Einer der fünf Punkte ist, den Kontrolldruck zu erhöhen.

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Die vierte Welle rollt an: Die Neuinfektionen sind auf dem Stand von Oktober 2020, also kurz vor dem langen Herbst-Lockdown. Die Zahl der Intensivpatientinnen und -patienten liegt ebenfalls auf dem Niveau von damals. Verschärfungen stehen also im Raum, und die sollen am Mittwoch besprochen werden.

Am Montag ging dazu im Vorfeld des ORF-"Sommergesprächs" eine Mail an mehrere Redaktionen, in der Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) fünf Maßnahmen präsentierte, die er in der Pandemiebekämpfung ergreifen will. Die Beratungen mit den Landeshauptleuten stehen allerdings noch aus. Und: Zahlreiche Fragen sind nach wie vor offen.

Frage: Was sind diese fünf Punkte, ist da eine gröbere Veränderung drin?

Antwort: Der Neuigkeitswert ist begrenzt. Da ist zum Beispiel die Rede davon, dass die Auffrischungsimpfungen "konsequent durchgeführt" werden und dass die Schulen offen bleiben sollen – das ist etwa auch die bekannte Position von Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP). Aufhorchen ließ die Ankündigung, es solle keinen generellen Lockdown mehr geben. Nachsatz: Schutzmaßnahmen solle es nur noch für Ungeimpfte geben. Außerdem heißt es, dass künftig nicht mehr die Sieben-Tage-Inzidenz als Grundlage für Entscheidungen zur Pandemiebekämpfung herangezogen werden soll, sondern die Bettenbelegung auf den Intensivstationen.

Frage: Wie sehen die Reaktionen zu den Ankündigungen des Kanzlers aus?

Antwort: Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) meinte am Dienstag mit einem deutlichen Seitenhieb Richtung Kurz, dass entgegen anderslautenden Gerüchten "die Pandemie nicht vorbei" ist. "Sie ist jetzt nicht vorbei, und sie war auch im Sommer nicht vorbei." Das gelte auch für Geimpfte. Die von Kurz vorgestellten Punkte würden laut Ludwig nicht ausreichen. Stattdessen werde er beim Bund-Länder-Gipfel mehr Maßnahmen fordern: Die Gültigkeitsdauer von Tests soll bundesweit verkürzt werden, wie es Wien bereits Anfang September durchgeführt hat. Bei PCR-Tests wäre das von 72 auf 48 Stunden, bei Antigentests von 48 auf 24 Stunden. Außerdem soll die generelle Maskenpflicht im Handel wieder eingeführt werden. Diese hatte Wien als einziges Bundesland nie außer Kraft gesetzt.

Für die Nachtgastronomie fordert Ludwig eine 2G-Regel – also Zutritt nur noch für Geimpfte und Genesene. Dazu sollen wieder Personenlimits bei Veranstaltungen eingeführt werden, vor allem indoor. Diese Maßnahme habe, so hieß es aus dem Umfeld Ludwigs am Dienstag, auch Umweltmediziner Hans-Peter Hutter empfohlen. PCR-Tests sollen zudem laut Ludwig kostenfrei bleiben.

Auf Twitter schrieb der Wiener Bürgermeister, dass ihn der Hilferuf aus der Intensivmedizin bereits ereilt habe. "Wenn Intensivbetten jetzt Indikator sind (wie es gestern angedeutet wurde), ist es jetzt Zeit zu handeln", meinte Ludwig. Die Pandemie sei auch für Ungeimpfte nicht vorbei, "weil sich diese unabhängig von Corona ins Spital begeben müssen und nun wieder aufgrund hoher Infektionszahlen die Kapazitäten eng werden".

Der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) hält zwei Bereiche aus dem Fünf-Punkte-Plan für sinnvoll: die neue Bewertungsgrundlage für neue Maßnahmen und dass der Fokus auf die Ungeimpften gelegt werde. Vor allem die Situation in den Spitälern und auf den Intensivstationen heranzuziehen anstatt der Sieben-Tage-Inzidenz sei gut. "Salzburg war lange schlechtestes Bundesland bei der Inzidenz, aber bei Intensivbettenbelegung unter den letzten drei", betont Haslauers Sprecher. Auch Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) hält diesen Punkt für "ganz wesentlich". Ungeimpfte müssten bei einer Verschärfung der Corona-Situation mit "Schutzmaßnahmen" rechnen, betonte Wallner.

