

Foto: Julia Harrauer

Oh, wie sich die Zeiten ändern! Einst war es die Kunstmesse Viennacontemporary, zu der das arrivierte Kunstvolk pilgerte: gut organisiert, clean und faxenfrei. Wer sich in der Kunstwelt für besonders "edgy" hielt – also all jene, die kein Palais, sondern nur eine Eigentumswohnung erbten –, ging zur frechen "Gegenveranstaltung" Parallel. Die heißt so, weil sie jahrelang zeitgleich zur Viennacontemporary stattfand und zumindest anfangs jenen jungen Wilden, die noch keine Galerie im Rücken hatten, eine Verkaufsmöglichkeit abseits vom eigenen Atelier bot. Da cleane Messehalle, dort ranziges Abbruchhaus, da Flachware, dort Nackt-Performance, da Bussi, Bussi, dort After-Hour im Pilzambulatorium.

Das Messen der Messen

Wir übertreiben natürlich, aber auch die beiden Messen, die sich im Lauf der Zeit immer mehr anglichen, lebten gut von diesem Narrativ des Antagonismus. Nun ist die Welt aber verkehrt. In diesem Jahr residiert die Parallel gediegenst in der ehemaligen Semmelweisklinik draußen in Gersthof, wo uniformierte Schulkinder die Größe ihrer Tüten vergleichen, wie es sich für künftige Leistungsträger gehört. Die Viennacontemporary dagegen hat sich durch die neue Konkurrenz der im Frühling stattgefunden habenden Spark Art Fair gewissermaßen krank geschrumpft und teilte sich die Innenstadt-Location Alte Post mit einer Baustelle. Das kam allerdings nicht hip, sondern leicht fahrlässig daher, wie DER STANDARD berichtete. Außerdem findet die Parallel dieses Jahr nicht mehr zeitgleich, sondern nach der Contemporary statt, sogar der Name hat sich überholt.

Hat die Parallel also beim Messen der Messen gewonnen? Dieses Jahr wohl schon. Wermutstropfen: Bei 13 Euro Eintritt und 1900 Euro netto, die die Galerien für einen Raum berappen müssen, kann man nicht mehr auf ganz so Anti-Establishment machen, wie man vielleicht gerne würde.

Soll bitte nicht heißen, dass es das nicht wert wäre: Wer den Weg in die ehemalige Frauenklinik auf sich nimmt, hat dort gut einen halben Tag zu tun. In zwei ganzen Trakten sieht man auf mehreren Stockwerken, was Galerien, Kollektive, einzelne Künstlerinnen und Künstler zu bieten haben. Auch für die Teilnehmenden, die niederschwellig verkaufen können und fleißig netzwerken, wird sich das auszahlen. An Besucherinnen und Besuchern wird es sicherlich nicht mangeln, denn es ist nicht nur die gebotene Kunst, die große Massen anziehen wird, sondern der Ort. Er befriedigt gleich zwei Bedürfnisse:

Einerseits erblickten ziemlich viele Menschen in der Klinik das Licht der Welt. Der gelernte Narzisst lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen, an diesen Sehnsuchtsort zurückzukehren, von Zimmerchen zu Zimmerchen zu wandern und sich zu fragen, ob es vielleicht genau hier war, wo die eigene Existenz ihren glorreichen Anfang nahm.

Stimmungsvolle Maskerade

Zweitens schlagen verlassene Krankenhäuser in die Kerbe "ruin porn". So wird das Interesse für verfallende oder verfallene, oft auch etwas morbide Gebäude genannt, das weltweit eine große Anhängerschaft hat und auch besonders gut zum Wiener Gemüt passt. Corona hat der Parallel auch einen "Gefallen getan", weil Galeristinnen und Künstler einen maskiert empfangen und das zur Location wie die Faust aufs Auge passt. Die Maske, die im alltäglichen Leben immer noch wie ein Fremdkörper wirkt, funktioniert hier bestens. Kunst im Krankenhaus zu Pandemiezeiten anschauen – es soll nicht zynisch klingen, aber es ist tatsächlich sehr stimmungsvoll.

Dass bei 600 künstlerischen Positionen, die man sehen kann, kein roter kuratorischer Faden erkennbar ist, kann man kaum ankreiden. Das Thema Ökologie und Klimakrise ist recht präsent, einige Künstlerinnen und Künstler nehmen auch auf die Location Bezug und beschäftigen sich mit Themen wie Frauenkörpern und Geburt. So krass wie sich ein Kind aus dem Leib zu pressen, ist die gezeigte Kunst zwar nicht, das ist aber vielleicht eh besser so. (Amira Ben Saoud, 7.9.2021)