Auf den ersten Blick ist der Preisanstieg mehr als paradox. Denn noch nie hatte Spanien so viele Einrichtungen zur Stromerzeugung wie heute.

Foto: Imago/Daniel Schäfer

So teuer wie diesen Sommer war der Strom in Spanien noch nie. Die Megawattstunde (MWh) übersprang vor wenigen Tagen die 140-Euro-Hürde. Alleine in der letzten Augustwoche stieg der Preis um 31 Prozent. Und das obwohl der Strom bereits im Juni 270 Prozent teurer war als Juni 2020. Die Regierung geht davon aus, dass die Stromrechnung im Jahresschnitt um mindestens 25 Prozent zulegen wird. Das befeuert die Inflation. Sie wird 2021 mindestens 3,3 Prozent betragen, so viel wie seit 2012 nicht mehr.

Auf den ersten Blick ist der Preisanstieg mehr als paradox. Denn noch nie hatte Spanien so viele Einrichtungen zur Stromerzeugung wie heute. Und die Nachfrage liegt weit unter der, die vor der Eurokrise 2008 zu verzeichnen war. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis, so zumindest die Theorie. Doch die Praxis sieht anders aus.

Erdgas bestimmt den Preis

Täglich findet eine Versteigerung statt. Die letzte eingekaufte MWh bestimmt den Preis für den gesamten Strom. Energien, die nicht gespeichert oder abgeschaltet werden können, wie Sonne, Wind oder Atomenergie, werden zum Preis von null Euro angeboten. Was das Ganze so teuer macht, ist Erdgas. Der Preis dafür ist im letzten Jahr um 400 Prozent gestiegen, die nötigen CO2-Rechte um hundert Prozent. Gas bestimmt selbst dann den Strompreis, wenn es gar nicht zum Einsatz kommt.

Denn die großen Energieversorger, die in allen Energiequellen tätig sind, nutzen ihre Monopolstellung aus. Sie geben den Preis für mit Erdgas erzeugter MWh bekannt und bieten dann Strom aus Wasserkraftwerken ein wenig billiger an. Natürlich bekommen sie den Zuschlag. So verkaufen sie dann die MWh aus Wasserkraftwerken für bis zu 140 Euro, obwohl die Erzeugung gerade einmal drei Euro kostet. Im trockenen, heißen Sommer laufen die spanischen Stauseen in Rekordgeschwindigkeit leer.

Regierungskrise droht

Die Debatte um den Strompreis droht sich nun zu einer Regierungskrise auszuwachsen. Während der kleine Koalitionspartner, die linksalternative Unidas Podemos (UP), ein staatliches Stromversorgungsunternehmen gründen will, das unter anderem die vom Staat an die großen Stromversorger vergebenen Lizenzen für die Wasserkraftwerke übernehmen soll, um auf die Preise einzuwirken, schaut der große Koalitionspartner, die Sozialisten von Regierungschef Pedro Sánchez, so gut wie tatenlos zu und verlangt von den Stromversorgern "soziales Mitgefühl". Einzige Maßnahme: Die Mehrwertsteuer für Strom wurde Ende Juli von 21 auf zehn Prozent gesenkt. Die Preisspirale freilich hat dies längst aufgefressen.

Die drittstärkste Kraft im spanischen Parlament, die rechtsextreme Vox, nutzt das Thema, um sich als Stimme des kleinen Mannes zu positionieren, und ruft für den 18. September zu einer Demonstration. Vox macht Stimmung gegen die großen etablierten Parteien. Denn sowohl die Sozialisten als auch der konservative Partido Popular haben zahlreiche hohe Ex-Politiker und Minister in den Vorständen der Stromversorger sitzen. (Reiner Wandler aus Madrid, 7.9.2021)