Russische Trolle konzentrieren sich verstärkt auf die Kommentarsektionen westlicher Nachrichtenseiten.

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Das Crime and Security Research Institute der walisischen Cardiff University hat sich in einer Untersuchung mit russischen Desinformationskampagnen auseinandergesetzt. Das Ergebnis ist durchaus alarmierend: Der Bericht nennt 32 bekannte Medien aus 16 westlichen Staaten als Ziel verschiedener Kampagnen. Die Bemühungen um prorussische Stimmungsmache seien außerdem seit 2018/19 deutlich intensiviert worden.

Besonders abgesehen hat man es auf die Kommentarsektionen der betroffenen Medien. Die Rede ist von "systematischer und weitreichender Infiltration". Die Trolle registrieren sich auf den Webseiten und posten dann provokative beziehungsweise antiwestliche Statements unter Artikeln in Zusammenhang mit Russland und dessen Politik, speziell in Sachen Geopolitik. Man klinkt sich häufig früh ein, um einen möglichst großen Einfluss auf weitere Nutzerinteraktionen zu erwirken und "Framing" (inhaltliche beziehungsweise meinungstechnische Ausrichtung) der Diskussion zu betreiben.

Meinungsverzerrung

Die Nutzer fallen dadurch auf, dass sie häufig ihre Accounts wechseln beziehungsweise, wenn möglich, ihren Usernamen ändern. Erleichtert wird dies durch fehlende Absicherungsmechanismen der Betreiber der Medienseiten, die meist über keine Mittel zu verfügen scheinen, um solche Kampagnen zu erkennen oder zu verhindern.

Die prorussischen Kommentare werden in bekannten staatlichen Medien wie Russia Today oder Ria Novosti und in privat betriebenen Portalen mit Nähe zu Putins Regierung, etwa der Patriot Media Group von Jewgeni Prigoschin, sowie der dem Geheimdienst FSB verbundenen News Front hervorgehoben. Beteiligt sind auch andere unterschiedlich populäre Seiten und Social-Media-Accounts.

Eine zentrale Rolle fällt dem Medien-Aggregator Ino SMI zu. Dort erscheinen immer wieder übersetzte Zusammenfassungen von Artikeln aus westlichen Medien nebst hervorgehobenen Kommentaren aus deren Foren. Dargestellt werden diese dann als die "Meinung der Leser" des jeweiligen Mediums, womit man sich dessen Marke zunutze macht, um ein verzerrtes Meinungsbild zu transportieren. Es ist allerdings unklar, ob Ino SMI Teil des Kreml-treuen Propagandanetzwerks ist oder sich unwissentlich in dessen Dienste stellt.

Verbreitungswege eines "Daily Mail"-Artikels, der mit ausgewählten Kommentaren auf Russisch aufbereitet wurde.
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(Nicht nur) für Russischsprecher

Zielpublikum dieser Nachrichten sind russischsprachige Menschen. Ihnen präsentiert man ein Realitätsbild, in dem die Unzufriedenheit beziehungsweise Ablehnung der Positionen westlicher Regierungen und die Unterstützung von Russland beziehungsweise Putin wesentlich größer sind, als es tatsächlich der Fall ist. Diese Artikel finden nicht nur große Verbreitung in Russland, sondern auch in Zentral- und Osteuropa. Besonders erfolgreich dürften sie in Bulgarien sein.

Weiters gibt es auch begrenzte Hinweise auf einen "Feedback-Loop-Effekt". Die für russischsprachiges Publikum aufbereiteten Geschichten landen auch auf Seiten, die für Propaganda und Desinformation bekannt sind, sich aber an westliche Zielgruppen richten. Die Analyse der Forscher bezieht sich großteils auf Berichterstattung zur völkerrechtswidrigen Annexion der Krim sowie dem Konflikt in der Donbas-Region im Osten der Ukraine, jedoch ist den Wissenschaftern zufolge klar zu sehen, dass die Trolle auch bei anderen Themen mit Russlandbezug andocken.

Viele bekannte Medien betroffen

Zu den Medien, die in der einen oder anderen Form von der Kampagne betroffen sind oder waren, zählen unter anderem die "Daily Mail", der "Daily Express" und "The Times" aus Großbritannien, Fox News und die "Washington Post" aus den USA, "Die Welt" und "Der Spiegel" in Deutschland, der französische "Le Figaro" und die italienische "La Stampa".

Drei verdächtige "Daily Mail"-User im Vergleich.
Foto: Cardiff University

DER STANDARD wird in einer Analyse von Ino-SMI-Artikeln zwischen Februar und Mitte April 2021 genannt. Hier fanden die Forscher drei übersetzte beziehungsweise zusammengefasste Texte, denen ausgewählte, dezidiert prorussische Kommentare beigestellt und als repräsentativ für die Meinung der Leser insgesamt präsentiert wurden. Suchergebnisse auf dem Portal legen nahe, dass seitdem weitere Artikel dieser Art dort erschienen sind.

Verdachtsmomente

Als Beispiel für die Aktivitäten von Troll-Accounts führt man drei User der "Daily Mail" auf, die bei Ino SMI bereits zitiert wurden. Zwei der Konten wurden Mitte beziehungsweise Ende 2020 angelegt und haben seitdem mehr als 4.000 respektive 5.000 Kommentare verfasst. Der jüngere Account hat seinen Namen fünfmal und seinen angegebenen Ort sechsmal geändert, mehr als die Hälfte dieser Änderungen fand zwischen 1. März und 20. April statt. Das ältere Konto hatte zum Zeitpunkt der Analyse bereits 549 Namens- und 69 Ortswechsel vollzogen.

Voting-Streuung im Vergleich – verdächtige User (pink/blau) und Kontrollgruppe (schwarz).
Foto: Cardiff University

Ein drittes Konto mit über 10.000 Beiträgen ist seit 2013 aktiv und weist verhältnismäßig wenige Namensadaptionen oder Standortänderungen auf. Dieser Nutzer war zuletzt vor allem auf Politik in den USA und Großbritannien fokussiert und fällt in Diskussionen dadurch auf, gerne Anschuldigungen gegenüber anderen Usern zu erheben.

Die 302 beobachteten "Daily Mail"-Nutzer, die prorussische Botschaften verbreiten, haben im Vergleich mit einer Kontrollgruppe bestehend aus 5.801 "normalen" Usern recht hohe Voting-Scores. Dies weist auf sogenanntes "Vote Brigading" hin, also die Heranziehung von Troll-Accounts, um bestimmte Beiträge konzertiert zu pushen. Ein Indiz dafür ist auch der kurze Zeitraum, in dem die Beiträge verdächtiger Nutzer massiv hochgevotet werden. Die Streuung ist hier bei der Vergleichsgruppe deutlich größer.

Mangelnde Absicherung

Zuletzt sehen die Forscher verschiedene Probleme auf den Seiten der von ihnen analysierten Medien, die diese in unterschiedlichem Maße betreffen und solche Kampagnen begünstigen. Genannt werden eine schnelle, einfache Registrierung ohne Verifikation in Verbindung mit der Möglichkeit, sofort Kommentare zu posten.

Aufgeführt wird weiters die Möglichkeit, oft den Namen zu ändern und in schneller Abfolge unter verschiedenen Pseudonymen Postings zu verfassen. Dies erweckt nicht nur den Eindruck größerer Unterstützung, sondern erschwert auch die Nachverfolgung ihrer Aktivitäten. Zudem fehlt es ihrer Ansicht nach bei den betroffenen geopolitischen Artikeln oft an ausreichender Moderation. (Georg Pichler, 8.9.2021)