Eigentümern gehört auch das Erdreich unter ihrem Grund. Für den Bau der neuen U-Bahn mussten sich die Wiener Linien daher mit den Anrainern einig werden – oder sie zwangsweise enteignen.

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Adolf Gründl muss das Haus, in dem er 76 Jahre lang lebte, verlassen. Vergangenen August ließ die ÖBB im Salzburger Golling zum ersten Mal seit 20 Jahren eine bewohnte Immobilie enteignen. Der Abbruch sei für eine neue Bahnunterführung notwendig; die bisherige Lösung schlichtweg zu gefährlich.

Dass bewohnte Häuser für Infrastrukturprojekte weichen müssen, kommt selten vor. An sich sind Enteignungen nach dem Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetz aber nicht unüblich. Auch vom Bau der neuen U5 in Wien sind rund 2.200 Eigentümer betroffen. Sie verloren zwar nicht ihr Hab und Gut, mussten den Wiener Linien allerdings gegen Zahlungen einer Entschädigung Nutzungsrechte an ihren Liegenschaften einräumen.

Laut Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist das Eigentum an einem Grundstück "nach unten nicht begrenzt". Wird eine U-Bahn gebaut, müssen die Anrainer den Betreibern daher ein Nutzungsrecht übertragen. Tun sie das nicht, können sie – wenn die Behörde zustimmt – gegen Zahlung einer Entschädigung enteignet werden. Betroffene Personen haben dann ein Beschwerderecht an das Gericht; in letzter Instanz an den Verwaltungsgerichtshof.

Verfahren großteils beendet

Im Fall des U2-Ausbaus und des U5-Baus waren die Wiener Linien daher auf das Wohlwollen der Behörden und Gerichte angewiesen. Einzelne Grundstücke beim Bau einer U-Bahn zu "umschiffen" wäre praktisch unmöglich gewesen. Bei der Planung der U-Bahn waren die Wiener Linien an den bestehenden Netzausbau gebunden. Auch die Radien, die eine U-Bahn fahren kann, schränkten den Spielraum der Planer enorm ein. Die gerichtliche Untersagung einzelner Enteignungen hätte das gesamte Projekt gefährdet.

Die Zahlen zu den Enteignungsverfahren, die die Wiener Linien dem STANDARD auf Anfrage mitteilten, sind daher wenig überraschend. Insgesamt sind entlang des Ausbaus von U2 und U5 315 Privatliegenschaften mit rund 2200 Eigentümern betroffen. "Mit der überwiegenden Mehrheit der Eigentümerinnen und Eigentümer konnte rasch eine einvernehmliche Einigung erzielt werden", sagt Ingrid Monsberger-Köchler, Sprecherin der Wiener Linien. Der Verkehrsbetrieb habe sich bereits 99,9 Prozent der erforderlichen Liegenschaftsrechte gesichert. Die Bauarbeiten können damit überall nach Plan durchgeführt werden. Eine Trassenänderung war nicht erforderlich.

"Da die Stadt Wien natürlich ein Interesse daran hat, die U-Bahn wie geplant zu bauen, kann man davon ausgehen, dass die restlichen Verfahren in den nächsten Wochen und Monaten positiv für die Wiener Linien ausgehen werden", sagt ein Anwalt, der nicht namentlich genannt werden will, dem STANDARD. Der Experte für Immobilienrecht vertrat einige der betroffenen Eigentümer gegenüber der Stadt. Bei den Verfahren sei problematisch gewesen, dass Wiener Behörden über Enteignungen für die Wiener Linien entschieden haben. Das gelte auch für die Denkmalschutzbehörden, die im Fall von historisch bedeutsamen Gebäuden aktiv wurden. "Das war ein Kampf gegen Windmühlen", sagt der Anwalt: "Es lag natürlich eine bestimmte Entscheidungsnähe in Richtung des öffentlichen Unternehmens vor."

Hohe Entschädigungen

Auch vor den Rechtsmittelinstanzen war für die betroffenen Anrainer bisher wenig zu holen. Das Landesverwaltungsgericht Wien hat alle Enteignungsbescheide grundsätzlich bestätigt. Änderungen gab es vereinzelt bei der Entschädigungshöhe. "Allerdings war damit im Vorfeld ein extremer Zeit- und Kostenaufwand verbunden", sagt der Experte. Viele Anrainer hätten daher dem von der Behörde vorgeschlagenen Betrag zugestimmt.

Einem Wohnungseigentümer, den er vertrat, seien etwa 36.000 Euro für das Nutzungsrecht angeboten worden, erzählt der Anwalt: "Der hat gesagt: Wenn ich das Geld bekomme, ohne etwas tun zu müssen, dann nehme ich das gern." Bei der genauen Höhe der Entschädigung spielen verschiedenste Faktoren eine Rolle – etwa die Größe der Röhre, die Tiefe des Schachts oder die mögliche Lärmbelästigung. Zur Gesamthöhe der Zahlungen wollten die Wiener Linien keine Angaben machen. (Jakob Pflügl, 6.9.2021)