Angesprochen auf eine mögliche Beschränkung für die Gastronomie nur für Geimpfte, heißt es von Haslauers Sprecher, das werde am Mittwoch ausdiskutiert. Man werde sich zu einzelnen Maßnahmen vorab nichts medial ausrichten, "weil jegliche öffentliche Bewertung schürt Unsicherheit".

Frage: Was halten die Länder von dem Vorstoß einen Tag vor der Sitzung mit dem Bund?

Antwort: Der Kärntner SPÖ-Landeshauptmann Peter Kaiser ist verärgert und lässt ausrichten: "Und täglich grüßt das türkise Murmeltier: Dass der Bundeskanzler immer dann, wenn es kritisch wird, die Landeshauptleute zu Hilfe holt, dann aber vor dem Gespräch Maßnahmen medial bereits im Alleingang ankündigt, passiert nicht zum ersten Mal." Es zeige einmal mehr, dass es ihm weniger um das Gesamtwohl der Bevölkerung und einen respektvollen Umgang auf Augenhöhe als vielmehr um die eigene mediale Inszenierung gehe, betont Kaiser. "Das ist ebenso bedauerlich wie kritikwürdig, weil es die Ansichten der Landeshauptleute und der Expertinnen und Experten entwertet."

In Salzburg fühlt man sich von dem Vorgehen des Kanzlers freilich nicht vor den Kopf gestoßen. Es gebe einen regen Austausch zwischen Bund und Ländern. Die Bundesregierung sei bemüht, die Länder einzubeziehen, betont der Sprecher des Salzburger Landeshauptmanns. "Wir hatten ja nicht alle Schulferien. Es gab bilaterale Gespräche und Kontaktaufnahmen, und wir wissen grundsätzlich, was angedacht ist."

Frage: Was sagt der Koalitionspartner?

Antwort: Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) stimmt mit dem Plan von Kurz völlig überein. Dass differenziert werde, ob jemand geimpft ist oder nicht, halte er für "sinnvoll und richtig", weil man nicht über Jahre Einschränkungen machen könne und wolle. Es gebe die Möglichkeit, weiteren Lockdowns entgegenzuwirken – und "das ist die Impfung". Kogler stellte auch in Abrede, dass es zwischen Kurz und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) keine Abstimmungen geben habe. Das Gegenteil sei der Fall. "Es gibt einen intensiven Austausch, die Maßnahmen sind im Wesentlichen fertig, werden feingeschliffen und morgen mit den Landeshauptleuten besprochen", so Kogler.

Frage: Und wie sieht das eigentlich der ehemalige grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober?

Antwort: Der Mückstein-Vorgänger meldete sich am Dienstag überraschend via Twitter zu Wort und gab sich mahnender als der grüne Parteichef Kogler. Die Lage bei den Infektionen sei wie im Vorjahr rund um den 20. Oktober, schrieb Anschober. Keine zwei Wochen später gab es damals – noch ohne Impfung – einen Lockdown. Davon spricht Anschober nicht, er fordert aber ein Comeback des Mindestabstands sowie eine teilweise Rückkehr zur FFP2-Masken-Pflicht in Innenräumen. Laut Anschober brauche es Maßnahmen gegen die Ausbreitung bei Nichtgeimpften, aber auch gegen das Entstehen von Long Covid sowie Schutz für Kinder.

Frage: Aber zurück zum Plan des Kanzlers: Was hat es mit dieser neuen Bewertungsgrundlage auf sich?

Antwort: Die Corona-Maßnahmen der Regierung sind nur anhand gesetzlich festgelegter Kriterien möglich. Orientieren sie sich nicht daran, sind sie gesetzeswidrig. Diese Grundlagen sind schon jetzt im Covid-19-Maßnahmengesetz festgelegt, fünf davon gibt es: die Neuinfektionen und Cluster, die Clusteranalyse, also bei wie vielen Fällen der Ursprung bekannt ist, die Testpositivrate, Tourismus- und Pendlerströme und eben die Belegung der Normal- und Intensivstationen in den Spitälern.

