Afghanistans neuer Regierungschef Mullah Mohammed Hassan Akhund (links) mit Pakistans Außenminister Sartaj Aziz, August 1999.

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Abdul Baqi Haqqani wird Bildungsminister.

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Der FBI-Steckbrief des neuen Innenministers.

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Die militant-islamistischen Taliban haben am Mittwoch alle weiteren Proteste in Afghanistan untersagt. In der ersten offiziellen Erklärung des Innenministeriums nach der Regierungsbildung hieß es, niemand solle derzeit versuchen, Proteste zu organisieren. Bei Verstößen wird mit ernsthafter Strafverfolgung gedroht. Als Grund wird angeführt, dass in den vergangenen Tagen einige Menschen die öffentliche Ordnung gestört und Menschen belästigt hätten.

Zugleich gaben die Islamisten die Bedingungen für Proteste in der Zukunft vor. Demnach müssen Organisatoren im Vorfeld eine Genehmigung des Justizministeriums einholen. Mindestens 24 Stunden vorher müssten der Grund der Demonstration, Ort, Zeit und Slogans der Justiz und den Sicherheitsbehörden mitgeteilt werden.

Die Taliban hatten in den vergangenen Tagen Demonstrationen mit Gewalt unterdrückt. Außerdem untersagten sie die Berichterstattung über die Proteste in den Medien. Frauen und Männer waren in der Hauptstadt Kabul und mehreren Provinzen unter anderem für Frauenrechte und Freiheit auf die Straße gegangen.

Kritik aus aller Welt

Auch wenn es eigentlich niemanden so wirklich zu überraschen vermochte, dass die Taliban die Chefposten in ihrer Übergangsregierung ausschließlich Männern und noch dazu weitgehend ihresgleichen überantworten, übten sich die westlichen Regierungen am Mittwoch in Kritik an den neuen Herren in Kabul.

Während Deutschland und die USA mit Sorge reagierten, will China die Kommunikation mit den radikalislamischen Machthabern in Kabul aufrechterhalten. Die EU zeigte sich enttäuscht, setzt ihre Nothilfe für Afghanistan bis auf weiteres aber fort. In Österreich beschloss die Regierung 18 Millionen Euro Soforthilfe für Afghanistan.

Zehn Millionen Euro davon gehen an das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR), fünf Millionen an UN Women und drei Millionen an das Welternährungsprogramm. "Wir wollen in der Region helfen und weitere Fluchtbewegungen nach Europa verhindern," sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) ergänzte: "Die Lage der Frauen und Mädchen und die Ernährungslage für ein Drittel der Bevölkerung sind alarmierend. Das macht die internationale humanitäre Hilfe so dringend notwendig."

Die neue Regierung stellt sich vor

Die Taliban hatten tags zuvor, gut drei Wochen nach ihrem Einmarsch in der Hauptstadt, ihre 33-köpfige Ministerriege vorgestellt – und dem verdutzten Westen rasch klargemacht, was sie unter einer "inklusiven Regierung" verstehen, die sie kurz nach ihrer Machtübernahme noch versprochen hatten.

Im Kabinett des designierten und zuvor vergleichsweise unbekannten Premierministers Mullah Hassan Akhund findet sich etwa Sirajuddin Haqqani, ein hochrangiger Taliban und Anführer des von den USA seit 2012 als Terrororganisation definierten Haqqani-Netzwerkes, das für viele Anschläge in Afghanistan verantwortlich gemacht wird. Die US-Bundespolizei FBI hat auf den neuen Innenminister daher seit Jahren ein siebenstelliges Kopfgeld ausgelobt.

Die Außenminister Deutschlands und der USA, Heiko Maas und Antony Blinken, äußerten sich nach einem Treffen auf dem US-Stützpunkt in Ramstein besorgt über die Zusammensetzung der Regierung in Kabul. Wie Maas forderte auch Blinken, dass weitere Menschen aus Afghanistan ausreisen können. "Diese Charterflüge müssen fliegen können", sagte Blinken. Die weiteren Beziehungen hingen nun maßgeblich vom Verhalten der Taliban ab, sagten beide Außenminister. Maas betonte, dass die Weltgemeinschaft zwar humanitäre Hilfe leisten werde. Eine Isolation Afghanistans sei nicht im Interesse der Taliban.

Kritik aus Washington

Dennoch bereiten den USA die Verbindungen und die Vergangenheit einiger Personen der Übergangsregierung Sorge, sagte zuvor ein Sprecher des State Department, des US-Außenministeriums. Ebenso monierte dieser, dass auf der Liste der Kabinettsmitglieder "ausschließlich Personen stehen, die Mitglieder der Taliban oder ihrer enger Verbündeter sind und keine Frauen". Man habe zuvor "unsere Erwartung klar geäußert, dass das afghanische Volk eine inklusive Regierung verdient". Dass die Taliban weiblichem Personal keinen Platz am Kabinettstisch zugestehen, hatten die radikalen Islamisten freilich schon vor der offiziellen Verkündung angekündigt.

