Die Maskenpflicht wird wieder verschärft.

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Die Pressekonferenzen zu Corona-Maßnahmen wurden zuletzt weniger. Nun wurden erneut Verschärfungen verkündet.

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Am Beginn stand ein neidvoller Blick nach Norden. Er wolle seine Zuhörer mit auf eine Reise nach Dänemark nehmen, hob Bundeskanzler Sebastian Kurz an. Der skandinavische Kleinstaat ist Österreich nämlich nicht nur im Fußball haushoch überlegen, sondern auch beim Impfen. Weil über 86 Prozent der dortigen impfbaren Bevölkerung zumindest den ersten Stich haben, referierte Kurz, schafft das Land fast alle Anti-Corona-Beschränkungen ab.

Es blieb beim Auftritt am Mittwoch nicht bei dieser einen Mahnung an die heimischen Bürger, impfen zu gehen. Denn weil die Immunisierungsrate hierzulande erst 70 Prozent der impfbaren Bevölkerung beträgt, sieht sich die Bundesregierung genötigt, das Gegenteil der dänischen Maßnahme zu tun: Sie verschärft die Regeln.

Der von der Bundesregierung gemeinsam mit den Landeshauptleuten beschlossene Maßnahmenmix steht unter dem Motto "Nie wieder Lockdown in Österreich" (der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter). Pauschale Sperren von Institutionen sind folglich nicht vorgesehen. Einige, aber nicht alle Verschärfungen werden ausschließlich Menschen betreffen, die sich nicht impfen lassen: Wer die immunisierenden Stiche scheut, wird in sämtlichen Geschäften FFP2-Maske tragen müssen und in naher Zukunft aller Voraussicht nach nicht mehr Discos, Bars und andere Nachtgastronomie besuchen dürfen. Als quasi geimpft gelten hingegen auch Genesene bis zu sechs Monate nach ihrer Erkrankung – danach brauchen auch diese einen Impfstich.

Die einzelnen Restriktionen sollen nach einem Stufenplan einsetzen (Details siehe unten): je heikler die Lage, desto strenger das Regime. Entscheidendes Kriterium ist die Lage in den Spitälern. Stufe eins – so viel ist fix – wird am 15. September in Kraft treten. An diesem Tag werde laut Prognose die Zehn-Prozent-Marke von 200 Betten erreicht, sagt Gesundheitsminister Mückstein, Anfang Oktober sei mit Stufe zwei zu rechnen.

Fragwürdiger Maßstab

Dass die Regierung die Spitalsbelegung zum Maßstab macht, hat eine gewisse Logik. Da geimpfte Menschen sich zwar mit Covid anstecken können, aber nur selten schwer erkranken, kann sich Österreich nun eine höhere Infektionsrate "leisten", ohne die Krankenhäuser zu überlasten, als in einer früheren Phase der Pandemie der Fall. Die Bedeutung der Sieben-Tages-Inzidenz der Infizierten pro 100.000 Einwohner als Indikator hat sich dadurch verändert.

Trotzdem macht das geplante System Experten stutzig. Denn die Stufen zwei und drei setzen nicht schon dann ein, wenn die Prognose das Erreichen der jeweiligen Belagszahl voraussagt, sondern erst sieben Tage nachdem der Fall bereits eingetreten ist. "Die Situation an den Intensivstationen spiegelt das Infektionsgeschehen von vor zwei bis drei Wochen wider", sagt Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS), schließlich müsse man Inkubationszeit und Entwicklung der Krankheit bedenken. Mit dem geplanten Modell würden die Maßnahmen also hinterherhinken, so der Forscher, außerdem werde auf die Dynamik kein Augenmerk gelegt: "Es macht für die Bewertung einer Situation aber einen Unterschied, ob der Sprung von einer Stufe auf die nächste innerhalb weniger Tage oder zweier Wochen erfolgt."

Ähnlich die Virologin Dorothee von Laer von der Uni Innsbruck. Sie empfiehlt, in den Stufenplan schon auch die Sieben-Tages-Inzidenz als Indikator einzubauen. Denn sonst könne nur mit beträchtlicher Verspätung bewertet werden, ob die Maßnahmen überhaupt wirken.

Auch Gerald Gartlehner von der Donau-Uni Krems warnt vor der Zeitverzögerung beim Fokus auf die Intensivstationen: Dass die Maßnahmen obendrein erst sieben Tage nach Erreichen einer kritischen Grenze einsetzen, könne er überhaupt nicht nachvollziehen. Am Mittwochabend hielt er außerdem in der ZiB2 fest, dass die Maßnahmen "durchaus schärfer sein hätten können." Er plädiert daher für einen "sanften Druck", der etwa durch kostenpflichtige Testungen herbeigeführt werden könne – um die Menschen letztlich zur Impfung zu bewegen.

