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Nur wenige Frauen forschten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an der Uni Wien. Einige arrangierten sich mit dem NS-Regime oder engagierten sich aktiv dafür.
Foto: Albert Hilscher / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com

Eigentlich verdankt die Uhlirzgasse im Grazer Bezirk Andritz ihren Namen dem Historiker Karl Uhlirz. Seit den 1990er-Jahren, als die Forderung nach einer stärkeren Sichtbarkeit von Frauen im öffentlichen Raum immer lauter wurde, wird die kleine Gasse allerdings verstärkt mit der Tochter des ursprünglichen Namengebers – Mathilde Uhlirz – in Verbindung gebracht. Sie stellte 1916 an der Universität Graz als erste Historikerin in der Habsburgermonarchie einen Antrag auf Habilitation. Diesem wurde trotz positiver Gutachten erst im vierten Anlauf stattgegeben – da schrieb man bereits das Jahr 1932.

Mathilde Uhlirz' Antrag auf Habilitation von 1916 wurde erst 1932 stattgegeben. Als Gaurednerin profitierte sie von der Machtübernahme der Nationalsozialisten.
Foto: Universitätsarchiv Graz

Dass Mathilde Uhlirz in dieser Zeit nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch in deutschnationalen Kreisen sehr aktiv war und sich später als NSDAP-Mitglied und sogenannte Gaurednerin exponierte, macht sie im Licht jüngster Forschungsaktivitäten zu einer "historisch bedenklichen Person".

Die "ExpertInnenkommission für Straßennamen Graz" sah darin kein großes Problem. Da ohnehin Karl Uhlirz als offizieller Namensgeber fungiere, sei keine Umbenennung erforderlich, und so empfahl man lediglich eine "Richtigstellung". Diese Rückbesinnung auf den Vater werfe allerdings neue Fragen auf, sagt die Historikerin Heidrun Zettelbauer. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Lisbeth Matzer hat sie sich intensiv mit den Biografien von Karl und Mathilde Uhlirz und deren Rolle in der städtischen Gedächtnispolitik beschäftigt.

Differenzierter Umgang

Fazit: Auch Vater Uhlirz könne man aufgrund seiner deutschnational-völkischen und antisemitischen Gesinnung nicht als völlig "unbedenklich" akzeptieren. "Wir müssen uns sehr gut überlegen, wie wir mit historischen Figuren umgehen, die sich einer vorschnell auf Identifikation oder Ablehnung abzielenden Einordnung entziehen", plädiert Zettelbauer für einen differenzierteren Umgang mit biografischen Ambivalenzen.

Einerseits war Mathilde Uhlirz Opfer eines offen frauenfeindlichen Wissenschaftsbetriebs, sagt die Forscherin, "andererseits eine überzeugte deutschnational-völkische und schon früh nationalsozialistische Historikerin, die von der Machtübernahme der Nationalsozialisten zweifellos profitierte". Eine genaue Aufarbeitung dieser NS-Vergangenheit habe jedoch lange gefehlt.

Die Benennung der Uhlirzgasse in Graz ist nicht unumstritten – ob es nun um Karl oder Mathilde Uhlirz geht.
Foto: Heidrun Zettelbauer

Diese Lücke konnten Zettelbauer und Matzer mit ihrer Untersuchung im aktuellen "Zeitgeschichte"-Heft ein Stück weit schließen. Die Texte in dieser Ausgabe verbinden Perspektiven der Frauen- und Geschlechtergeschichte mit Biografie-, Gedächtnis- und Wissenschaftsforschung.

Lore Kutschera in Wien und Klagenfurt

Auch zwei andere durch Straßennamen geehrte Wissenschafterinnen mit fragwürdiger politischer Vergangenheit werden erwähnt. Die Botanikerin Lore Kutschera erhielt 1969 als eine der ersten Frauen an der Wiener Boku einen Doktortitel. Was bisherige Darstellungen ihrer Biografie geflissentlich übersehen haben: Kutschera war in ihrer Jugend überzeugte Nationalsozialistin, die schon 1933 dem Bund Deutscher Mädel (BDM) beitrat und sich noch vor dem "Anschluss" etwa beim Aufbau der Hitlerjugend Österreich hervortat.

