Gastgeber Emmanuel Macron und Olaf Scholz im Gespräch im Élysée-Palast. Bald gibt es wieder Besuch aus Deutschland.

Foto: imago images/photothek

Olaf Scholz’ Stippvisite in Paris war vom französischen Präsidialamt wie ein offizieller Besuch angekündigt worden: "10.00 Uhr Einfahrt in den Élysée-Palast (Hof offen), 10.05 Gespräch mit dem Präsidenten der Republik (ohne Presse)."

Der Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat kam schließlich gegen 10.30 Uhr an – ähnlich verspätet, wie es sonst sein Gastgeber vormacht. Emmanuel Macron maß dem Treffen große Bedeutung bei. Die ausgetauschten Floskeln über Covid und die EU – sowie Scholz‘ Treffen mit Wirtschaftsminister Bruno Le Maire und OECD-Sekretär Mathias Cormann – waren Nebensache. Wichtig war der Zeitpunkt: Der SPD-Kandidat traf in Paris mit dem französischen Staatschef zusammen, bevor dieser den Kandidaten der Union, Armin Laschet, am Mittwoch begrüßen wird.

Frankreich sieht fern

Die unverhohlene Vorzugsbehandlung durch Paris dürfte auf eine Fernsehdiskussion im Juni zurückgehen, bei der die Kandidaten gefragt wurden, wohin ihre erste Auslandreise aus dem Kanzleramt gehen würde. Die Grüne Annalena Baerbock nannte Brüssel, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Laschet ließ die Antwort offen – nur Scholz nannte Paris. Das sei schon aus Tradition so, sagte der Bundesfinanzminister.

Im Élysée blieb dies nicht unbemerkt; es dürfte dazu geführt haben, dass Macron den SPD-Mann nun als Ersten empfing und ihm in gewisser Hinsicht einen europapolitischen Ritterschlag erteilte.

Pariser Ärger wegen Scholz

Grundsätzlich fühlt sich der französische Präsident, der heute eher in der rechten als in der linken Mitte angesiedelt wird, dem Hamburger Sozialdemokraten nicht unbedingt näher als dem rheinländischen Christdemokraten. Auch hat man in Paris nicht vergessen, dass der Finanzminister 2018 angeregt hatte, Frankreich solle seinen permanenten Sitz im UN-Sicherheitsrat mit den Europäern teilen. Das sorgte bis ins Élysée für Ärger. Einzelne Politiker wie die Rechtspopulistin Marine Le Pen bezeichneten die "kühne Idee", wie Scholz sie nannte, sogar als "unverschämt".

Wirtschaftspolitisch haben nicht nur französische Links-, sondern auch Rechtspolitiker eher eine Affinität zu den deutschen Sozialdemokraten, weil diese haushaltspolitisch weniger laut auf eine "schwarze Null" pochen als Unionspolitiker. Zu Beginn der Covid-Krise hatte die SPD rasch Macrons Anliegen nach Schaffung gemeinsamer Schulden geteilt, während Merkel zauderte. Allerdings mahnen Pariser Stimmen, Scholz zähle in der Schuldenfrage auch eher zu den Bremsern.

Mindestlohn

Den französischen Vorschlag für einen europäischen Mindestlohn dürfte hingegen eher Scholz mittragen. Diese Idee will Macron während des französischen EU-Vorsitzes im ersten Halbjahr 2022 einbringen.

Und wie hält es Annalena Baerbock mit Paris? Aus ihrem Umfeld verlautete am Montag, die Kandidatin wolle im Wahlkampf "so viel Zeit wie möglich für den Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern nutzen"; der Élysée-Palast sei "kein Ort für den Wahlkampf".

Keine Lust auf Machtspiele

Baerbock kennt zwar Macron von einem Abendessen im Februar 2020 in München. Im Juni kam dann die Aussage, ihr erster Besuch als Kanzlerin würde Brüssel gelten. Man darf annehmen, dass sie von den europapolitischen Machtspielen des deutsch-französischen Duetts in Brüssel weniger hält. Sich der diplomatischen Implikationen bewusst, ließ die Parteizentrale der Grünen am Montag verlauten, Frau Baerbock schätze den "sehr guten Austausch mit der französischen Regierung und dem französischen Präsidenten". Und sie freue sich, diesen Austausch nach der Bundestagswahl zu vertiefen.

Den diplomatischen Gepflogenheiten hat die Grünen-Kandidatin damit Genüge getan. Macron hätte sie indessen sehr gerne in Paris empfangen. Von Grünen der Rechtsabdrift bezichtigt, versucht er sich in letzter Zeit mit Umweltvorstößen zu profilieren – etwa mit der Meereskonferenz One Ocean Ende des Jahres in Paris.

Baerbock will sich aber dafür nicht instrumentalisieren lassen – schließlich stehen in Frankreich in acht Monaten ebenfalls Wahlen an, und dabei wird eine Kandidatin oder ein Kandidat der "Verts" (Grünen) Macron herausfordern. Gut möglich, dass sie ihre Schwesterpartei in Berlin ihrerseits angeregt haben, Baerbock solle Macron nicht als wahlpolitisches Feigenblatt dienen, indem sie ihn in Paris aufsucht. Als Kanzlerin würde man sie nach dem 24. September aber sicher mit offenen Armen im Élysée empfangen. (Stefan Brändle aus Paris, 6.9.2021)