Die Sieben-Tage-Inzidenz ist also eigentlich nicht explizit und schon gar nicht die alleinige Grundlage für die Bewertung der Situation, die Spitalsbetten spielen dafür schon jetzt eine Rolle. Ob das die alleinige Grundlage sein wird, ist offen – aber unwahrscheinlich, dafür bräuchte es eine Gesetzesänderung. Erst vor etwa zwei Wochen wurde übrigens ebenfalls an dieser Bewertungsgrundlage geschraubt: Da erging ein Erlass von Gesundheitsminister Mückstein an die Länder, in dem festgeschrieben wurde, dass es in der Frage, ob eine Region ein Hochrisikogebiet ist oder nicht, auch eine Rolle spielt, wie hoch die Durchimpfungsrate ist.

Frage: Wie ist das nun mit dem Lockdown für Ungeimpfte, wäre das überhaupt möglich?

Antwort: Derartige Entscheidungen trifft der Gesundheitsminister, er ist es, der die Corona-Verordnungen zu erlassen hat. Freilich berät er sich im Vorfeld mit dem Regierungspartner und den Ländern. Dass Einschränkungen an den Impfstatus geknüpft werden, wird nun schon länger diskutiert. Aus grundrechtlicher Sicht wären bestimmte Erleichterungen für Geimpfte nach Ansicht von Experten und Expertinnen auch verfassungskonform, denn Einschränkungen müssen an ein konkretes Risiko geknüpft sein, und das ist nun einmal geringer, wenn man geimpft ist.

Ein tatsächlicher Lockdown für Ungeimpfte – also dass diese etwa nicht mehr ohne gute Gründe aus dem Haus dürfen, wie wir es von früheren Lockdowns kennen – ist aber heikel, immerhin muss stets das gelindeste Mittel angewandt werden. Wie diese Einschränkungen für Ungeimpfte konkret aussehen sollen, ist also noch offen.

Justizministerin Alma Zadić (Grüne) befürwortete am Montagabend jedenfalls eine 1G-Regelung "in der Gastronomie, aber auch darüber hinaus". Einschränkungen wären aber verfassungsrechtlich nur für Ungeimpfte möglich. Es lasse sich verfassungsrechtlich "schwer argumentieren, warum man die Personen, die geimpft sind, zu Hause einsperrt", sagte sie. Gesundheitsminister Mückstein sprach bereits von einer denkbaren 1G-Regel in der Nachtgastronomie, aber auch auf "Stehpartys" wie beim Après-Ski.

Frage: Was ist mit den Genesenen?

Antwort: Die erwähnte der Bundeskanzler in seinem Fünf-Punkte-Plan nicht, im "Sommergespräch" sprach er allerdings vage von einer Gleichstellung. Aus rechtlicher Sicht wäre es laut dem Verfassungsrechtler Peter Bußjäger zwar "heikel", aber nicht undenkbar, Genesene von bestimmten Gesellschaftsbereichen auszuschließen. Aus epidemiologischer Sicht sind Genesene vor der Delta-Variante sogar besser geschützt als Geimpfte, was gegen eine Schlechterstellung sprechen würde. Wobei Bußjäger schon in der Vergangenheit anführte: Eine Gleichstellung von Genesenen und Geimpften könnte dazu führen, dass Menschen auf die Idee kommen, sich absichtlich anzustecken, oder zumindest eine Infektion in Kauf nehmen – das würde freilich die Intensivstationen belasten und damit die Schutzmaßnahmen ad absurdum führen, von Long Covid ganz zu schweigen.

Frage: Wie geht es mit den Drittimpfungen weiter?

Antwort: Die haben bereits begonnen, der konkrete Zeitplan steht seit Mitte August fest: Als Erstes sollen Personen ab 65 Jahren und Risikopatientinnen und -patienten sowie alle mit Astra Zeneca oder Johnson & Johnson Geimpften die Auffrischung erhalten – und zwar nicht später als neun Monate nach dem vorherigen Stich. Als Mindestabstand wurden sechs Monate angegeben. In die zweite Kategorie fallen alle, die mit Pfizer oder Moderna geimpft wurden. Hier soll der dritte Stich neun bis zwölf Monate nach der Vollimmunisierung erfolgen. Für die Gruppe der Zwölf- bis 18-Jährigen wird vorerst keine Auffrischung empfohlen. Hier ist die Impfung aber ohnehin erst Ende Mai angelaufen.