Dennoch gibt es seit 2014 in Klagenfurt eine Dr.-Lore-Kutschera-Straße, und in Wien wurde erst vor drei Jahren ein Weg in Meidling nach ihr benannt. Das sorgte für heftige Diskussionen, zumal man zu diesem Zeitpunkt bereits auf zeitgeschichtliche Projekte zurückgreifen konnte, in denen Straßennamen auf politische Hintergründe überprüft werden.

Margret Dietrichs Netzwerkvorteile

Mit einer Straßenbenennung geehrt wurde auch die Theaterwissenschafterin Margret Dietrich, die gemeinsam mit dem Universitätsprofessor und dezidierten Nationalsozialisten Heinz Kindermann das "Zentralinstitut für Theaterwissenschaft" in Wien aufbaute und als eine der ersten Frauen 1964 außerordentliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) wurde.

Theaterwissenschafterin und NSDAP-Mitglied Margret Dietrich.
Foto: ÖAW, Archiv

Dass sie sich schon früh in der Hitlerjugend engagierte und als NSDAP-Mitglied ideologisch eindeutig positionierte, schadete ihrem Ruf lange nicht. "Nach 1945 profitierte sie vielmehr von den weit in die Zweite Republik hineinwirkenden schwarz-braunen Netzwerken, insbesondere an der ÖAW und der Universität Wien", arbeitet die Wissenschafterin Birgit Peter in einem Artikel heraus.

Trotz der biografischen Makel wurde Margret Dietrich 2007 in Wien-Floridsdorf eine Straße gewidmet. "Sie ist bislang die einzige der hier behandelten Forscherinnen, in deren Fall es angesichts der Thematisierung ihrer NSDAP-Mitgliedschaft bereits 2008 zu einer Umbenennung der Straße kam", berichtet Lisa Rettl, Mitherausgeberin des "Zeitgeschichte"-Heftes. "Eine intensivere Auseinandersetzung mit Dietrichs NS-Vergangenheit blieb allerdings auch in diesem Fall aus."

Spielräume im misogynen Milieu

Aus gendersensibler Perspektive stellten sich die Historikerinnen zudem die Frage, welche Handlungsspielräume die drei Frauen damals in den männlich dominierten Forschungsfeldern hatten. Welche Chancen nutzten sie? Wer oder was behinderte ihre Karriere? In den Heftbeiträgen gehen sie unter anderem auch darauf ein, welche Rolle ideologische Aspekte in der wissenschaftlichen Arbeit dieser Frauen spielte. Und sie klären, wie ihre Forschung nach dem "Anschluss" sowie nach dem Kriegsende weiterging.

"Während Mathilde Uhlirz nach 1945 aus Altersgründen auf das Ende ihrer Berufslaufbahn zusteuerte, erlebte etwa Margret Dietrich mit ihrem Mentor Heinz Kindermann einen Höhenflug mit beachtlicher Universitätskarriere als Ordinaria", also als Inhaberin eines Lehrstuhls, sagt Lisa Rettl.

Lore Kutschera dagegen fasste erst 1962 wieder Fuß an der Universität, da sie sich mit ihrem mächtigen Mentor, dem Boku-Professor Erwin Aichinger, überwarf. Auch er war nationalsozialistisch stark belastet, was aber weder sein Ansehen noch seine Karriere negativ beeinflusste. Entnazifizierungsmaßnahmen spielten bei Kutscheras langer universitärer Abstinenz keine Rolle.

"Gemeinsam ist diesen Frauen, dass sie in ihren jeweiligen Disziplinen bemerkenswerte akademische Kriegs- und zum Teil auch Nachkriegskarrieren machten und wir ihnen in der bislang erschienenen Forschungsliteratur durchwegs als Vorzeige- und Paradewissenschafterinnen begegnen", resümiert Rettl. Als weibliche Role-Models taugen sie angesichts ihrer für lange Zeit ausgeblendeten NS-Vergangenheit aus demokratiehygienischen Gründen aber wohl kaum. (grido, 11.9.2021)