Auch die ethnische Zusammensetzung des Taliban-Kabinetts vermag bei näherer Betrachtung kaum den Vielvölkerstaat Afghanistan abzubilden. Bis auf drei der 33 Minister gehören alle der bei den Taliban dominierenden Ethnie der Paschtunen an, zwei sind Tadschiken, einer ist Usbeke. Auf ihr Versprechen angesprochen, in der neuen Regierung würden alle Teile der Gesellschaft vertreten sein, reagierten die Taliban dann beschwichtigend. Es handle sich lediglich um ein Übergangskabinett, in dem noch nicht alle Posten besetzt seien, wiegelte Taliban-Sprecher Zabiullah Mujahid bei einer Pressekonferenz ab.

Maas: "Signale stimmen nicht optimistisch"

Deutschlands Außenminister Heiko Maas, der zuletzt wegen einer offenbar ignorierten Warnung der deutschen Botschafterin in Washington vor einem schnellen Vormarsch der Taliban in die Kritik geraten war, gibt sich damit nicht zufrieden. "Die Verkündung einer Übergangsregierung ohne Beteiligung anderer Gruppen und die gestrige Gewalt gegen Demonstrantinnen und Journalisten in Kabul sind nicht die Signale, die optimistisch stimmen", sagte er am Mittwoch.

Diese hatten die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen und Entwicklungszusammenarbeit gefordert. Seit Wochen warnt etwa das Uno-Büro für Nothilfe vor einer drohenden humanitären Katastrophe in Afghanistan. Pakistan, dem immer wieder die Billigung des neuen Regimes in Kabul nachgesagt wird, hat vorgeschlagen, zur Bewältigung der humanitären Notlage auch die Taliban zu Gesprächen einzuladen.

Die EU will jedenfalls ihre Nothilfe fortsetzen, die neue Taliban-Regierung aber genau im Auge behalten. "Die Europäische Union ist bereit, weiter humanitäre Hilfe zu leisten", sagte der Vizepräsident der EU-Kommission, Maroš Šefčovič. Längerfristig hingen Gelder aber davon ab, ob die neuen Machthaber Grundfreiheiten aufrechterhalten. Auch die EU äußerte sich enttäuscht über das von den Taliban eingesetzte Übergangskabinett.

Sorge auch in Asien

Doch nicht nur der Westen ist ob der Entwicklung in Afghanistan besorgt. Dass von dem Land zwanzig Jahre nach den 9/11-Anschlägen weiterhin Terrorgefahr ausgeht, konstatierten am Mittwoch die nationalen Sicherheitsberater der beiden Regionalmächte Russland und Indien, Nikolai Patruschew und Ajit Doval. Die Taliban müssten ihr Versprechen halten, wonach sie ausländischen Terrorgruppen keinen Unterschlupf bieten. Während Moskau am Mittwoch erklärte, vorerst keine direkten Kontakte zum Taliban-Regime unterhalten zu wollen, fühlt sich Indien von den radikalen Islamisten in seiner Nachbarschaft bedroht. Und auch China will seine Grenzen künftig stärker überwachen.

Appelle für einen Dialog mit den Taliban kamen am Mittwoch vom Roten Kreuz. "Es braucht einen breiteren Rahmen für politische und wirtschaftliche Kontakte mit den neuen Autoritäten", sagte der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Peter Maurer, in Kandahar. Dies sei zur Bekämpfung der sozioökonomischen Krise in dem Land notwendig. Humanitäre Hilfslieferungen allein seien nicht genug.

Andere Staaten sollten jetzt darüber nachdenken, ob Sanktionen gegen die Taliban negative Auswirkungen auf die Bevölkerung in Afghanistan hätten, sagte Maurer. Außerdem solle die Weltbank nach Wegen suchen, ihre Unterstützung für das Gesundheitswesen wiederaufzunehmen. Maurer traf während seines viertägigen Besuches auch den neu ernannten Vizeregierungschef Mullah Abdul Ghani Baradar. Das IKRK sei bisher schon in Taliban-Gebieten tätig gewesen und wolle das auch weiter sein.

Plötzliche Entschuldigung

Während der Westen nun mit Sorge auf die neue Taliban-Regierung blickt, hat sich indes am Mittwoch der alte Präsident Ashraf Ghani zu Wort gemeldet. Gut drei Wochen nach seiner überstürzten Flucht aus Afghanistan hat sich dieser beim afghanischen Volk entschuldigt. "Es war nie meine Absicht, das Volk im Stich zu lassen", ließ Ghani auf Twitter wissen. Er habe mit seiner Flucht heftige Kämpfe wie während des Bürgerkrieges in den 1990er-Jahren in der Hauptstadt Kabul verhindern wollen.

Ghani, der sich aktuell in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufhält, wies erneut Vorwürfe zurück, dass er bei seiner Flucht "Millionen Dollar, die dem afghanischen Volk gehören", mitgenommen habe. "Diese Beschuldigungen sind vollständig und kategorisch falsch." Er stelle sich jeder unabhängigen Untersuchung. Der afghanische Botschafter in Tadschikistan etwa hatte Ghani des Diebstahls von 169 Millionen Dollar, umgerechnet 144 Millionen Euro, an staatlichen Mitteln beschuldigt. (Florian Niederndorfer, red, APA, 8.9.2021)