Dieser Zeitplan führt dazu, dass manche Personen eine Lücke in ihren Impffreiheiten haben werden: Nach wie vor ist es so, dass man nur bis zu 270 Tage (also neun Monate) nach dem Zweitstich als "weniger gefährlich" gilt und damit Zugang zu bestimmten Bereichen hat. Erfolgt die Auffrischungsimpfung später, muss man – Stand jetzt – testen, in die Nachtgastronomie dürfte man zwischenzeitlich gar nicht (außer man ist genesen). Die zweite Möglichkeit wäre eine Novelle der Covid-Verordnung, die neue Zeitrahmen festlegt, auch das ist denkbar – diese muss ohnehin vor Ende des Monats verlängert werden.

Frage: Was kündigte der Kanzler noch an?

Antwort: Die Rede war außerdem davon, den "Kontrolldruck zu erhöhen". Erstens seien immer mehr gefälschte Zertifikate im Umlauf, zweitens würden die Nachweise teils "mangelhaft" kontrolliert. Momentan ist es so, dass im Gastgewerbe und in Freizeitbetrieben die Betreiber und Betreiberinnen die 3G-Nachweise kontrollieren – bekanntlich manchmal sehr lasch. In anderen Einrichtungen, etwa wenn es kein Personal gibt, das kontrollieren könnte, oder in nichtöffentlichen Sportstätten, muss der Nachweis nicht hergezeigt, aber bereitgehalten werden. Darüber hinaus kontrolliert die Polizei aber stichprobenartig oder anlassbezogen sowohl Gäste als auch Betreiberinnen und Betreiber. Dazu gab es Ende Juli einen Erlass: Darin wies der Gesundheitsminister die Behörden an, in der Gastronomie stärker zu kontrollieren.

Frage: Was ist sonst noch offen, was wissen wir noch nicht?

Antwort: Nicht angesprochen wurde vom Kanzler etwa eine etwaige Ausweitung der Maskenpflicht. Bekanntlich gilt diese in Wien zum Beispiel auch noch in allen Geschäften und etwa im Kino. Schon mehrmals stellte die Hauptstadt im Alleingang strengere Regeln auf, dass der Bund diesen folgt, ist nicht auszuschließen. Mückstein zeigte sich am Wochenende schon offen für eine Ausweitung der Indoor-Maskenpflicht. Ebenfalls offen ist, wie der Schutz der Kleinsten forciert werden soll. Für unter Zwölfjährige ist in Österreich noch keine Impfung zugelassen. Seit längerem gibt es außerdem eine Debatte darüber, ob Corona-Tests gratis bleiben sollen – dazu steht eine Entscheidung aus. Ein weiteres Thema ist die Gültigkeitsdauer der Tests. Auch da geht Wien schon jetzt einen strengeren Weg, Mückstein zeigte sich dem gegenüber nicht abgeneigt.

Frage: Wie lange gelten denn die Tests nun?

Antwort: Da muss man zwischen dem Alltagsleben und der Schule unterscheiden. Grundsätzlich (außerhalb der Schule) gelten Selbsttests 24 Stunden lang, Antigentests aus der Teststraße oder Apotheke 48 Stunden und PCR-Tests 72 Stunden. Außer in Wien: da gelten Selbsttests gar nicht, Antigentests aus Apotheke und Teststraße 24 Stunden und PCR-Tests 48 Stunden. Außer bei Kindern unter zwölf Jahren, da gelten bei PCR- und Teststraßen- oder Apothekentests die bundesweiten Zeitspannen.

In der Schule wiederum muss bundesweit dreimal die Woche getestet werden, zumindest die ersten drei Wochen lang. Das führt in Wien zu der besonderen Situation, dass die Schultests in bestimmten Fällen weniger lange gültig sein können als die Alltagstests und damit der Ninja-Pass – den kennt man schon aus dem vorigen Schuljahr – nicht immer auch als Eintrittskarte in Gastronomie oder Freibad gilt. (Gabriele Scherndl, David Krutzler, Stefanie Ruep, Walter Müller, 7.9.2021)