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Im Gesundheitsministerium erklärt man die Kritik der Verzögerung auf Nachfrage wie folgt: Weil sich die Wirkung der in Stufe eins geplanten Maßnahmen erst zeitverzögert niederschlagen werde, habe man in der Folge einen Zeitpuffer vorgesehen.

"Nur Symptombekämpfung"

Experte Gartlehner meldet noch weitere Einwände an. Die Maßnahmen stellten einen "guten Ansatz" dar, liefen letztlich aber nur auf "Symptombekämpfung" hinaus. Zu wenig biete der Stufenplan hingegen an, um die Ursache des Problems zu bekämpfen: die hierzulande niedrige Impfquote.

So vermisst Gartlehner Anstrengungen, um die bislang "schlechte bis inexistente Impfkampagne" in Fahrt zu bringen: "Das ist umso unverständlicher, als die Regierung im Fahren von Kampagnen sonst ja nicht ungeübt ist." Außerdem sei es in Österreich "fast noch ein bisschen zu bequem, ungeimpft zu sein", da biete sich auch finanzieller Druck an. Der Experte verweist auf die USA, wo ihn der DER STANDARD am Mittwoch erreicht hat: "Da zahlen Ungeimpfte empfindlich höhere Krankenversicherungsbeiträge, weil sie eben auch ein höheres Erkrankungsrisiko haben."

Gartlehner steht mit der Idee nicht allein da: Christiane Druml, Vorsitzende der Bioethikkommission, hat eine Debatte darüber angestoßen, ob Ungeimpfte bei einem Spitalsaufenthalt wegen Covid Selbstbehalte berappen sollten.

Besser übervorsichtig sein

Thomas Czypionka hingegen glaubt nicht an den gewünschten Effekt. Impfverweigerer gingen davon aus, dass sie ohnehin nie schwer erkrankten, also entfalteten Selbstbehalte kein großes Drohpotenzial. Um die Bereitschaft zum Stich zu erhöhen, brauche es auf einzelne Zielgruppen maßgeschneiderte Programme – es mache einen Unterschied, ob sich jemand aus Zweifel oder wegen einer Sprachbarriere nicht impfen lasse. All das, sagt Czypionka, fehle schon seit Monaten.

Auch der neue Stufenplan komme sehr spät und setze überdies auf einem zu niedrigen Schutzniveau an: Die FFP2-Masken-Pflicht, die nicht viel koste und nicht wehtue, hätte angesichts der viel ansteckenderen Delta-Variante längst wieder eingeführt werden sollen. Es sei besser, vielleicht etwas übervorsichtig zu sein, sagt Czypionka, als wegen zu zögerlicher Maßnahmen einem sich auswachsenden Problem hinterherzulaufen.

Von Laer hält die Maßnahmen an sich für allesamt vernünftig und hebt positiv hervor, dass Genesene entgegen früherer Aussagen mit Geimpften gleichgestellt werden. Die Regierung sei vom Zeitpunkt halt etwas knapp dran, fügt sie an: "Hoffen wir, dass es reicht."

SPÖ zufrieden und kritisch zugleich

Zufrieden geben sich die Landeshauptleute – auch jene der SPÖ, die am Vortag noch Kritik am vorpreschenden Kanzler geübt hatten. Die ursprünglichen Vorschläge seien ihm nicht weit genug gegangen, erläuterte Wiens Bürgermeister Michael Ludwig im Anschluss an den türkis-grünen Auftritt, doch nun sei die Regierung ja "auf den Wiener Weg eingeschwenkt". Mit Genugtuung verwies er darauf, dass manche geplanten Restriktionen im von SPÖ und Neos geführten Wien längst Realität sind: Das gilt für die verkürzte Gültigkeitsdauer der Tests ebenso wie für die Nichtanerkennung von Antigen-Wohnzimmertests. Verschärfungen, die über den türkis-grünen Stufenplan hinausgehen, hat Ludwig deshalb vorerst nicht vor.

Die Bundes-SPÖ urteilt aus der Oppositionsrolle heraus weniger gnädig: Zu spät, zu zögerlich und inkonsequent erfolgten die neuen Maßnahmen, zu einem ähnlichen Schluss kommen die Neos. Außerdem habe Kurz sein Versprechen gebrochen, wonach es nur für Ungeimpfte Beschränkungen gebe: Denn das Comeback der FFP2-Maske in Lebensmittelgeschäften und Öffis betrifft alle.

Am schärfsten reagierte erwartungsgemäß die FPÖ: Die "Impf-Apartheid" habe endgültig begonnen. (Gerald John, Gabriele Scherndl, 8.9.2021)