Auch auf den Philippinen wurde Ivermectin verteilt.

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Das erste Mal, im Februar, so erzählt eine Tierärztin aus der Steiermark, habe sie sich noch nichts dabei gedacht, als sie ihrer Kundin Pferdeentwurmungsmittel verkauft hatte – immerhin habe die Kundin ein Pferd daheim. Doch beim zweiten Mal, als diese noch mehr Wurmmittel gewollt habe, sei die Tierärztin, die anonym bleiben will, stutzig geworden. "Das gibt’s doch nicht, dass ihr Pferd so viel braucht", habe sie sich gedacht, wie sie dem STANDARD erzählt. Also habe sie genauer nachgefragt und erfahren, dass die Frau sich und ihre Familie mit dem Entwurmungsmittel vor dem Coronavirus beschützen will. Und ihr das Mittel nicht verkauft.

Der Irrglaube, dass das Wurmmittel Ivermectin – es wird nicht nur bei Pferden, sondern etwa auch zur Schweineentwurmung eingesetzt – vor Covid schützen würde, ist national und international verbreitet und gefährlich. Auch in einschlägigen österreichischen Chatgruppen wird es empfohlen – um sich vor Corona oder auch vor vermeintlich negativen Wirkungen von Corona-Geimpften zu schützen. Dabei warnte das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen schon im März vor dem Einsatz gegen Corona, auch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) kam zum Schluss, dass Ivermectin außerhalb klinischer Studien zur Covid-Medikation nicht verwendet werden sollte.

Davor hatten einige Staaten Hoffnung in das Mittel gesetzt – Tschechien etwa ließ 10.000 Packungen an Krankenhäuser verteilen, auch in Südamerika war das Medikament weitverbreitet. Die Vergiftungszentrale in Mississippi berichtete kürzlich, dass 70 Prozent der jüngsten Anrufe bei der Zentrale mit Ivermectin zu tun hätten, auch die Food and Drug Administration (FDA) gab vor wenigen Tagen eine Warnung heraus. Und in Oklahoma erzählte ein Arzt einer lokalen Zeitung, dass man in der Notaufnahme schon nicht mehr dazu komme, Schussopfer zu versorgen, weil so viele Vergiftungsopfer ins Spital kommen würden. Die Klinik, in der der Arzt gearbeitet hatte, dementierte das allerdings, wie der britische Independent berichtet.

Vergiftungen möglich

In Österreich gibt die Vergiftungsinformationszentrale auf STANDARD-Anfrage an, dass heuer erst ein Ivermectin-Fall dort aufgeschlagen sei, das liege in etwa auf dem Wert der vergangenen paar Jahre. Von der Apothekerkammer – in geringerer Dosierung wird das Medikament auch für Menschen eingesetzt, etwa bei Krätze – heißt es, man habe im Frühjahr einen starken Anstieg in der Nachfrage beobachtet. Vor allem aus der Slowakei seien Personen mit slowakischen Rezepten gekommen, um Ivermectin zu kaufen.

Ähnliche Erfahrungen machte man bei den Pharmagroßhändlern: Im März und Februar 2021 habe sich die Nachfrage nach Medikamenten mit dem Wirkstoff Ivermectin verdoppelt, sagt eine Sprecherin des Verbands der österreichischen Arzneimittel-Vollgroßhändler Phago. Danach habe es Lieferengpässe gegeben, nun sei man unter den Vergleichswerten vom Vorjahr.

In den Unfallkrankenhäusern in Wien und im AKH wurden bis dato aber keine vermehrten Vergiftungen verzeichnet. Wobei man in der Covid-Intensivstation des AKH die Problematik kenne, wie es von der Pressestelle auf STANDARD-Anfrage heißt.

Gefährlich ist das Mittel laut dem Toxikologen Rainer Schmid dennoch. Zwar würde man an einer Überdosis nicht sterben, doch es könne durchaus zu Vergiftungserscheinungen kommen – etwa im Magen-Darm-Trakt, auch neurologische Nebenwirkungen könne es geben. Dazu, welche Schäden die chronische Übereinnahme verursachen könne, gebe es keine ausreichenden Daten, sagt Schmid.

Keine Abgabe ohne Untersuchung – im Normalfall

Dass die Lage in Österreich noch nicht derart angespannt ist, hat wohl auch damit zu tun, dass das Mittel in größerer Dosis nur schwer zu bekommen ist, für Ivermectin als Medizin gegen Krätze braucht man außerdem ein Rezept. Ausnahmen von der Rezeptpflicht sind in Apotheken nur in Notfällen erlaubt.

In der Tiermedizin wiederum, so heißt es von einer Sprecherin der Tierärztekammer, dürfe kein Medikament herausgegeben werden, wenn es keine Untersuchung des Tieres gab. Bei Patientinnen und Patienten, die man schon länger kenne, so sagt eine Sprecherin der Kammer, könne es aber schon sein, dass man ein Präparat, das man schon in der Vergangenheit verschrieben hatte, ohne erneute Untersuchung noch einmal verschreibt. Weder in der Tier- noch in der Humanmedizin schließt man aber aus, dass sich ein Schwarzmarkt für die Wurmmittel gebildet hat. (Gabriele Scherndl, 7.9.2021)